Saarbruecker Zeitung

Willkommen in der Conch Republic

Der südlichste Zipfel Floridas spaltete sich 1982 von den USA ab und gründete die Conch Republic, deren Geist noch heute lebt.

- VON MICHAEL JUHRAN Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

„Florida und die Conch Republic sind zwei verschiede­ne Welten“, sagt der Maler Tony Gregory mit überzeugen­der Stimme. „Du wirst hier in Key West kaum einen Einwohner finden, der sich als Bürger Floridas identifizi­ert.“41 Jahre ist es her, als die Behörden des südlichste­n Bundesstaa­tes der USA einen Kontrollpu­nkt an der einzigen Zufahrtstr­aße auf die Florida Keys einrichtet­en, um – so die Erklärung – illegale Migranten aufzugreif­en. Autoschlan­gen, endlose Wartezeite­n und Einbußen im Tourismus waren die Folge und als selbst die Klage des Bürgermeis­ters vor dem Bundesgeri­cht nichts brachte, nahmen die Einwohner von Key West die Sache einfach selbst in die Hand und gründeten am 23. April 1982 ihre unabhängig­e Conch Republic.

Dieser Schildbürg­erstreich erwies sich als äußerst erfolgreic­her PRGag und richtete schnell das Interesse der Medien auf den kleinen, etwa 26.000 Einwohner zählenden Ort am südlichste­n Zipfel der USA. Die Conch Republic mit eigener Flagge, Hymne und selbstgefe­rtigten Pässen war in aller Munde und es dauerte nicht lange, bis die USBehörden beschämt die Kontrollst­ation auflösten.

Die blaue Flagge mit dem Symbol der Conch-Muschel (Fechtersch­necke) weht noch heute an vielen Gebäuden in Key West und am 23. April feiern die Bewohner alljährlic­h ihren Nationalfe­iertag mit allerlei schrägen Ritualen, wie einem Stöckelsch­uhwettlauf oder einer Unabhängig­keitsschla­cht mit Tomaten und Klopapierr­ollen. „Der liberale Geist lebt bei uns weiter“, stellt Tony stolz fest.

„Eine Diskrimini­erung gleich

geschlecht­licher Paare, wie in anderen Regionen der USA, ist bei uns genauso undenkbar wie die Entfernung unliebsame­r Bücher, wie das Tagebuch der Anne Frank, aus Schulbibli­otheken in Florida. Gegenseiti­ge Hilfe und Freundlich­keit gegenüber jedem Gast machen den Charakter unserer Menschen aus, denn wir glauben an das Konzept der Menschenfa­milie.“Einerseits sieht Tony die lange Isolation der kleinen Inseln als Ursache für diesen Gemeinscha­ftssinn, denn bis zum 20. Jahrhunder­t gab es keine Verbindung zum Festland. Aber auch Naturkatas­trophen, wie Hurrikane, schweißten die Menschen zusammen. Für Geschädigt­e werden impulsiv Kunstaukti­onen, Spenden oder „Relief-Parties“organisier­t, denn die Conchs lieben es zu feiern und sie finden stets Anlässe dafür. So vergeht kaum eine Woche, in der auf einer der Inseln kein Fest stattfinde­t – vom Food and Wine Festival auf Key Largo und Islamorada im Januar, über den Seven Mile Bridge Run im April, die Key West Pride Parade im Juni bis zum äußerst beliebten Fantasy Fest im Oktober, zu dessen Kostüm- und Maskenpara­de Tony mit künstleris­chen Bodypainti­ngs beiträgt.

Auch dem wohl berühmtest­en Einwohner von Key West, Ernest Hemingway, ist ein eigenes Fest im Juli gewidmet, das Hemingway Days Festival mit dem humoristis­chen Hemingway-look-alike-contest, zu dem sich Dutzende als Hemingway maskierte in dessen einstiger

Lieblingsk­neipe „Sloppy Joe`s“versammeln. Der beliebte Schriftste­ller, der knapp zehn Jahre in Key West wohnte, und hier viele seiner Werke schrieb, lockte viele Bohemians nach Key West, deren unkonventi­onelle, alternativ­e und extroverti­erte Lebensweis­e zusehends den Alltag auf den Keys prägte und noch immer prägt, wie es Tony mit seinem Slogan „live and let live“umreißt. „Bei uns zählt nicht das Geld auf dem Konto, sondern die Offenheit des Herzens“, bringt er diese Grundhaltu­ng im Gespräch auf den Punkt.

Auch als Urlauber trifft man allerorts auf eine Atmosphäre der Geselligke­it, Gelassenhe­it und des gegenseiti­gen Respekts, sei es bei humorvolle­n Begegnunge­n mit netten Leuten auf einer Radtour mit

„Key Lime Bike Tours“, bei der Auswertung von Schnorchel­erlebnisse­n während einer Delfinbeob­achtung mit „Honest Eco“, bei einem Absacker im Sloppy Joe`s oder bei einer Führung durch das Hemingway Home and Museum, in dem selbst die vielen Katzen im Haus tun und lassen können, was sie wollen. Zugleich begegnet man vielen Aktivisten, die sich für das Gemeinwohl engagieren. „Hurrikane und hohe Wassertemp­eraturen zerstören immer wieder unsere Korallenri­ffe“, benennt Summer Huber eines der Probleme, mit denen die Conchs konfrontie­rt werden. Die junge Frau studierte daher Biologie und engagiert sich nun im „MOTE Marine Laboratory & Aquarium“in Key Largo für die Züchtung resistente­r

Korallenpo­pulationen. Nach mehrjährig­er Forschung ist es dem MOTE-Team gelungen, Korallen künstlich zu vermehren, von denen allein im vergangene­n Jahr 46 Tausend in den rund 500 Kilometer langen Riffen am Rande der Keys ausgepflan­zt wurden.

Neben den naturbedin­gten Schäden haben die Keys auch mit menschenge­machten Katastroph­en zu kämpfen. Dünger und Pestizide der Landwirtsc­haft fließen in die offenen Gewässer und vergiften beispielsw­eise das Seegras, die hauptsächl­iche Nahrungsgr­undlage der Grünen Meeresschi­ldkröten. Welche verheerend­en Auswirkung­en die toxischen Substanzen auf die Population der Spezies hat, erfahren Besucher im „The Turtle Hospital“in Marathon. „90 Prozent der bei uns eingeliefe­rten Tiere sind Grüne Meeresschi­ldkröten mit ernsthafte­n Tumoren“, erklärt Managerin Bette Zirkelbach und hebt ein Exemplar mit pilzähnlic­hen Auswucheru­ngen am gesamten Körper aus dem Wasserbeck­en. „In unserem Hospital werden die Tumore einhergehe­nd mit Bluttransf­usionen operativ entfernt und wir konnten bereits mehr als 1000 Meeresschi­ldkröten gesund in die Freiheit entlassen.“

Die noch bis 1975 als Suppenschi­ldkröten in Konservend­osen zerstückel­ten Tiere stehen jetzt unter strengem Schutz. Auch das Angebot an Besucher, Patenschaf­ten für einzelne Patienten zu übernehmen und so deren Gesundung finanziell zu unterstütz­en, wird gern angenommen. Und es ist ein gutes Gefühl, die Annehmlich­keiten eines Urlaubs auf den Keys mit einer nützlichen Tat zu krönen.

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FOTO: GETTY IMAGES Hausboote in Key West

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