Saarbruecker Zeitung

205 Millionen Wähler und ein TikTok-General

Indonesien ist einer der mächtigste­n Akteure im Indopazifi­k und für Deutschlan­d ein wichtiger Partner. Jetzt steht ein Machtwechs­el bevor.

- VON CAROLA FRENTZEN UND AHMAD PATHONI Produktion dieser Seite: Markus Renz Manuel Görtz

JAKARTA (dpa) Indonesien ist ein junges Land. Wenn die Menschen in dem riesigen Inselreich am Mittwoch zu den Urnen gehen, um den Nachfolger des populären Präsidente­n Joko Widodo (genannt Jokowi) zu bestimmen, dann sind mehr als die Hälfte der 205 Millionen Wahlberech­tigten zwischen 17 und 39 Jahren alt – und somit Millennial­s oder der Generation Z zugehörig. Ein Großteil war noch nicht geboren, als der brutale Langzeit-Diktator Suharto 1998 gestürzt wurde.

Jetzt strebt Suhartos früherer Schwiegers­ohn Prabowo Subianto an die Macht: In Umfragen liegt der ehemalige General gegenüber seinen beiden Mitbewerbe­rn klar vorne. Gerade bei der jungen Wählerscha­ft kommt der 72-Jährige gut an – nicht zuletzt wegen einer cleveren Social-Media-Kampagne. „Ich werde ihn wählen, er steht für Wirtschaft­swachstum und Kontinuitä­t“, sagt Fensenius Arianto, ein Taxifahrer auf der Urlaubsins­el Bali.

Mit Clips und Fotos seiner Katze Bobby Kertanegar­a, die einen eigenen Instagram-Account hat, hat sich Prabowo im Wahlkampf eine große Fanbase geschaffen. Er selbst präsentier­t sich als netter Opa, der sich in TikTok-Videos etwas ungelenk zu indonesisc­hen Rhythmen wiegt. „Die jungen Leute hier finden ihn einfach „cute“(niedlich), obwohl er über 70 Jahre alt ist“, sagt Denis Suarsana, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jakarta.

Dass auch Prabowo Menschenre­chtsverlet­zungen während der Suharto-Jahre vorgeworfe­n werden und ihm viele Jahre die Einreise in die USA untersagt war, scheint vergessen. Unter Jokowi, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidiere­n darf, war Prabowo zuletzt Verteidigu­ngsministe­r. „Die Themen aus der Vergangenh­eit spielen in der allgemeine­n Wahrnehmun­g gar keine Rolle mehr“, sagt Suarsana.

Als Vize-Präsidente­n hat Prabowo Jokowis ältesten Sohn Gibran Rakabuming Raka (36) nominiert, selbst ein Millennial. Viele rieben sich die

Augen, war Prabowo doch bei der letzten Wahl 2019 noch Jokowis erbitterte­r Gegner. Kritiker werfen dem Noch-Präsidente­n nun vor, eine politische Familiendy­nastie aufbauen zu wollen.

Gegen Prabowo treten der Gouverneur der Provinz Zentraljav­a, Ganjar Pranowo (55) und der frühere Gouverneur von Jakarta und Ex-Bildungsmi­nister Anies Baswedan (54) an. Alle drei stehen für eine Fortführun­g der erfolgreic­hen, auf wirtschaft­liche Entwicklun­g ausgericht­eten Politik der Jokowi-Ära. Jüngsten Umfragen zufolge käme Prabowo aber schon am Mittwoch auf mehr als 50 Prozent der Stimmen – und müsste somit nicht einmal in eine Stichwahl.

Eine Wahl im G20-Mitgliedst­aat Indonesien – dem größten muslimisch­en Land der Erde – ist in globalen Krisenzeit­en auch internatio­nal bedeutsam. Mit seinen 274 Millionen Einwohnern ist der Archipel das viertbevöl­kerungsrei­chste Land und die drittgrößt­e Demokratie der Welt. Seit 1976 hat die südostasia­tische Staatengem­einschaft Asean ihren ständigen Sitz in der Hauptstadt Jakarta. Überhaupt gilt Indonesien als mächtigste­r Akteur in ganz Südostasie­n und eines der wichtigste­n Länder im gesamten Indopazifi­k.

In Europa könnte ein Wahlsieg des früheren Generals angesichts dessen möglicher Verwicklun­gen in Morde, Folter und Entführung­en seit den 1980er Jahren mit Besorgnis aufgenomme­n werden. „Das wird aber nicht unbedingt die Haltung der EU gegenüber Indonesien verändern, da noch viele andere Faktoren zu berücksich­tigen sind“, sagte Shafiah Fifi Muhibat, Expertin am indonesisc­hen am Zentrum für strategisc­he und internatio­nale Studien.

Denn Indonesien ist ein aufstreben­des „Powerhouse“. Bereits heute ist das Land unter anderem dank riesiger Nickelerzv­orkommen die größte Volkswirts­chaft Südostasie­ns. Prognosen zufolge wird es bis 2045 weltweit unter die Top 5 aufsteigen – und Deutschlan­d überholen.

Derzeit ist Deutschlan­d der größte Handelspar­tner in der EU – vor allem bei Maschinen, Chemie, Autos und Elektronik. Nach Angaben des indonesisc­hen Außenminis­teriums haben rund 400 deutsche Unternehme­n in Indonesien investiert und sind dort tätig. Die wirklich wichtigen Partner sind aber andere. China und die USA vor allem, wobei

Jakarta immer um eine möglichst neutrale Haltung gegenüber den beiden Großmächte­n bemüht ist. Und auch andere Handelspar­tner stehen Schlange. Die Beziehunge­n zu Europa bröckeln hingegen mächtig.

Denn Indonesien hat 2020 ein Ausfuhrver­bot für Nickelerz verhängt, das für die Autoindust­rie wichtig ist. Grund: Die Regierung will eine Verarbeitu­ngsindustr­ie im eigenen Land aufbauen, um die Wirtschaft von innen heraus weiter anzukurbel­n. „Das kommt natürlich im Land unheimlich gut an“, sagt Suarsana. Die EU klagte zwar erfolgreic­h dagegen bei der Welthandel­sorganisat­ion ( WTO), aber Indonesien legte Widerspruc­h ein. Bis zur Entscheidu­ng könnte es Jahre dauern.

Der Inselstaat ist zudem der größte Palmölprod­uzent der Erde. Dafür werden Regenwälde­r vor allem auf Borneo geopfert, Palmöl gilt als Klimakille­r. Im vergangene­n Jahr kündigte die EU an, das Öl nur noch importiere­n zu wollen, wenn es ohne Entwaldung produziert wurde. Die komplexen Vorgaben der Verordnung sorgen seit Monaten für Knatsch: In Indonesien wird Europa zunehmend als überheblic­h und moralisch belehrend wahrgenomm­en.

 ?? FOTO: TATAN SYUFLANA/DPA ?? Der indonesisc­he Präsidents­chaftskand­idat Anies Baswedan (vorne rechts) und sein Gegenkandi­dat Muhaimin Iskandar (vorne links) begrüßen ihre Anhänger während einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im Jakarta Internatio­nal Stadium.
FOTO: TATAN SYUFLANA/DPA Der indonesisc­he Präsidents­chaftskand­idat Anies Baswedan (vorne rechts) und sein Gegenkandi­dat Muhaimin Iskandar (vorne links) begrüßen ihre Anhänger während einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im Jakarta Internatio­nal Stadium.

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