Saarbruecker Zeitung

Ägypten fürchtet israelisch­en Angriff auf Rafah

- VON THOMAS SEIBERT

Als südlicher Nachbar des Gazastreif­ens spielt Ägypten eine Schlüsselr­olle bei der Versorgung der Zivilisten in dem abgeriegel­ten Palästinen­ser-Gebiet, wo sich zwei Millionen Menschen drängen. Für den ägyptische­n Präsidente­n geht es bei einem möglichen Angriff Israels auf Rafah im südlichen Gazastreif­en auch um die innere Sicherheit seines Landes.

KAIRO Kairo wird zum Zentrum der Bemühungen um eine neue Waffenruhe in Gaza. Nachdem hochrangig­e Hamas-Funktionär­e in den vergangene­n Tagen in der ägyptische­n Hauptstadt zu Gast waren, wird jetzt CIA-Chef Bill Burns am Nil erwartet. Für die ägyptische Regierung ist der Einsatz für ein Ende des Krieges besonders dringend: Sie befürchtet eine Flüchtling­swelle aus dem Gazastreif­en auf die ägyptische SinaiHalbi­nsel. Kairo schickt zusätzlich­e Panzer und Truppen an die Grenze und warnt Israel vor einer Großoffens­ive auf die Stadt Rafah. „Jede Ausweitung militärisc­her Operatione­n hätte schwere Konsequenz­en“, sagte Außenminis­ter Sameh Shoukry am Wochenende.

Als südlicher Nachbar des Gazastreif­ens spielt Ägypten eine Schlüsselr­olle bei der Versorgung der Zivilisten in dem abgeriegel­ten

Palästinen­ser-Gebiet, wo sich zwei Millionen Menschen drängen. Kairo liefert nach Regierungs­angaben 80 Prozent aller Hilfsgüter, die über den Grenzüberg­ang von Rafah nach Gaza rollen. Viele internatio­nale Politiker, darunter UN-Generalsek­retär Antonio Guterres und Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock, haben seit Kriegsausb­ruch am 7. Oktober den Übergang besucht. In den kommenden Tagen will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an die Grenze reisen.

Israel hatte die Bewohner von Gaza aufgerufen, sich bei Rafah im Süden des Gebietsstr­eifens in Sicherheit zu bringen. Nun greift die israelisch­e Armee auch dort an. Das bedeute Alarm für Ägypten, sagt der Nahost-Experte Joshua Landis von der Universitä­t Oklahoma. „Ägypten will keine zwei Millionen bitterarme Palästinen­ser aufnehmen“, sagte Landis. Schließlic­h stehe Ägypten, das mit 110 Millionen Menschen bevölkerun­gsreichste Land der arabischen Welt, schon jetzt am Rande des Staatsbank­rotts.

Präsident Abd al-Fattah as-Sisi fürchte auch um die innere Sicherheit, sagt Landis. Ägypten hat zwar Kontakte zur Hamas und nutzt diese in den Gesprächen über eine neue Waffenruhe. Doch ideologisc­h ist Sisi ein Feind der radikalen Palästinen­sergruppe, die zur Bewegung der Muslim-Bruderscha­ft gehört. „Sisi hat die MuslimBrud­erschaft in Ägypten zerstört“, sagte Landis. „Das letzte, was er will, sind tausende neue radikalisi­erte Islamisten in seinem Land.“

Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar weist darauf hin, dass radikale Islamisten auf der Sinai-Halbinsel schon von dem Ausbruch des Gaza-Krieges ein Problem für Sisis Regime waren. „Millionen traumatisi­erter und wütender Flüchtling­e“auf der SinaiHalbi­nsel würden die Region weiter destabilis­ieren, sagte Rahman.

Auch aus außenpolit­ischen Gründen stemmt sich Ägypten gegen eine Massenfluc­ht aus Gaza. Rechtsradi­kale israelisch­e Politiker fordern die permanente Vertreibun­g der Palästinen­ser aus dem Gazastreif­en. Kairo wolle nicht zum unfreiwill­igen Helfer bei dieser „ethnischen Säuberung“werden, sagt Landis.

Selbst wenn die Unterbring­ung palästinen­sischer Flüchtling­e auf ägyptische­n Boden als zeitlich begrenzte Nothilfe definiert werden sollte, sei sie für Ägypten unannehmba­r, sagt Nahost-Experte Rahman aus Katar. Die Erfahrung zeige, „dass Israel nicht die Absicht hat, die Palästinen­ser in ihre Heimat in Gaza zurückkehr­en zu lassen, wenn die Kämpfe vorüber sind“. Mit Blick auf die Flucht vieler Palästinen­ser aus dem heutigen israelisch­en Staatsgebi­et bei der Gründung des jüdischen Staates fügte Rahman hinzu: „1948 und die Folgen wiederhole­n sich.“

Verhindern will Sisi den Massenanst­urm aus dem Gazastreif­en mit militärisc­hen und diplomatis­chen Mitteln. Die ägyptische Armee schickte jetzt rund 40 Panzer und gepanzerte Mannschaft­swagen an die Grenze zu Gaza, wie die Nachrichte­nagentur Reuters berichtete. Nach Kriegsausb­ruch im Oktober hatte Ägypten bereits einen BetonGrenz­wall errichtet; die Mauer reicht sechs Meter tief ins Erdreich, um es der Hamas zu erschweren, die Grenze zu untertunne­ln.

Zudem nutzen ägyptische Regierungs­vertreter nach Medienberi­chten jede Gelegenhei­t, über westliche Gesprächsp­artner eine Warnung an Israel zu schicken: Eine israelisch­e Großoffens­ive in Rafah wäre das Ende des ägyptisch-israelisch­en Friedensve­rtrages von 1979, des ersten Vertrages zwischen Israel und einem arabischen Staat. Zuletzt gab die ägyptische Regierung diese Botschaft vorige Woche dem amerikanis­chen Außenminis­ter Antony Blinken mit auf den Weg nach Israel, wie die New York Times meldete. In direkten Kontakten mit israelisch­en Militärs forderten ägyptische Offiziere, Israel solle seine Militärsch­läge auf HamasZiele in Rafah begrenzen.

Vor allem hofft die ägyptische Regierung auf die angestrebt­e neue Feuerpause. Außenminis­ter Shoukry sagte, Kairo bemühe sich, die Positionen von Israel und der Hamas auf einen Nenner zu bringen. Doch die Verhandlun­gen seien „komplex“.

„Jede Ausweitung militärisc­her Operatione­n hätte schwere Konsequenz­en.“Sameh Shoukry Außenminis­ter Ägyptens

 ?? FOTO: YASSER QUDIH/DPA ?? Blick auf ein provisoris­ches Lager in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreif­en. Israels Armee hat Augenzeuge­nberichten zufolge trotz internatio­naler Warnungen Ziele in Rafah angegriffe­n. Eine mögliche Massenfluc­ht der Menschen nach Ägypten sorgt dessen Präsidente­n Abd al-Fattah as-Sisi.
FOTO: YASSER QUDIH/DPA Blick auf ein provisoris­ches Lager in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreif­en. Israels Armee hat Augenzeuge­nberichten zufolge trotz internatio­naler Warnungen Ziele in Rafah angegriffe­n. Eine mögliche Massenfluc­ht der Menschen nach Ägypten sorgt dessen Präsidente­n Abd al-Fattah as-Sisi.

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