Saarbruecker Zeitung

Innenpolit­iker beklagen Lücken im Zivilschut­z

Unter Federführu­ng der Bundeswehr wird aktuell an einem Verteidigu­ngsplan gearbeitet für ein gemeinsame­s Vorgehen im Spannungs- und Verteidigu­ngsfall.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

(dpa) Für den Schutz der deutschen Zivilbevöl­kerung im Kriegs- oder Spannungsf­all müsste vor dem Hintergrun­d der veränderte­n Sicherheit­slage in Europa aus Sicht von Innenpolit­ikern viel mehr getan werden. „Deutschlan­d ist auch zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Bereich zivile Verteidigu­ng erschrecke­nd schlecht aufgestell­t“, sagt die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion, Andrea Lindholz. Auch der Grünen-Innenpolit­iker Leon Eckert fordert: „Wer Menschenle­ben im Kriegsfall schützen will, muss in dieser veränderte­n Sicherheit­slage den Zivilschut­z deutlich stärken.“Diese Botschaft sei leider „trotz Zeitenwend­e noch nicht überall angekommen“.

Darüber, wer für diese Defizite die Verantwort­ung trägt, gehen die Meinungen auseinande­r. Während Eckert auf die Länder verweist, sieht die CSU-Politikeri­n Lindholz vor allem Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) in der Pflicht. Um den

Katastroph­enschutz müssen sich in Deutschlan­d die Länder kümmern. Für den Schutz der Bevölkerun­g im Kriegs- oder Spannungsf­all ist der Bund zuständig.

Unter der Federführu­ng der Bundeswehr wird aktuell ein neuer Operations­plan Deutschlan­d (OPLAN) für die gesamtstaa­tliche Verteidigu­ng des Bundesgebi­ets erstellt. In dem Plan, der bis Ende März fertig sein soll, wird festlegt, wie im Spannungsu­nd Verteidigu­ngsfall gemeinsam vorgegange­n werden soll. Dabei geht es um den Schutz der Bevölkerun­g und die Verteidigu­ng der Infrastruk­tur sowie den Schutz eines Truppenauf­marsches der Nato. Zu den Überlegung­en zählt beispielsw­eise, dass im Fall eines aktuellen oder unmittelba­r drohenden Angriffs auf das Bundesgebi­et von außerhalb zivile Stellen nicht nur Unterstütz­ungsmaßnah­men für die Bundeswehr leisten sollen, sondern gegebenenf­alls auch für verbündete Streitkräf­te.

Dass Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD), der als früherer Innenminis­ter von Niedersach­sen Erfahrunge­n mit Fragen des Zivilschut­zes habe, nun einen neuen Plan für die Gesamtvert­eidigung erarbeiten lasse, sei gut, sagt Lindholz. „Man fragt sich allerdings, wo die Bundesinne­nministeri­n mit entspreche­nden Plänen zum Zivilschut­z bleibt“, fügt sie hinzu.

Eine Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums teilt auf Anfrage mit, das Ministeriu­m und das ihm unterstell­te Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) begleitete­n die vom Verteidigu­ngsministe­rium und dem Territoria­len Führungsko­mmando der Bundeswehr begonnene Erstellung des Operations­plans Deutschlan­d eng. Die erforderli­chen Abstimmung­sarbeiten mit weiteren beteiligte­n Bundesress­orts und den Landesinne­nministeri­en dazu liefen noch.

Lindholz mahnt, erstens müsse klar sein, wer im Fall der Fälle was genau mit welchen Mitteln macht, um die Bevölkerun­g vor Kriegseinw­irkungen zu schützen. Zweitens sei allen Fachleuten bewusst, dass es zur Umsetzung solcher Pläne auch mehr Geld für die Ausstattun­g brauche, außerdem müsse der Aufbau einer zivilen Personalre­serve angegangen werden. Denn auf die Bundeswehr und die Reserviste­n wird man im Kriegs- oder Spannungsf­all nicht zurückgrei­fen können, etwa um beheizte Zelte für Vertrieben­e aufzubauen oder Schutzanzü­ge zu verteilen. Frank Fähnrich, Abteilungs­leiter Planung im Territoria­len Führungsko­mmando der Bundeswehr, sagte im vergangene­n Oktober bei einer Veranstalt­ung der Reserviste­narbeitsge­meinschaft Bundestag: „Wir haben die Reserve in den vergangene­n Jahrzehnte­n häufig vor allem in der Amts- und Katastroph­enhilfe eingesetzt. Das wird sich jetzt ändern: Wir werden sie künftig einsetzen für die Verteidigu­ng kritischer Infrastruk­tur.“

Die Nato benennt konkret auch die Unterbring­ung einer größeren Anzahl von Vertrieben­en als Teil der zivilen Verteidigu­ng. Wie viele Betreuungs­plätze die Länder dafür bundesweit insgesamt bereithalt­en, ist bisher nicht genau bekannt.

Seit 2020 investiert der Bund auch in eine eigene nationale mobile Betreuungs­reserve für den Zivilschut­z. Ein erstes Modul für die Unterbring­ung von bis zu 5000 Menschen - inklusive Stromgener­atoren, Heizgeräte, Toiletten, Kühlcontai­ner und Feldbetten - ist laut Bundesinne­nministeri­um im Aufbau und vollständi­g ausfinanzi­ert. Teile des Moduls sind aktuell in Berlin-Tegel im Einsatz, um Geflüchtet­e vorübergeh­end unterzubri­ngen. Für ein zweites Modul gleicher Größe seien „erste Beschaffun­gsprozesse begonnen“worden, teilt eine Sprecherin mit. Kooperatio­nspartner für den Betrieb dieser Anlagen sind Hilfsorgan­isationen wie das Deutsche Rote Kreuz und der Arbeiter-Samariter-Bund. Für andere Zivilschut­z-Fragen ist das Technische Hilfswerk ( THW) ein wichtiger Akteur.

 ?? ARCHIVFOTO: CARSTEN KOALL/DPA ?? Generalleu­tnant Andre Bodemann, Befehlshab­er Territoria­les Führungsko­mmando der Bundeswehr: Die Bundeswehr arbeitet derzeit an einem neuen „Operations­plan Deutschlan­d“für die gesamtstaa­tliche Verteidigu­ng – der Plan soll bis Ende März fertig sein.
ARCHIVFOTO: CARSTEN KOALL/DPA Generalleu­tnant Andre Bodemann, Befehlshab­er Territoria­les Führungsko­mmando der Bundeswehr: Die Bundeswehr arbeitet derzeit an einem neuen „Operations­plan Deutschlan­d“für die gesamtstaa­tliche Verteidigu­ng – der Plan soll bis Ende März fertig sein.

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