„Die Ukraine verteidigt unsere Freiheit“
„Regime in Kiew“beseitigt sehen.
HEUSGEN Putin muss erleben, dass er mit seiner Strategie nicht weiterkommt. Das wird erst passieren, wenn er sieht, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. Von seiner Aussage, diesen Krieg nur mit Freiwilligen zu bestreiten, ist Putin schon abgerückt. Er muss immer mehr junge Leute zwangsrekrutieren. Es gibt Unzufriedenheit mit dem Putin-Regime. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Ukraine ebenso am Limit kämpft.
Trauen Sie Putin einen Angriff gegen ein Nato-Land zu?
HEUSGEN
Natürlich. Putin hat ja mehrfach gesagt, dass die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts der Zerfall der Sowjetunion war, weil damit viele Russen außerhalb der Grenzen Russlands gestrandet sind. Er will ein Groß-Russland in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion wiederherstellen, ein russisches Weltimperium, in dem er zarengleich herrscht. Sollte Putin den Krieg in der Ukraine nicht verlieren, müssen wir damit rechnen, dass er auch nach der Republik Moldau oder den baltischen Staaten greift.
Dann wäre die Nato im Krieg mit Russland!
HEUSGEN Ich will nicht darüber spekulieren, was Putin wirklich wagt. Aber wir müssen alles tun, damit die Ukraine jene Waffen und Militärhilfe bekommt, die sie bräuchte, um sich gegen die russischen Aggressoren erfolgreich zu wehren und sie von ihrem Staatsgebiet wieder zu vertreiben. Die Ukrainer verteidigen auch unsere Sicherheit und Freiheit. Deswegen wäre es verheerend, wenn die US-Republikaner das Ukraine-Hilfepaket blockieren würden.
Muss Putin nur warten, bis Donald Trump die US-Wahlen gewinnt, dann hat er freie Hand?
HEUSGEN Wir sind viel zu voreilig, wenn wir davon ausgehen, dass Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewinnt. Joe Biden hat eine gute Chance, wiedergewählt zu werden. Trump agiert erratisch, er spricht heute so und erzählt morgen schon wieder eine andere Geschichte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Präsident, der Amerika wieder groß machen möchte, es gut findet, wenn er von Putin vorgeführt wird.
Sind Deutschland und Europa auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump ausreichend vorbereitet?
HEUSGEN Wir müssen einfach unsere Hausaufgaben machen. Zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung sind der Maßstab, wenn uns unsere Sicherheit wirklich etwas wert ist. Wir werden daran nicht vorbeikommen. Als Kaninchen vor der Schlange werden wir es nicht schaffen. Ich finde es absolut richtig, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Kampfbrigade mit 5000 Soldatinnen und Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren will.
Welche Chancen sehen Sie für einen Waffenstillstand oder gar Frieden in Nahost?
HEUSGEN Ich hoffe sehr darauf, dass Israel das umsetzt, was 150 Staaten in der UN-Generalversammlung gefordert haben: einen Waffenstillstand im Gazastreifen. Ich erwarte von UN-Generalsekretär António Guterres bei seiner Auftaktrede bei der Münchner Sicherheitskonferenz, dass er die Welt an die Stärke des Rechts erinnert, das über dem Recht des Stärkeren stehen muss! Wenn nicht, dann werden wir im Dschungel landen. Wir brauchen einen Waffenstillstand so schnell wie möglich.
Und ein Waffenstillstand könnte auch den Geiseln zugutekommen?
HEUSGEN Es hat bislang keine Geiselbefreiungen durch das Militär gegeben. Ich bezweifle, ob Israel mit seiner bisherigen militärischen Strategie nachhaltig Erfolg im Kampf gegen die Hamas haben wird. Geiseln werden am ehesten freikommen, wenn die Waffen schweigen.
Auch im Roten Meer würde wieder Ruhe einkehren.
Welcher Status des Gazastreifens ist denn nach dieser Eskalation überhaupt denkbar?
HEUSGEN Da ist das Völkerrecht eindeutig. Gaza gehört zu einem palästinensischen Staat, der laut UN-Resolution auf seine Gründung wartet. Ich halte es deshalb für inakzeptabel, dass ein Minister der Regierung Netanjahu eine Rückkehr israelischer Siedler in den Gazastreifen fordert und die Palästinenser zur „Abwanderung ermutigt“. Am Ende sollte auch Israel ein Interesse haben, die palästinensische Autonomiebehörde zu stärken, bevor der Terror der Hamas weiter um sich greift. Wie es mit dem Gazastreifen weitergehen kann, wird sicher auch ein wichtiges Gesprächsthema auf der kommenden Sicherheitskonferenz sein.