Aus dem Leben der „Génération Mitterand“
Der Regisseur und Autor Léo Cohen-Papermann bringt eine ganze Serie über die Staatspräsidenten Frankreichs seit de Gaulle im Forbacher Le Carreau auf die Bühne.
FORBACH Eine Serie von Theaterstücken über deutsche Bundespräsidenten seit 1945 mag man sich nicht wirklich vorstellen. Auch nicht als verlängerten Schulunterricht für die Jugend. Das kann doch nur langweilig werden. Schließlich spielen die Präsidenten bei uns politisch auch nicht so die große Rolle. Aber würde man ins Theater gehen, wenn alle Bundeskanzler und Madame Merkel Thema wären? In Forbach standen am Donnerstag Jacques Chirac und am Freitag François Mitterrand auf der Nationaltheaterbühne Le Carreau. Die 150 Plätze im kleinen Saal im Untergeschoss waren schon lang im Vorfeld ausverkauft, die Wartelisten lang, hieß es.
Die Probe aufs Exempel mit „Génération Mitterand“war alles andere als enttäuschend. Man ging hier in den Keller, um sogar zu lachen. Und hinterher blieben so viele so lange wie selten oben an der Bar, um bei einem Wein noch in Grüppchen zu diskutieren. Genauso wie Léo CohenPaperman, der sich als Regisseur und Autor mit wechselnden Co-Autoren die Theaterserie für seine Compagnie des Animaux en Paradis ausgedacht hat, es erwartet hatte. Warum? Zum einen, weil die Zuschauer schon mit einer sehr starken, politischen wie emotionalen Einstellung zu den Hauptfiguren des Abends ins Theater kämen, wie Theatermann CohenPaperman, Jahrgang 1988, der SZ in einem exklusiven Gespräch kurz vor der Aufführung erzählt. „Man hat Mitterrand oder Chirac entweder geliebt oder gehasst, selbst wenn man sie nicht gekannt hat.“Deshalb sei das ein Stoff, der in Frankreich quasi jeden anspreche.
Frankreich habe stets geschwankt zwischen dem Wunsch nach Demokratie und nach Monarchie, sagt Cohen-Paperman. Das habe de Gaulle gewusst (und gesagt), und daher den Präsidenten in der Verfassung der V. Republik diese starke Rolle zugewiesen.
„Die Präsidenten ersetzen in der Vorstellungswelt der Franzosen die Könige, zu denen man eine starke Bindung hat, man sieht in ihnen die Heilsbringer und am Ende köpft man sie, in Frankreich spielt man dieses historische Drama immer aufs Neue nach“, fügt der Regisseur noch erklärend hinzu. Mitterrand, der sphinxhafte Hoffnungsträger voller Geheimnisse, erweist sich in dieser Hinsicht für die Bühne als besonders ergiebig.
Drei Schauspieler verkörpern an diesem Abend drei unterschiedliche Vertreter der Linken, die ihn gewählt hatten: Julie, eine Pariser Politik-Journalistin, Michel, Arbeiter bei Alstom, und Luc, Lehrer in einer Einwanderstadt bei Lyon. Nacheinander in je einem Akt schildern und spielen sie, wie sie die Ära Mitterrand erlebten, angefangen vom euphorischen 10. Mai 1981, dem Tag des ersten Wahlsiegs, bis zu Mitterrands Tod.
Der äußerst gelungene Dreh des Stücks besteht darin, dass jeder in seinem Akt auch immer wieder in die Rolle Mitterrands schlüpft – dessen typischer roter Schal als Verkleidung genügt dafür, und wir so in die Hinterzimmer einblicken, in denen König Mitterrand mit seinem Premier, Ministern und Beratern taktisch-strategisch Entscheidungen trifft. Erst noch großer Reformer und Verstaatlicher, sagt er 1982 überraschend. „Wir brauchen eine Pause“– ein verbürgtes Zitat von Jacques Delors, das der Präsident hier wie „his masters voice“nachspricht. Die Wende zur Spar- beziehungsweise Austeritätspolitik haben ihm viele auch im Nachhinein nie verziehen. Licht und Schattenseiten des Staatsmanns werden angetippt. Etwa, dass er der Öffentlichkeit verschwieg, dass ihm die Ärzte bei Amtsantritt eine Krebsdiagnose mit einer Lebenserwartung zwischen drei Monaten bis drei Jahren bescheinigten. Oder auch wie der Staat unter Mitterrand die Organisation S.O.S. Racisme für seine Zwecke benutzte. Und nicht zuletzt Mitterrands Kehrtwende zu einer Politik pro Europa, pro Maastrichter Verträge, für die er nur eine knappe Mehrheit seiner Landsleute gewinnen konnte.
Die Mischung zwischen großen politischen Entscheidungen, die mit Pokerface getroffen werden, und individuellem Erleben der drei Mitterrand-Fans, die sich mit ihrem Umfeld heftig streiten und auch emotional sein dürfen und ironischkomisch, macht das Geschehen auf der Bühne sehr lebendig. Zumal die drei Schauspieler mit hohem Körpereinsatz spielen, mit hoher Präsenz, sich auch mal direkt ans Publikum wenden.
„Huit rois (nos présidents)“hat Léo Cohen-Paperman sein Gesamtprojekt überschrieben, das er nicht chronologisch und in sechs Theaterstücken realisiert. Jedes soll entsprechend der Persönlichkeit der Titelfigur auch eine eigene ästhetische Form erhalten, verrät der Autor-Regisseur im SZ-Gespräch. „De Gaulle wird eine Oper, Sarkozy wird eine One-Man-Show, Hollande ein Clownsstück, Macron wird digitale Kunst werden, es spielt gleichzeitig im Internet, Giscard ist ein Dinner bei den Franzosen, ein Boulevardtheater-Stück in alter Manier“. Das Giscard-Stück ist übrigens schon fertig und auf Tournee in Frankreich. Zum Saisonbeginn im Oktober kommt es auch ins Forbacher Le Carreau. Dann aber, steht jetzt schon fest, auf die Bühne im großen Saal des Hauses. Da ist dann hoffentlich für alle Platz.