Braun statt Blau-Schwarz: Fußball in der NS-Zeit
Die neue Ausgabe der „ Saarbrücker Hefte“widmet sich unter anderem der Vergangenheit des 1. FC Saarbrücken, dem „ Saarvenir“– und dem saarländischen Dichter Johannes Kühn.
SAARBRÜCKEN Nun, das kann man schon prophetisch nennen: Die aktuelle Ausgabe der „Saarbrücker Hefte“ist diesmal mit sechs verschiedenen Titelbildern erschienen – eines davon, ein Linoldruck der Saarbrücker Künstlerin Anne Welter, zeigt das Saarbrücker Ludwigsparkstadion als große Wasserfläche namens „Ludwigspoolstadion“. Wohlgemerkt: Gestaltet und gedruckt wurde das lange vor dem buchstäblich abgesoffenen Spiel des 1. FC Saarbrücken im DFBPokal gegen Mönchengladbach am vergangenen Mittwoch.
Der Saarbrücker Verein ist eines der Themen der Ausgabe 128. Luca Zarbock blickt auf dessen Vergangenheit während der Nazi-Zeit. Der Autor studiert in Trier „Demokratische Politik und Kommunikation“, forscht dort zu Antisemitismus. In seinem Text „Blau-Schwarz unterm Hakenkreuz“kritisiert er, dass der FCS, der einst Fußballverein Saarbrücken (FVS) hieß, seine NS-Zeit nicht aufarbeite. Aus Desinteresse? Oder eher deshalb, weil der Verein, wie Zarbock schreibt, „ein williger Unterstützer der völkischen nationalsozialistischen Propaganda gewesen“sei? Schon 1918 hätten führende Vertreter des Fußballvereins Saarbrücken gegen die Aufnahme deutsch-französischer Sportbeziehungen gehetzt; für Karl Jose, einige Jahre lang Vereinsvorsitzender und Sprecher des Rasensportverbands, sei der Sport zentral gewesen „in dem Kampfe um die Erhaltung des Deutschtums im Saargebiet“(Zitat Jose).
Nach der Machtübernahme der Nazis Ende Januar 1933, als das Saargebiet noch bis zur Volksabstimmung 1935 unter Völkerbundsmandat stand, habe der FV Saarbrücken im deutschen Reich für den Anschluss geworben. Der Text zitiert den damaligen Vereinsführer Peter Kalter, der in Dresden zu Protokoll gab, dass man sich „ganz wohl an der Saar“fühle, „aber nur, wenn deutsche Luft weht“. Das Saargebiet wolle man „unserem Volkskanzler (…) zu treuen Händen zurückgeben“. Ab 1934 habe es völkisch getönte Vorträge bei Mannschaftsabenden gegeben; bei der Saarabstimmung 1935 habe der Verein den Transport älterer und kranker Menschen zum Wahllokal sichergestellt – wenn sie für den Anschluss an NS-Deutschland stimmen wollten. 1937 schwärmt die Vereinszeitung von einem „unter der Führung Adolf Hitlers so schön gewordenen Deutschland“. Zarbok wünscht sich seitens des FC „einen kritischen Blick auf die eigene Vergangenheit“– da seien andere Vereine deutlich weiter, etwa Eintracht Frankfurt – die Aufarbeitung würde auch gut passen, argumentiert er, zu der aktuellen Vereinskampagne „Blau-Schwarz ist Vielfalt“.
In einem weiteren Text attestiert
Zarbock der Fanszene des heutigen FCS „eine politische Weiterentwicklung in den vergangenen Jahren“. Die Ultra-Gruppen „Boys“und „Clique Canaille“etwa hätten im vergangenen Oktober mit einem Spruchband im FCS-Block an den aus Saarbrücken stammenden Widerstandskämpfer der Weißen Rose Willi Graf erinnert; dies und andere Aktionen machen „Hoffnung auf eine Zukunft, in der blau-schwarze Vielfalt tief in der DNA der Fankurve verankert ist“.
Weitere Themen des aktuellen Hefts sind unter anderem der Prozess im Mordfall Samuel Yeboah und ein Interview mit der Landtagsabgeordneten Kira Braun (SPD), Obfrau des Untersuchungsausschusses dazu. Ein „Großteil der Gesellschaft“habe damals „weggeschaut“, sagt sie, und die Stadt Saarlouis müsse sich jetzt damit auseinandersetzen, „dass sie erst durch ein Gerichtsurteil gezwungen wurde, anzuerkennen, dass es sich 1991 um einen rassistischen Brandanschlag gehandelt hat“.
Autor Bernd Nixdorf nimmt mit genüsslicher Ironie das „Saarvenir“auseinander; Werner Ried tut das, wenn auch ohne Ironie, mit der saarländischen Verkehrspolitik, was die Eisenbahn angeht.
Gewidmet ist die Ausgabe dem saarländischen Dichter Johannes Kühn, der im Oktober 2023 gestorben ist. Michael Krüger, einst und lange Lektor, dann Verlagsleiter und Geschäftsführer bei Hanser, erinnert sich an seine Besuche im Saarland. Denn mit dem Schriftsteller Ludwig „Luckel“Harig (1927-2018) war Krüger befreundet, seit er 1977 dessen Band „Die saarländische Freude“verlegt hatte. Bei den „Luckel“-Besuchen traf er unter anderem Oskar Lafontaine „mit seiner damaligen, im Gegensatz zur heutigen völlig uneitlen Frau Inge“, wie Krüger schreibt – und über Kühns Freunde Irmgard und Benno Rech eben auch Kühn selbst. Dessen Werk verlegte Krüger dann ebenfalls; nach einiger Zeit durfte er Kühn „Chann“nennen, „was nur wirklich Eingeweihte sagen durften“. Als Kühn den HölderlinPreis erhielt, sagte er sachlich: „Sehr schön.“Und, schreibt Krüger, „dabei sah er so aus, als würde er denken: Darauf hätten die doch schon früher kommen können.“
Bernd Scherer, lange Intendant des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin, nennt Kühn in seinem
Nachruf einen „Kompass für mich in dieser Welt“, einen „Wegbegleiter durch das Leben“. Kühns Lyrik habe ihn gelehrt, die „Landschaft zu sehen“, die den gebürtigen Saarländer Scherer in seiner Jugend umgeben habe. Zudem bricht er eine Lanze für den politischen Lyriker Kühn, oder zumindest für den nicht unpolitischen, auch wenn dessen Kunst „keine ideologischen oder im engeren Sinne moralischen Positionen“vertreten habe. Aber Kühn sei als „Winkelgast“an seinem täglichen Schreibort in einer Hasborner Gastwirtschaft wie ein Gegenentwurf gewesen zum „Realisten“, der sich „in seiner Welt eingerichtet hat“, die Welt in Ordnung findet. Kühn nicht, seine Kunst mache „den Reichtum der Erfahrungswelt des Menschen gegen die Eindimensionalität des Realisten wieder sichtbar“. Ob und wie dem so ist, lässt sich in der „Hefte“-Ausgabe anhand einiger Gedichte Kühns nachprüfen, von denen manche hier erstmals veröffentlicht sind. Auch Zeichnungen Kühns sind abgedruckt.
Für einen weiteren Text über ihn begab sich Ekkehart Schmidt, für die „Hefte“ein bewährter Wanderer durch die saarländische Kneipenlandschaft, noch zu Lebzeiten des Dichters auf dessen Spuren im Hasborner „Landgasthaus Huth“(„de Huddi“). Doch beim ersten Besuch fand Schmidt weder Kühn noch einen freien Platz. Jahre später wollte er es nochmal versuchen, es kam etwas dazwischen, der Termin wurde verschoben, und dann starb Johannes Kühn überraschend – der „Winkelgast“.
Saarbrücker Hefte 128, 86 Seiten, 9,90 Euro. Im Buchhandel und unter www.saarbrueckerhefte.de