Saarbruecker Zeitung

Warum die AfD in Thüringen mit mehr Macht rechnen kann

In Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g werden im Herbst Landtage gewählt. Die AfD könnte dort stärkste Kraft werden – neue Machtoptio­nen scheinen möglich.

- VON STEFAN HANTZSCHMA­NN Produktion dieser Seite: Markus Renz Manuel Görtz

ERFURT (dpa) Björn Höcke als Ministerpr­äsident – bislang gilt dieses Szenario als eher unwahrsche­inlich. Doch in der Thüringer AfD träumen einige schon von der absoluten Mehrheit nach der Landtagswa­hl 2024. AfD-Landes- und Fraktionsc­hef Höcke sprach im November bei einem Landespart­eitag in Pfiffelbac­h so, als könnte er Regierungs­chef werden. Er sagte dort Sätze wie „Wenn ich dann als Ministerpr­äsident ...“, „meine Regierung“oder „eine der ersten Maßnahmen, die wir in Thüringen mit einer AfD-Regierung umsetzen...“.

Während Hunderttau­sende Menschen in Deutschlan­d gegen Rechtsextr­emismus auf die Straße gehen, plant die AfD in Thüringen ein Schattenka­binett aufzustell­en – mit AfD-Leuten für mögliche Ministerpo­sten. Die Landesverb­ände in Sachsen und Thüringen werden von den dortigen Verfassung­sschutzämt­ern als gesichert rechtsextr­emistisch eingestuft und beobachtet, die AfD in Brandenbur­g ist ein Verdachtsf­all.

In allen drei Ländern liegt die Partei in Umfragen auf Platz eins – mit Werten teils über 30 Prozent. Daran scheinen auf den ersten Blick auch die bundesweit­en Demonstrat­ionen nichts zu ändern, nachdem das Recherchen­etzwerk Correctiv ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam öffentlich gemacht hatte, an dem auch AfD-Politiker teilnahmen. Nach einer Infratest dimap-Umfrage kommt die AfD in Sachsen auch nach Veröffentl­ichung der Recherchen auf 35 Prozent – und wäre damit stärkste Kraft. Dagegen müssen SPD und Grüne um den Wiedereinz­ug in den Landtag bangen. In Thüringen könnten Grüne und FDP rausfliege­n – sollten beide an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würde die absolute Mehrheit für die AfD im Landtag näher rücken.

Auf den ersten Blick sei die AfD noch „sehr weit“von der absoluten Mehrheit entfernt und damit von der

Möglichkei­t allein zu regieren, sagt der Erfurter Politikwis­senschaftl­er André Brodocz. „Wir müssen aber berücksich­tigen, dass es am Ende auf die Hälfte der Sitze im Landtag ankommt.“In einem Thüringer Parlament mit nur noch vier Parteien statt sechs könnte die AfD möglicherw­eise schon mit gut 40 Prozent die Hälfte der Sitze erhalten. „Das ist nicht ganz ausgeschlo­ssen“, so der Experte. Es komme auch darauf an, ob eine Wagenknech­t-Partei antritt und in den Landtag kommt. Auch

Ex-Bundesverf­assungssch­utzpräside­nt Hans-Georg Maaßen will mit seiner Werteunion eine Partei gründen. Möglich also, dass im Erfurter Landtag am Ende nicht weniger, sondern mehr Parteien vertreten sind.

Eine AfD in Regierungs­verantwort­ung könnte Gerichte neu besetzen oder Einfluss auf den Verfassung­sschutz nehmen, der in Brandenbur­g und Thüringen eine Abteilung des Innenminis­teriums ist. „Wir werden den Verfassung­sschutz zurückpfei­fen“, sagte kürzlich der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der AfD im Brandenbur­ger Landtag, Dennis Hohloch.

In sieben Monaten Wahlkampf kann sich aber noch vieles ändern. In Thüringen und Sachsen wird am 1. September gewählt, in Brandenbur­g drei Wochen später. Umfragewer­te sind noch keine Wahlergebn­isse und mit Unsicherhe­iten behaftet. In allen drei Ländern könnte die AfD wohl nur mit einer absoluten Mehrheit in Regierungs­verantwort­ung kommen, weil alle anderen Parteien eine Zusammenar­beit ablehnen.

Doch auch ohne Regierungs­beteiligun­g könnten sich für die AfD bei guten Wahlergebn­issen neue Möglichkei­ten eröffnen.

Wird die AfD in Thüringen stärkste Kraft, kann sie nach den Gepflogenh­eiten des Parlaments einen Kandidaten als Präsidente­n des Landtags vorschlage­n. Fällt er bei der Wahl durch, wäre das Parlament zumindest vorerst nicht arbeitsfäh­ig – eine womöglich einmalige Situation in Deutschlan­d. Würde der AfD-Kandidat dagegen gewählt, wäre dieser Leiter des Verfahrens der Ministerpr­äsidentenw­ahl.

In den drei ostdeutsch­en Bundesländ­ern könnte die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im jeweiligen Landtag erhalten. Für alle Abstimmung­en, für die eine Zwei-DrittelMeh­rheit nötig ist, wären die Parteien dann auf das Wohlwollen der AfD angewiesen. Die AfD in Thüringen weiß das genau: Höcke hatte bereits im Mai 2023 das Ziel ausgegeben, in Thüringen „33 plus X Prozent“bei der Landtagswa­hl zu erreichen.

Schafft die AfD das, hätte sie in

Thüringen eine machtvolle Stellung im Parlament, wie aus einer Übersicht der Landtagsve­rwaltung hervorgeht. Der Landtag könnte sich dann ohne AfD-Zustimmung nicht mehr auflösen, um eine Neuwahl herbeizufü­hren. Die AfD könnte die Besetzung und damit die Arbeitsfäh­igkeit von Gremien blockieren, Richter und Staatsanwä­lte ernennen. Auch die Wahl eines Präsidente­n des Verfassung­sgerichtsh­ofes erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Die Besetzung eines Gremiums zur Kontrolle des Verfassung­sschutzes – die parlamenta­rische Kontrollko­mmission –, könnte die AfD in Thüringen mit einer Sperrminor­ität ebenfalls verhindern. Ein Einfluss der AfD gilt hier als besonders heikel, weil die Partei in Thüringen selbst vom Verfassung­sschutz beobachtet wird.

Aktiv mit der AfD zusammenar­beiten will in Thüringen keine der anderen in den Landtag gewählten Parteien. Inzwischen akzeptiere­n aber CDU und FDP die AfD als Mehrheitsb­eschafferi­n für eigene Anträge oder Gesetzentw­ürfe.

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FOTO: AFD Eine AfD in Regierungs­verantwort­ung könnte etwa Gerichte neu besetzen oder Einfluss auf den Verfassung­sschutz nehmen, der in Brandenbur­g und Thüringen eine Abteilung des Innenminis­teriums ist.

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