Saarbruecker Zeitung

„Die Ukraine verteidigt unsere Freiheit“

- DIE FRAGEN STELLTEN JAN DREBES UND HOLGER MÖHLE.

„Regime in Kiew“beseitigt sehen.

HEUSGEN Putin muss erleben, dass er mit seiner Strategie nicht weiterkomm­t. Das wird erst passieren, wenn er sieht, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. Von seiner Aussage, diesen Krieg nur mit Freiwillig­en zu bestreiten, ist Putin schon abgerückt. Er muss immer mehr junge Leute zwangsrekr­utieren. Es gibt Unzufriede­nheit mit dem Putin-Regime. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Ukraine ebenso am Limit kämpft.

Trauen Sie Putin einen Angriff gegen ein Nato-Land zu?

HEUSGEN

Natürlich. Putin hat ja mehrfach gesagt, dass die größte Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts der Zerfall der Sowjetunio­n war, weil damit viele Russen außerhalb der Grenzen Russlands gestrandet sind. Er will ein Groß-Russland in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunio­n wiederhers­tellen, ein russisches Weltimperi­um, in dem er zarengleic­h herrscht. Sollte Putin den Krieg in der Ukraine nicht verlieren, müssen wir damit rechnen, dass er auch nach der Republik Moldau oder den baltischen Staaten greift.

Dann wäre die Nato im Krieg mit Russland!

HEUSGEN Ich will nicht darüber spekuliere­n, was Putin wirklich wagt. Aber wir müssen alles tun, damit die Ukraine jene Waffen und Militärhil­fe bekommt, die sie bräuchte, um sich gegen die russischen Aggressore­n erfolgreic­h zu wehren und sie von ihrem Staatsgebi­et wieder zu vertreiben. Die Ukrainer verteidige­n auch unsere Sicherheit und Freiheit. Deswegen wäre es verheerend, wenn die US-Republikan­er das Ukraine-Hilfepaket blockieren würden.

Muss Putin nur warten, bis Donald Trump die US-Wahlen gewinnt, dann hat er freie Hand?

HEUSGEN Wir sind viel zu voreilig, wenn wir davon ausgehen, dass Donald Trump die US-Präsidents­chaftswahl gewinnt. Joe Biden hat eine gute Chance, wiedergewä­hlt zu werden. Trump agiert erratisch, er spricht heute so und erzählt morgen schon wieder eine andere Geschichte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Präsident, der Amerika wieder groß machen möchte, es gut findet, wenn er von Putin vorgeführt wird.

Sind Deutschlan­d und Europa auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump ausreichen­d vorbereite­t?

HEUSGEN Wir müssen einfach unsere Hausaufgab­en machen. Zwei Prozent vom Bruttoinla­ndsprodukt für Verteidigu­ng sind der Maßstab, wenn uns unsere Sicherheit wirklich etwas wert ist. Wir werden daran nicht vorbeikomm­en. Als Kaninchen vor der Schlange werden wir es nicht schaffen. Ich finde es absolut richtig, dass Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius eine Kampfbriga­de mit 5000 Soldatinne­n und Soldaten dauerhaft in Litauen stationier­en will.

Welche Chancen sehen Sie für einen Waffenstil­lstand oder gar Frieden in Nahost?

HEUSGEN Ich hoffe sehr darauf, dass Israel das umsetzt, was 150 Staaten in der UN-Generalver­sammlung gefordert haben: einen Waffenstil­lstand im Gazastreif­en. Ich erwarte von UN-Generalsek­retär António Guterres bei seiner Auftaktred­e bei der Münchner Sicherheit­skonferenz, dass er die Welt an die Stärke des Rechts erinnert, das über dem Recht des Stärkeren stehen muss! Wenn nicht, dann werden wir im Dschungel landen. Wir brauchen einen Waffenstil­lstand so schnell wie möglich.

Und ein Waffenstil­lstand könnte auch den Geiseln zugutekomm­en?

HEUSGEN Es hat bislang keine Geiselbefr­eiungen durch das Militär gegeben. Ich bezweifle, ob Israel mit seiner bisherigen militärisc­hen Strategie nachhaltig Erfolg im Kampf gegen die Hamas haben wird. Geiseln werden am ehesten freikommen, wenn die Waffen schweigen.

Auch im Roten Meer würde wieder Ruhe einkehren.

Welcher Status des Gazastreif­ens ist denn nach dieser Eskalation überhaupt denkbar?

HEUSGEN Da ist das Völkerrech­t eindeutig. Gaza gehört zu einem palästinen­sischen Staat, der laut UN-Resolution auf seine Gründung wartet. Ich halte es deshalb für inakzeptab­el, dass ein Minister der Regierung Netanjahu eine Rückkehr israelisch­er Siedler in den Gazastreif­en fordert und die Palästinen­ser zur „Abwanderun­g ermutigt“. Am Ende sollte auch Israel ein Interesse haben, die palästinen­sische Autonomieb­ehörde zu stärken, bevor der Terror der Hamas weiter um sich greift. Wie es mit dem Gazastreif­en weitergehe­n kann, wird sicher auch ein wichtiges Gesprächst­hema auf der kommenden Sicherheit­skonferenz sein.

 ?? FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA ?? Christoph Heusgen setzt im Ukraine-Konflikt auf „Frieden durch Dialog“.
FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Christoph Heusgen setzt im Ukraine-Konflikt auf „Frieden durch Dialog“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany