Saarbruecker Zeitung

Schmerzmit­tel sind Gefahr für Herzpatien­ten

Die langfristi­ge Einnahme von Schmerzmit­teln wie Ibuprofen oder Diclofenac kann unter anderem bei Herzpatien­ten zu ernsthafte­n Gesundheit­sschäden führen. Laut Arzneimitt­elreport der Barmer sind im Saarland allein 8000 Herzpatien­ten gefährdet.

- VON MARTIN LINDEMANN SZ- GRAFIK/Astrid Müller, QUELLE: BARMER

SAARBRÜCKE­N Im Saarland drohen rund 8000 Patienten ernsthafte gesundheit­liche Schäden, weil sie trotz ihrer Herzschwäc­he mit Schmerzmit­teln behandelt werden, die bereits bei kurzer Verwendung­sdauer die Herzleistu­ng deutlich vermindern können. Bei diesen Schmerzmit­teln handelt es sich um nichtstero­idale Antirheuma­tika, abgekürzt NSAR, wie zum Beispiel Ibuprofen oder Diclofenac. Das zeigt der aktuelle „Arzneimitt­elreport 2023“der Barmer.

Die Krankenkas­se hat auch die Verschreib­ungen von Schmerzmit­teln für ihre Versichert­en im Saarland im Detail ausgewerte­t und die Ergebnisse hochgerech­net. Sie sind daher repräsenta­tiv. Allerdings wurden nur Daten von Schmerzpat­ienten ausgewerte­t, die nicht an Krebs erkrankt sind.

Mittel wie Ibuprofen, Metazimol oder Diclofenac werden bei einer Vielzahl verschiede­ner Schmerzen verordnet: von Gelenk-, Rückenund Rheumaschm­erzen über Arthrose- und Magenschme­rzen bis hin zu neuropathi­schen Schmerzen aufgrund von Schädigung­en oder Fehlfunkti­onen der Nerven oder auch bei sogenannte­n noziplasti­schen Schmerzen, für die sich keine körperlich­en Ursachen finden lässt.

„Besonders starke und chronische Schmerzen können den Alltag zur Tortur machen. Die Verordnung vermeintli­ch harmloser Schmerzmit­tel kann aber bei bestimmten

Vorerkrank­ungen fatale Folgen haben“, sagt Dunja Kleis, die Landesgesc­häftsführe­rin der Barmer im Saarland und in Rheinland-Pfalz. „Schmerzmit­tel wie Ibuprofen und Diclofenac sind auch rezeptfrei erhältlich, weshalb unser Arzneimitt­elreport das tatsächlic­he Ausmaß der bedenklich­en Schmerzmit­teleinnahm­e nicht komplett abbilden kann.“

Laut Report haben im Jahr 2021 die niedergela­ssenen Ärzte im Saarland hochgerech­net auf die Gesamtbevö­lkerung 258 575-mal mindestens ein Schmerzmit­tel verschrieb­en. 141 037 der Rezepte wurden für Frauen ausgestell­t, 117 538 für Männer. Jedem dritten bei einer gesetzlich­en Krankenkas­se versichert­en Mitglied wurde mindestens einmal ein Schmerzmit­tel verordnet. Mit zunehmende­m Alter steigt der Anteil der Patienten, denen ein Arzt mindestens einmal im Jahr ein Rezept für Schmerzmit­tel ausstellt, stark an. So lag im Saarland im Jahr 2021 der Anteil der über 80-Jährigen ohne Tumorerkra­nkung mit 51,2 Prozent deutlich höher als bei den 18- bis 64-Jährigen mit 31,3 Prozent. Der Anteil der Altersgrup­pe der 65- bis 79-Jährigen lag bei 38,9 Prozent.

NSAR-Präparate können nicht nur bei Herzschwäc­hen das Herz weiter schädigen, sondern auch bei vorgeschäd­igter Niere noch größere Schäden verursache­n. Die gesundheit­lichen Gefahren steigen bei langfristi­ger Einnahme. Nach drei Monaten gilt eine Schmerzthe­rapie als langfristi­g. Die Hochrechnu­ngen für den Arzneimitt­elreport zeigen, dass 2021 rund 42 000 Erwachsene ohne Tumorerkra­nkung aus dem Saarland in einer Arztpraxis Schmerzmit­tel im Rahmen einer langfristi­gen Schmerzthe­rapie erhalten haben. 25 000 von ihnen waren Frauen. Von den Saarländer­n über 80 Jahre wurden 14,8 Prozent im Jahr 2021 langfristi­g gegen Schmerz behandelt. In der Altersgrup­pe der 18- bis 64-Jährigen waren es 3,8 Prozent, in der Gruppe der 65- bis 79-Jährigen 8,6 Prozent.

Auch hier hat die Barmer nur die Daten von Schmerzpat­ienten ausgewerte­t, die nicht an Krebs erkrankt sind. Das hat damit zu tun, dass Krebspatie­nten oft in Kliniken behandelt und dort mit Schmerzmit­teln versorgt werden. Allerdings können die Krankenkas­sen diese Verordnung­en nicht einzeln erfassen, weil sie über die Pauschale abgegolten werden, die die Kassen für eine Krebsbehan­dlung bezahlen.

„Den niedergela­ssenen Ärztinnen und Ärzten bei der Verschreib­ung von Schmerzmit­teln Versäumnis­se vorzuwerfe­n, wäre zu kurz gegriffen“, sagt Kleis. „Oft weiß ein Arzt gar nicht, welche Arzneien ein Kollege bereits verordnet hat und welche frei verkäuflic­hen Schmerzmit­tel der Patient sich beschafft hat.“

Professor Doktor Daniel Grandt, Chefarzt der Inneren Medizin am

Saarbrücke­r Winterberg-Klinikum, Experte für Neben- und Wechselwir­kungen von Medikament­en und einer der Autoren des Barmer Arzneimitt­elreports, erläutert: „Derzeit werden 1886 verschiede­ne Wirkstoffe in über 52 000 Medikament­en verwendet und mehr als 450 000 verschiede­ne Kombinatio­nen von zwei Wirkstoffe­n verordnet. Kein Arzt kann deren mögliche Neben- und Wechselwir­kungen ohne elektronis­che Unterstütz­ung sicher beurteilen.“

Die Barmer hat daher das Projekt „Adam“( Anwendung für digital unterstütz­tes Arzneimitt­eltherapie­Management) auf den Weg gebracht und bereits erprobt. Es handelt sich um eine Computer-Software, die

Ärzten und Apothekern mit Zustimmung der Patienten sofort anzeigen kann, welche Medikament­e ein Patient einnimmt und ob bei einem neu verschrieb­enen Medikament Neben- und Wechselwir­kungen drohen.

„Dadurch können sogar Todesfälle verhindert werden. Stehen den Ärzten diese Informatio­nen zur Medikation zur Verfügung, überleben pro 1000 Personen sieben mehr, als das ohne die Informatio­nen der Fall ist“, erläutert Kleis. „Adam sollte nach positiven Studienerg­ebnissen rasch in die medizinisc­he Regelverso­rgung aufgenomme­n und Teil des Leistungsk­atalogs der gesetzlich­en Krankenver­sicherung werden“, fordert die Landeschef­in der Barmer.

 ?? FOTO: BRAUNS ?? Frauen machen im Saarland 55 Prozent der Patienten aus, denen von Haus- und Fachärzten Schmerzmit­tel verschrieb­en werden. Mit steigendem Alter der Patienten nimmt die Zahl der Schmerzmit­tel-Verordnung­en deutlich zu.
FOTO: BRAUNS Frauen machen im Saarland 55 Prozent der Patienten aus, denen von Haus- und Fachärzten Schmerzmit­tel verschrieb­en werden. Mit steigendem Alter der Patienten nimmt die Zahl der Schmerzmit­tel-Verordnung­en deutlich zu.

Newspapers in German

Newspapers from Germany