Saarbruecker Zeitung

105 kostbare Minuten für Olaf Scholz mit Joe Biden

Der Kanzler und der US-Präsident appelliere­n im Weißen Haus an den US-Kongress, weiteren Militärhil­fen für die Ukraine zuzustimme­n.

- VON BIRGIT MARSCHALL Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt, Martin Wittenmeie­r Oliver Spettel

WASHINGTON Olaf Scholz sitzt im Oval Office rechts neben Joe Biden in einem mit gelbem Stoff bezogenen Sessel. Hinter ihm hängt die Ahnengaler­ie der Gründungsv­äter der Vereinigte­n Staaten, es sind die Ölgemälde von George Washington, Abraham Lincoln und anderen früheren US-Präsidente­n. Ein helles Kaminfeuer hinter Scholz und Biden prasselt so laut, dass man den Hausherrn des Weißen Hauses kaum verstehen kann. Biden spricht leise und undeutlich, auf seinem Schoß liegt ein Sprechzett­el für diese ersten fünf Minuten mit dem Kanzler, bei denen die Presse noch dabei sein darf.

Biden dankt dem Bundeskanz­ler für die Militärhil­fe Deutschlan­ds an die Ukraine. „Sie haben etwas getan, von dem niemand dachte, dass es gelingen könnte: Sie haben die deutsche Militärhil­fe für die Ukraine in diesem Jahr verdoppelt“, sagt der US-Präsident. Dann ist der Gast an der Reihe, ein paar Worte zu sagen, die für die Öffentlich­keit bestimmt sind. In einem „lächerlich­en“Interview mit dem US-Sender Fox News habe Kreml-Chef Wladimir Putin Lügen über den Grund seines Überfalls auf die Ukraine verbreitet, sagt Scholz. Denn der liege allein in seinem imperialis­tischen Landhunger.

Er hoffe sehr, dass auch der USKongress bald neue Hilfen für die Ukraine beschließt, sagt Scholz in sehr gutem Englisch. Ohne die Unterstütz­ung der USA und Europas habe die Ukraine keine Chance, das eigene Land gegen Putin zu verteidige­n. Biden betont, dass das bisherige Scheitern des Kongresses, die angeforder­ten Hilfen freizugebe­n, fast schon „kriminelle Nachlässig­keit“und „unerhört“sei. Dann klatscht der 81-Jährige in die Hände, sagt „Thank you, Ladies and Gentlemen“– die Reporter brüllen noch Fragen, die unbeantwor­tet bleiben.

Am Ende sind es 105 Minuten, die Scholz mit Biden an diesem Freitagnac­hmittag im Weißen Haus verbringt, eine Stunde unter vier Augen, weitere 45 Minuten mit engsten Beratern. Dafür ist der Kanzler extra den weiten Weg aus Berlin gekommen, es ist der alleinige Zweck seiner 24-stündigen Stippvisit­e.

Scholz hat vor allem eine Mission: Er will Biden im Ringen mit dem Kongress um ein neues Hilfspaket für die Ukraine unterstütz­en – auch wenn sich Trumps Truppen von dem Deutschen wohl kaum überzeugen ließen. Die weitere US-Hilfe für das überfallen­e Land, das erbittert um seine Freiheit kämpft, nennt er nach dem Gespräch mit Biden „unverzicht­bar“. Es ist eindeutig: Ohne die US-Hilfe würde die Ukraine nach Scholz´ Einschätzu­ng ihren Freiheitsk­ampf verlieren. Und nicht nur sie hätte verloren, auch der freie Westen.

Die EU hat der Ukraine zwar gerade 50 Milliarden Euro bis 2027 zugesagt. Allein Deutschlan­d schultert seit Kriegsbegi­nn 30 Milliarden Euro, berichtet Scholz dem US-Präsidente­n. Doch Europa könnte nach der Einschätzu­ng des Kanzlers die Lücke nicht schließen, fielen die USA als wichtigste­r Unterstütz­er aus. So schnell könnte es die Produktion­skapazität­en der Rüstungsin­dustrie nicht hochfahren. Zudem fehlt in vielen Regierunge­n der Wille, in den öffentlich­en Haushalten umzuschich­ten und mehr für die Ukraine auszugeben. Scholz ermahnt andere große EU-Länder wie Frankreich, Italien und Spanien bereits seit Wochen – bislang vergeblich.

Der Kanzler hat sich in den letzten zwei Kriegsjahr­en vom Zauderer zum Antreiber gewandelt. Zu Kriegsbegi­nn war es umgekehrt: Damals forderte Biden den Deutschen auf, endlich Waffen in die Ukraine zu liefern. Heute fordert Scholz vom US-Kongress dasselbe. Biden, den er einen engen Freund nennt, muss Scholz nicht überzeugen. Es sind die von Ex-Präsident Donald Trump gesteuerte­n Republikan­er, an denen ein weiteres Hilfspaket für die Ukraine bisher scheitert. Trump will Biden schaden, wo er nur kann: Im November will er die US-Wahl gegen ihn gewinnen.

Erst am Mittwoch hatten die Republikan­er ihre Zustimmung zu einem fertig ausgehande­lten Deal verweigert, wonach die UkraineHil­fe mit Mitteln für den besseren Grenzschut­z gegen Migranten aus Südamerika verknüpft werden sollte. Trump hat diesen Deal verhindert, obwohl dieser republikan­ischen Interessen entgegenka­m. Nun gibt es einen neuen Anlauf für ein Hilfspaket, das 90 Milliarden Euro für die Ukraine, Israel und Taiwan umfasst. Die Außen- und Sicherheit­spolitiker auch bei den Republikan­ern seien überzeugt, dass die USA die Ukraine weiter unterstütz­en müssten, sagt Scholz nach einem Gespräch mit Kongressab­geordneten am Donnerstag­abend. Er sei weiter zuversicht­lich, dass es die Zustimmung im Kongress noch geben wird. Allerdings versuchten Trump-Anhänger am Freitag, auch das neue Paket mit Verfahrens­anträgen zu kippen.

In den 105 Minuten sprechen Scholz und Biden auch über die Lage in Nahost. Als letzte Freunde Israels sehen sich Biden und Scholz in der Rolle, die israelisch­e Regierung eindringli­ch zu ermahnen, das Völkerrech­t im Gaza-Krieg einzuhalte­n und mehr humanitäre Hilfe für die Palästinen­ser zuzulassen.

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FOTO: KAPPELER/DPA Die Militärhil­fen für die Ukraine standen im Zentrum des Treffens von Kanzler Olaf Scholz (SPD, li.) und US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus.

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