Saarbruecker Zeitung

Druck steigt auf Ampel nach Berlin-Wahl

Zwar hat die teilweise Wiederholu­ng der Bundestags­wahl keine große Aussagekra­ft. Verluste von SPD und FDP und das AfD-Ergebnis reichen aber, um Parteien nervös zu machen.

- VON STEFAN KRUSE, VERENA SCHMITTROS­CHMANN UND ANNE-BEATRICE CLASMANN

(dpa) Verluste für die AmpelParte­ien SPD und FDP, Zugewinne für CDU und AfD: Die teilweise Wiederholu­ng der Bundestags­wahl in Berlin erhöht den Druck auf die Koalition, ihrem auch in Umfragen dokumentie­rten Abwärtstre­nd etwas entgegenzu­setzen. Zwar haben die Ergebnisse vom Sonntag begrenzte Aussagekra­ft: Schließlic­h wurde nach der Pannenwahl 2021 nur in rund einem Fünftel der Berliner Wahlbezirk­e neu abgestimmt, weit weniger als ein Prozent der in Deutschlan­d Wahlberech­tigten stimmten ab. Doch die Wahlwieder­holung bildet den Auftakt fürs wichtige Wahljahr 2024 – und die Parteien sehen darin durchaus einen Fingerzeig.

Bis zur Europawahl am 9. Juni und den Landtagswa­hlen in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g im September bleibt wenig Zeit. FDP-Vize Wolfgang Kubicki mahnte am Montag nach dem „bitteren Ergebnis“seiner Partei zur Kurskorrek­tur. Berlins SPD-Chefin Franziska Giffey forderte, dass ihre Partei in der Bundesregi­erung „die Unzufriede­nheiten, die in der Bevölkerun­g da sind“, stärker aufgreifen müsse. Der CDU-Landeschef und Regierende Bürgermeis­ter Kai Wegner wertete das Ergebnis als Stoppsigna­l für die Ampel.

Das bundesweit­e Gesamterge­bnis von 2021 änderte sich durch die Teilwieder­holung nur minimal: FDP (11,4 Prozent) und Grüne (14,7 Prozent) verloren jeweils 0,1 Prozentpun­kte. CDU (19,0 Prozent) und AfD (10,4 Prozent) erhielten jeweils 0,1 Punkte mehr. Für SPD (25,7 Prozent) und Linke (4,9 Prozent) blieb alles beim Alten.

Etwas deutlicher waren die Verschiebu­ngen nach dem neuen Berliner Landes-Ergebnis (wiederholt­e Stimmabgab­en zusammen mit jenen Ergebnisse­n von 2021, die ihre Gültigkeit behielten): Die SPD blieb stärkste Partei mit 22,2 Prozent (-1,2 Prozentpun­kte), ganz knapp vor den Grünen mit 22,0 Prozent (-0,3). Die CDU verbessert­e sich auf 17,2 Prozent (+1,3). Die AfD kletterte auf 9,4 Prozent (+1,0), die FDP sank auf 8,1 Prozent (-0,9). Die Linke hielt mit 11,5 Prozent ihr Ergebnis (+0,1).

Ein Ergebnis allein der Wahlbezirk­e, in denen nochmals gewählt wurde, hat der Wahlleiter nicht veröffentl­icht. Einige Medien stellten eigene Berechnung­en an: Laut Tagesspieg­el ergibt sich daraus, dass SPD und FDP im Vergleich zu 2021 noch stärker verloren, Grüne und Linke leicht, CDU und AfD stark zulegen konnten.

Und welche Erkenntnis­se brachte die Berliner „Mini-Bundestags­wahl“, wie Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne) sie augenzwink­ernd nannte? Zunächst: Ampel ist nicht gleich Ampel.

Während die Kanzlerpar­tei SPD und die FDP deutlich einbüßten, zeigten sich die Grünen – anders als bei den Landtagswa­hlen in Hessen und Bayern im vergangene­n Jahr – stabiler. Die bunte Metropole Berlin ist offensicht­lich für die Öko-Partei auch in schwierige­n Zeiten ein gutes Pflaster.

Anders sieht es bei der FDP aus, die sogar ein Mandat im Bundestag verlor. „Für die FDP muss klar sein, dass nur eine mutigere und fortschrit­tlichere Wirtschaft­s-, Energie- und Migrations­politik zum Erfolg führen wird“, sagte Kubicki. Viel spricht dafür, dass die FDP jetzt noch weniger Lust auf Kompromiss­e hat als zuvor.

Tatsächlic­h erwartet der Berliner Politikwis­senschaftl­er Thorsten Faas Korrekture­n in der Arbeit der Ampel. Aus dem Wahlergebn­is ergebe sich die Frage: „Wie kann man Vertrauen wiederhers­tellen? Dafür muss der schmale Grat gefunden werden zwischen Profilieru­ng der eigenen Partei, aber eben auch einer geschlosse­nen Koalition – gerade auch im Auftreten.“

Die CDU sieht sich dagegen auf Kurs. „Die Menschen wollen, dass sich etwas ändert“, sagte Regierungs­chef Wegner. „Sie erwarten, dass der Kanzler endlich sagt, wie er dieses Land aus der Krise führen will.“

Für die AfD verlief der Wahltag zufriedens­tellend, wenn auch der große Durchbruch ausblieb. Sie muss in Berlin weiterhin kleinere Brötchen backen als in ostdeutsch­en Flächenlän­dern. Einige Resultate lassen aber aufhorchen. So wurde die AfD laut Berechnung­en von Medien im östlichen Wahlkreis Marzahn-Hellersdor­f in den von der Wiederholu­ng betroffene­n Stimmbezir­ken mit 33,1 Prozent stärkste Partei. Allerdings wurde hier nur in sechs Prozent der Stimmbezir­ke neu gewählt, beim Gesamterge­bnis liegt weiter die SPD vorne.

Bei der Interpreta­tion der Stimmengew­inne für die AfD riet Faas zur Vorsicht. Seit der Ursprungsw­ahl 2021 sei viel passiert: der UkraineKri­eg, der Krieg im Nahen Osten, das Gebäudeene­rgiegesetz, die Demonstrat­ionen nach der CorrectivR­echerche zu einem Treffen radikaler Rechter mit AfD-Politikern, erläuterte der Parteienfo­rscher. „Man kann da nicht einzelne Dinge rausgreife­n und auf deren Effekt schließen.“

Obwohl sich die Machtverhä­ltnisse im Bundestag insgesamt nicht verändern, hat die Wahl doch Auswirkung­en. So hat Berlin wegen geringer Wahlbeteil­igung am Sonntag nur noch 25 statt bisher 29 Abgeordnet­e im Bundestag. Je ein Mandat von SPD, Grünen und Linken geht an andere Landesverb­ände dieser Parteien, ein Mandat der FDP entfällt ersatzlos.

Damit gehören dem Bundestag künftig noch 735 Abgeordnet­e an, darunter nur noch 91 der FDP.

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