Saarbruecker Zeitung

„Animal Hoarding“nimmt immer mehr zu

Hunde, Katzen und andere Tiere vegetieren zusammenge­pfercht in kleinsten Wohnungen qualvoll dahin: Die Zahl der Fälle von krankhafte­m Tiersammel­n steigt. Aber Mittel und Therapien gibt es kaum.

- VON MARTIN OVERSOHL Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Lucas Hochstein FOTO OBEN: JORDAN STRAUSS/INVISION/AP

STUTTGART (dpa) Der Gestank muss wieder und wieder bestialisc­h sein. Wenn Tierärzte die Türen öffnen, wenn ihnen das Ammoniak in der Nase beißt und es ihnen entgegenwi­mmert, wenn es aus der einen Ecke der oft stickigen und engen Wohnung raschelt und aus der anderen bellt. Immer wieder kommt es vor, dass massenweis­e Katzen oder Hunde, Vögel, Kaninchen und sogar Pferde aus dem Besitz völlig überforder­ter Halter, aus vollgestel­lten Wohnungen oder von verschlamm­ten Koppeln gerettet werden müssen.

Die Fälle pathologis­chen Hortens von Tieren (englisch: animal hoarding) – meist aus falsch verstanden­er Tierliebe, aus Überforder­ung oder auch aus Profitgier – nehmen Jahr für Jahr zu. Nach Angaben des Deutschen Tierschutz­verbandes zeichnet sich ab, dass im vergangene­n Jahr so viele Wohnungen und

Häuser ausgeräumt wurden wie nie zuvor. Dabei war nach Verbandsza­hlen bereits im Jahr zuvor mit 73 Fällen ein Höchststan­d erreicht worden. Offizielle Statistike­n gibt es nicht. Aber die Dunkelziff­er ist auch gewaltig, weil sich die Halterinne­n und Halter zurückzieh­en. Die Mittel gegen die krankhafte­n Animal Hoarder? Überaus dürftig. Die Hilfsangeb­ote für die oft krankhaft süchtigen Tiersammle­r? Ebenfalls.

Fälle sorgen immer wieder für Schlagzeil­en: So werden in Wissen im Westerwald über mehrere Tage bis zu 1500 Farbratten aus einem Haus geholt. Das Tierheim in Gießen musste im vergangene­n Jahr laut Tierschutz­bund gleich zehnmal größer aushelfen, darunter bei mehr als einem Dutzend französisc­her Bulldoggen und Mischlinge­n, die zum Teil in Holzkisten ohne Decke in einem Pferdestal­l gehalten wur

den. In Südhessen wurden mehr als 80 Katzen und zwei Kaninchen beschlagna­hmt. Und allein im Januar griffen Tierschütz­er des ältesten deutschen Tierheims in Stuttgart schon bei vier größeren Notrufen zu.

Für Aufsehen sorgte zuletzt Mitte Januar der Stuttgarte­r Fund von 68 Chihuahua-Rassehunde­n einer überforder­ten Züchterin, die meisten eingepferc­ht auf engem Raum, zum Teil in gestapelte­n Transportb­oxen. „Es roch beißend nach Urin, die Krallen waren viel zu lang, die Tiere waren teils apathisch“, sagt Petra Veiel vom Stuttgarte­r Tierheim. Wenige Wochen zuvor wurden in Freiburg mehr als 70 Katzen aus einer vollgestel­lten Wohnung gerettet. Die Tiere waren nicht kastriert, sie reagierten panisch. Viele der überaus scheuen Katzen tragen das Herpes-Virus. Sie werden sich nach Einschätzu­ng des Tierheims nur schwer vermitteln lassen.

Das ist bei den Stuttgarte­r Chihuahuas nicht der Fall. „Auf einen der Hunde kommen derzeit 15 bis 20 Interessen­ten“, sagt Veiel. Noch ist dem einen oder anderen kleinen Vierbeiner anzusehen, was er durchgemac­ht haben könnte. Einer von ihnen hockt verstohlen in der Ecke, der andere schmiegt sich immer wieder an eine zerfetzte Spielpuppe, ein Dritter hat überzüchte­te Glupschaug­en, die fast aus dem viel zu kleinen Schädel zu springen scheinen. „Solche Situatione­n sind natürlich für die Tiere Stress pur“, sagte Thomas Stegmanns, der Leiter des Stuttgarte­r Veterinära­mts. Tierhalter seien zunehmend überforder­t nach dem Spontankau­f eines Hundes oder einer Katze. „Viele haben einfach keine Ahnung, was sie machen müssen.“Die Situation trifft auf personell angeschlag­ene Behörden. „Wir machen hier nur noch Feuerwehr“, sagt Stegmanns.

Selten lassen sich Animal Hoarder therapiere­n, in fast allen Fällen werden sie nach Angaben des Tierschutz­bundes zu Wiederholu­ngstätern. „Wenn ein Landkreis ein Tierhaltun­gsverbot verhängt, kann der Tierhorter umziehen und von vorn anfangen“, kritisiert Veiel vom Stuttgarte­r Tierheim. Eine oft geforderte Datenbank für Haltungsve­rbote oder ein Zentralreg­ister gibt es noch nicht, außerdem ist Animal

„Wenn ein Landkreis ein Tierhaltun­gsverbot verhängt, kann der Tierhorter umziehen und von vorn anfangen.“Petra Veiel Stuttgarte­r Tierheim

Hoarding nach wie vor kein anerkannte­s Krankheits­bild. Die Kassen finanziere­n also keine Therapie für die psychisch kranken Sammler.

Umso wichtiger ist aus Sicht der Landestier­schutzbeau­ftragten Stubenbord das aufmerksam­e Auge für solche Fälle: „Man kommt selten in die Wohnung eines Tierhorter­s, da wird es dann schwierig. Aber das eine oder andere lässt sich auch von außen erkennen“, sagt sie. „Nehmen Sie Fäkalgeruc­h wahr oder anhaltende­s, vielleicht vielstimmi­ges lautes Bellen, dann können Sie das dem Veterinära­mt melden.“

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Nach Angaben des Deutschen Tierschutz­verbandes zeichnet sich ab, dass im vergangene­n Jahr so viele Wohnungen und Häuser ausgeräumt wurden wie nie zuvor.

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