105 kostbare Minuten für Olaf Scholz mit Joe Biden
Der Kanzler und der US-Präsident appellieren im Weißen Haus an den US-Kongress, weiteren Militärhilfen für die Ukraine zuzustimmen.
WASHINGTON Olaf Scholz sitzt im Oval Office rechts neben Joe Biden in einem mit gelbem Stoff bezogenen Sessel. Hinter ihm hängt die Ahnengalerie der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, es sind die Ölgemälde von George Washington, Abraham Lincoln und anderen früheren US-Präsidenten. Ein helles Kaminfeuer hinter Scholz und Biden prasselt so laut, dass man den Hausherrn des Weißen Hauses kaum verstehen kann. Biden spricht leise und undeutlich, auf seinem Schoß liegt ein Sprechzettel für diese ersten fünf Minuten mit dem Kanzler, bei denen die Presse noch dabei sein darf.
Biden dankt dem Bundeskanzler für die Militärhilfe Deutschlands an die Ukraine. „Sie haben etwas getan, von dem niemand dachte, dass es gelingen könnte: Sie haben die deutsche Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr verdoppelt“, sagt der US-Präsident. Dann ist der Gast an der Reihe, ein paar Worte zu sagen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. In einem „lächerlichen“Interview mit dem US-Sender Fox News habe Kreml-Chef Wladimir Putin Lügen über den Grund seines Überfalls auf die Ukraine verbreitet, sagt Scholz. Denn der liege allein in seinem imperialistischen Landhunger.
Er hoffe sehr, dass auch der USKongress bald neue Hilfen für die Ukraine beschließt, sagt Scholz in sehr gutem Englisch. Ohne die Unterstützung der USA und Europas habe die Ukraine keine Chance, das eigene Land gegen Putin zu verteidigen. Biden betont, dass das bisherige Scheitern des Kongresses, die angeforderten Hilfen freizugeben, fast schon „kriminelle Nachlässigkeit“und „unerhört“sei. Dann klatscht der 81-Jährige in die Hände, sagt „Thank you, Ladies and Gentlemen“– die Reporter brüllen noch Fragen, die unbeantwortet bleiben.
Am Ende sind es 105 Minuten, die Scholz mit Biden an diesem Freitagnachmittag im Weißen Haus verbringt, eine Stunde unter vier Augen, weitere 45 Minuten mit engsten Beratern. Dafür ist der Kanzler extra den weiten Weg aus Berlin gekommen, es ist der alleinige Zweck seiner 24-stündigen Stippvisite.
Scholz hat vor allem eine Mission: Er will Biden im Ringen mit dem Kongress um ein neues Hilfspaket für die Ukraine unterstützen – auch wenn sich Trumps Truppen von dem Deutschen wohl kaum überzeugen ließen. Die weitere US-Hilfe für das überfallene Land, das erbittert um seine Freiheit kämpft, nennt er nach dem Gespräch mit Biden „unverzichtbar“. Es ist eindeutig: Ohne die US-Hilfe würde die Ukraine nach Scholz´ Einschätzung ihren Freiheitskampf verlieren. Und nicht nur sie hätte verloren, auch der freie Westen.
Die EU hat der Ukraine zwar gerade 50 Milliarden Euro bis 2027 zugesagt. Allein Deutschland schultert seit Kriegsbeginn 30 Milliarden Euro, berichtet Scholz dem US-Präsidenten. Doch Europa könnte nach der Einschätzung des Kanzlers die Lücke nicht schließen, fielen die USA als wichtigster Unterstützer aus. So schnell könnte es die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie nicht hochfahren. Zudem fehlt in vielen Regierungen der Wille, in den öffentlichen Haushalten umzuschichten und mehr für die Ukraine auszugeben. Scholz ermahnt andere große EU-Länder wie Frankreich, Italien und Spanien bereits seit Wochen – bislang vergeblich.
Der Kanzler hat sich in den letzten zwei Kriegsjahren vom Zauderer zum Antreiber gewandelt. Zu Kriegsbeginn war es umgekehrt: Damals forderte Biden den Deutschen auf, endlich Waffen in die Ukraine zu liefern. Heute fordert Scholz vom US-Kongress dasselbe. Biden, den er einen engen Freund nennt, muss Scholz nicht überzeugen. Es sind die von Ex-Präsident Donald Trump gesteuerten Republikaner, an denen ein weiteres Hilfspaket für die Ukraine bisher scheitert. Trump will Biden schaden, wo er nur kann: Im November will er die US-Wahl gegen ihn gewinnen.
Erst am Mittwoch hatten die Republikaner ihre Zustimmung zu einem fertig ausgehandelten Deal verweigert, wonach die UkraineHilfe mit Mitteln für den besseren Grenzschutz gegen Migranten aus Südamerika verknüpft werden sollte. Trump hat diesen Deal verhindert, obwohl dieser republikanischen Interessen entgegenkam. Nun gibt es einen neuen Anlauf für ein Hilfspaket, das 90 Milliarden Euro für die Ukraine, Israel und Taiwan umfasst. Die Außen- und Sicherheitspolitiker auch bei den Republikanern seien überzeugt, dass die USA die Ukraine weiter unterstützen müssten, sagt Scholz nach einem Gespräch mit Kongressabgeordneten am Donnerstagabend. Er sei weiter zuversichtlich, dass es die Zustimmung im Kongress noch geben wird. Allerdings versuchten Trump-Anhänger am Freitag, auch das neue Paket mit Verfahrensanträgen zu kippen.
In den 105 Minuten sprechen Scholz und Biden auch über die Lage in Nahost. Als letzte Freunde Israels sehen sich Biden und Scholz in der Rolle, die israelische Regierung eindringlich zu ermahnen, das Völkerrecht im Gaza-Krieg einzuhalten und mehr humanitäre Hilfe für die Palästinenser zuzulassen.