Warum die AfD in Thüringen mit mehr Macht rechnen kann
In Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden im Herbst Landtage gewählt. Die AfD könnte dort stärkste Kraft werden – neue Machtoptionen scheinen möglich.
ERFURT (dpa) Björn Höcke als Ministerpräsident – bislang gilt dieses Szenario als eher unwahrscheinlich. Doch in der Thüringer AfD träumen einige schon von der absoluten Mehrheit nach der Landtagswahl 2024. AfD-Landes- und Fraktionschef Höcke sprach im November bei einem Landesparteitag in Pfiffelbach so, als könnte er Regierungschef werden. Er sagte dort Sätze wie „Wenn ich dann als Ministerpräsident ...“, „meine Regierung“oder „eine der ersten Maßnahmen, die wir in Thüringen mit einer AfD-Regierung umsetzen...“.
Während Hunderttausende Menschen in Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, plant die AfD in Thüringen ein Schattenkabinett aufzustellen – mit AfD-Leuten für mögliche Ministerposten. Die Landesverbände in Sachsen und Thüringen werden von den dortigen Verfassungsschutzämtern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet, die AfD in Brandenburg ist ein Verdachtsfall.
In allen drei Ländern liegt die Partei in Umfragen auf Platz eins – mit Werten teils über 30 Prozent. Daran scheinen auf den ersten Blick auch die bundesweiten Demonstrationen nichts zu ändern, nachdem das Recherchenetzwerk Correctiv ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam öffentlich gemacht hatte, an dem auch AfD-Politiker teilnahmen. Nach einer Infratest dimap-Umfrage kommt die AfD in Sachsen auch nach Veröffentlichung der Recherchen auf 35 Prozent – und wäre damit stärkste Kraft. Dagegen müssen SPD und Grüne um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. In Thüringen könnten Grüne und FDP rausfliegen – sollten beide an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würde die absolute Mehrheit für die AfD im Landtag näher rücken.
Auf den ersten Blick sei die AfD noch „sehr weit“von der absoluten Mehrheit entfernt und damit von der
Möglichkeit allein zu regieren, sagt der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. „Wir müssen aber berücksichtigen, dass es am Ende auf die Hälfte der Sitze im Landtag ankommt.“In einem Thüringer Parlament mit nur noch vier Parteien statt sechs könnte die AfD möglicherweise schon mit gut 40 Prozent die Hälfte der Sitze erhalten. „Das ist nicht ganz ausgeschlossen“, so der Experte. Es komme auch darauf an, ob eine Wagenknecht-Partei antritt und in den Landtag kommt. Auch
Ex-Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen will mit seiner Werteunion eine Partei gründen. Möglich also, dass im Erfurter Landtag am Ende nicht weniger, sondern mehr Parteien vertreten sind.
Eine AfD in Regierungsverantwortung könnte Gerichte neu besetzen oder Einfluss auf den Verfassungsschutz nehmen, der in Brandenburg und Thüringen eine Abteilung des Innenministeriums ist. „Wir werden den Verfassungsschutz zurückpfeifen“, sagte kürzlich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Brandenburger Landtag, Dennis Hohloch.
In sieben Monaten Wahlkampf kann sich aber noch vieles ändern. In Thüringen und Sachsen wird am 1. September gewählt, in Brandenburg drei Wochen später. Umfragewerte sind noch keine Wahlergebnisse und mit Unsicherheiten behaftet. In allen drei Ländern könnte die AfD wohl nur mit einer absoluten Mehrheit in Regierungsverantwortung kommen, weil alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit ablehnen.
Doch auch ohne Regierungsbeteiligung könnten sich für die AfD bei guten Wahlergebnissen neue Möglichkeiten eröffnen.
Wird die AfD in Thüringen stärkste Kraft, kann sie nach den Gepflogenheiten des Parlaments einen Kandidaten als Präsidenten des Landtags vorschlagen. Fällt er bei der Wahl durch, wäre das Parlament zumindest vorerst nicht arbeitsfähig – eine womöglich einmalige Situation in Deutschland. Würde der AfD-Kandidat dagegen gewählt, wäre dieser Leiter des Verfahrens der Ministerpräsidentenwahl.
In den drei ostdeutschen Bundesländern könnte die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im jeweiligen Landtag erhalten. Für alle Abstimmungen, für die eine Zwei-DrittelMehrheit nötig ist, wären die Parteien dann auf das Wohlwollen der AfD angewiesen. Die AfD in Thüringen weiß das genau: Höcke hatte bereits im Mai 2023 das Ziel ausgegeben, in Thüringen „33 plus X Prozent“bei der Landtagswahl zu erreichen.
Schafft die AfD das, hätte sie in
Thüringen eine machtvolle Stellung im Parlament, wie aus einer Übersicht der Landtagsverwaltung hervorgeht. Der Landtag könnte sich dann ohne AfD-Zustimmung nicht mehr auflösen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Die AfD könnte die Besetzung und damit die Arbeitsfähigkeit von Gremien blockieren, Richter und Staatsanwälte ernennen. Auch die Wahl eines Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Die Besetzung eines Gremiums zur Kontrolle des Verfassungsschutzes – die parlamentarische Kontrollkommission –, könnte die AfD in Thüringen mit einer Sperrminorität ebenfalls verhindern. Ein Einfluss der AfD gilt hier als besonders heikel, weil die Partei in Thüringen selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Aktiv mit der AfD zusammenarbeiten will in Thüringen keine der anderen in den Landtag gewählten Parteien. Inzwischen akzeptieren aber CDU und FDP die AfD als Mehrheitsbeschafferin für eigene Anträge oder Gesetzentwürfe.