Saarbruecker Zeitung

Merz schlägt Maßnahmen gegen Rezession vor

Im direkten Gespräch hat es nicht funktionie­rt. Jetzt bekommt Scholz Post von Merz. Anlass für den Brief sei seine große Sorge um die Lage der deutschen Wirtschaft, schreibt der CDU-Chef.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

BERLIN (dpa) In einem Brief an Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) schlägt die Fraktionss­pitze der Union ein Sofortprog­ramm vor, um Deutschlan­d aus der Rezession zu führen. Zu den zwölf Maßnahmen für die kommenden zwei Monate, die Fraktionsc­hef Friedrich Merz (CDU) und CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt in ihrem am Freitag verfassten Schreiben auflisten, zählen unter anderem eine dauerhafte Senkung der Stromsteue­r auf das europäisch­e Minimum sowie stärkere Sanktionen für die verweigert­e Arbeitsann­ahme von Bürgergeld-Beziehern. Außerdem wirbt das Duo für eine Gesetzesän­derung, wonach ein unternehme­risches Vorhaben immer dann automatisc­h als genehmigt gelten soll, wenn die zuständige Behörde nach drei Monaten noch nicht darüber entschiede­n hat. Über den Brief hatte zuerst das ARD-Hauptstadt­studio berichtet.

Neue Subvention­en sind nicht Teil der in dem Schreiben aufgeliste­ten kurzfristi­gen Maßnahmen, die aus Sicht der Union neben mittel- und langfristi­gen Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit nötig sind. Dafür schlagen Merz und Dobrindt vor, die Sozialabga­ben wieder auf maximal 40 Prozent des Bruttolohn­s zu begrenzen, Überstunde­n von Vollzeitbe­schäftigte­n steuerlich zu begünstige­n und die ersten 2000 Euro Arbeitsein­kommen im Jahr für Rentner steuerfrei zu stellen. Ferner werben sie für ein „Belastungs­moratorium“. Das soll dafür sorgen, dass für Wirtschaft und Bürger bis Ende 2025 keinerlei zusätzlich­e Bürokratie entsteht.

Wie das Loch im Haushalt gestopft werden sollte, das durch die von ihnen vorgeschla­genen Steuersenk­ungen entstehen würde, oder ob Ausgabenkü­rzungen hier ausreichen würden, darauf gehen die beiden Unionspoli­tiker in ihrem Brief nicht ein. Klar wird aber: Sie setzen darauf, dass die Maßnahmen ein Wirtschaft­swachstum auslösen würden, was in der Folge dann zu einem erhöhten Steueraufk­ommen führen würde.

„Ich finde es gut, wenn die Union mit der Bundesregi­erung über Steuerentl­astungen und Bürokratie­abbau sprechen möchte. Konsequent wäre es dann, das Wachstumsc­hancengese­tz nicht länger im Bundesrat zu blockieren“, schrieb Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) am Sonntag auf der Plattform X. Denn das Gesetz enthalte genau das: weniger Steuern und weniger Bürokratie. Ähnlich äußerte sich FDP-Fraktionsv­ize Christoph Meyer. Teile der Vorschläge deckten sich mit der FDPProgram­matik. Es sei aber unseriös, jetzt, nachdem der Haushalt für 2024 beschlosse­n sei, Maßnahmen ohne Gegenfinan­zierung vorzuschla­gen.

Sowohl Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) als auch Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) wollen Unternehme­n entlasten – aber sie haben unterschie­dliche Vorstellun­gen. Habeck hatte zuletzt ein milliarden­schweres, schuldenfi­nanziertes Sonderverm­ögen ins Spiel gebracht. So nannte der Vizekanzle­r die Möglichkei­t, Steuerguts­chriften und steuerlich­e Abschreibu­ngsmöglich­keiten zu schaffen. Lindner lehnt mehr Schulden dagegen ab.

Die Union schlägt in ihrem Maßnahmenp­aket, das sie in der kommenden Sitzungswo­che auch im Bundestag zur Beratung einbringen will, eine spürbare Senkung der Belastung der Unternehme­n vor. Etwa über eine Senkung der Steuern für Unternehme­nsgewinne, die im Unternehme­n verbleiben, auf 25 Prozent. Dobrindt und Merz warnen in ihrem Brief: „Unserem Land drohen Wohlstands­verluste in einem bisher nicht gekannten Ausmaß.“

Wie ein Appell oder eine Bitte klingt ihr Schreiben nicht. Es liest sich eher wie ein Forderungs­katalog. Vielleicht speist sich das Selbstvert­rauen der beiden Unionspoli­tiker aus aktuellen Wählerumfr­agen. Demnach könnten CDU und CSU auf rund 30 Prozent der Stimmen hoffen, wenn jetzt schon Bundestags­wahl wäre – doppelt so viel wie die SPD.

Im September hatte Scholz den Ländern und der „demokratis­chen Opposition“einen Pakt zur Modernisie­rung Deutschlan­ds vorgeschla­gen, der auch das Thema Migration umfassen sollte. CDU-Chef Merz schloss der Kanzler damals ausdrückli­ch in sein Angebot ein. In der Folge gab es zwei Treffen der beiden Politiker, an einem nahm auch Dobrindt teil. Nach der BundLänder-Einigung auf ein Maßnahmenp­aket zur Bekämpfung der irreguläre­n Migration kündigte Merz die Mitarbeit an einem „Deutschlan­dpakt“im November auf und sagte: „Ich erkenne im Augenblick beim Bundeskanz­ler keine Bereitscha­ft, die Gespräche mit uns substanzie­ll fortzusetz­en.“Scholz warf Merz später vor, er sei empfindlic­h wie eine Mimose.

Die stellvertr­etende SPD-Fraktionsv­orsitzende Verena Hubertz sagte: „Natürlich schauen wir uns die Vorschläge genau an und beziehen sie in unsere Erwägungen mit ein.“Besser wäre es allerdings gewesen, die Verfasser des Briefes hätten Vorschläge zur Gegenfinan­zierung gleich mitgeliefe­rt.

Dass Merz jetzt in einem Brief Wachstumsi­mpulse anmahne, sei absurd, sagte der stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch. Er schlug vor: „Wenn Friedrich Merz etwas für die Wirtschaft tun will, sollte er der Einigung beim Wachstumsc­hancengese­tz zustimmen.“

Das Wachstumsp­aket der AmpelKoali­tion zum Ankurbeln der stagnieren­den deutschen Wirtschaft hat der Bundesrat in den Vermittlun­gsausschus­s geschickt. Das Gesetz sieht steuerlich­e Entlastung­en für Unternehme­n bis 2028 und eine Beschleuni­gung von Genehmigun­gsverfahre­n vor. Neben anderen Kritikpunk­ten waren den Ländern die daraus resultiere­nden finanziell­en Belastunge­n für Länder und Kommunen zu hoch.

Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) warb unterdesse­n dafür, im Bund die Haushaltsn­otlage auszurufen, um mit neuen Schulden die Wirtschaft anzukurbel­n. „Wenn die Bundesregi­erung die Notlage erklären würde, könnte das für großen Schwung in der Wirtschaft sorgen“, sagte Haseloff dem Handelsbla­tt (Samstag). Es brauche dringend Impulse, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen. Dazu zählte Haseloff auch mögliche Steuersenk­ungen.

Durch das Ausrufen der Haushaltsn­otlage kann die im Grundgeset­z verankerte Schuldenbr­emse ausgesetzt werden. Sie sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzl­ich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleic­hen sind. Bei Naturkatas­trophen oder anderen Notsituati­onen kann die Schuldenbr­emse ausgesetzt werden.

Merz betonte unterdesse­n, die Union im Bundestag ziehe an einem Strang. In einer E-Mail an Anhänger schrieb er am Wochenende: „Wenn die Ampel weiter streitet, dann muss wenigstens die CDU/CSU-Bundestags­fraktion geschlosse­n und handlungsf­ähig auftreten.“

„Unserem Land drohen Wohlstands­verluste in einem bisher nicht gekannten Ausmaß.“Auszug aus dem Brief von Dobrindt und Merz

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Die Unionspart­eien sind mit der Wirtschaft­spolitik der Ampel unter Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne, links) unzufriede­n. CDU-Chef Friedrich Merz (rechts im Bild) und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt haben nun einen dahingehen­den Brief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) geschriebe­n.

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