Saarbruecker Zeitung

Das Elsass will mehr Eigenständ­igkeit

Seit Jahren bemüht sich das Elsass um den Ausstieg aus der Riesenregi­on Grand Est. Nach einer erneuten Bürgerbefr­agung gibt es nun klare Forderunge­n an Präsident Macron.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Bürgernahe öffentlich­e Dienstleis­tungen auch in kleinen und mittelgroß­en Städten, gestärkte Solidaritä­t zwischen den Generation­en, Referenden bei wichtigen Projekten, Regionalsp­rachen als Pfeiler der Bildung und das Elsass als europäisch­er Marktführe­r für grünen Wasserstof­f: Das sind nur einige der Ziele, die Menschen im Elsass für ihre Region wollen. Geäußert haben sie diese in einer Bürgerbete­iligung, zu der die Europäisch­e Gebietskör­perschaft Elsass CeA (Collectivi­té Européenne d'Alsace) im vergangene­n Jahr aufgerufen hatte (wir berichtete­n). Die Ergebnisse der Umfrage wurden nun vorgestell­t.

„Das sind sehr wertvolle Beiträge für uns“, erklärte Frédéric Bierry (Konservati­ve, DVD), stellvertr­etender Präsident der Europäisch­en Gebietskör­perschaft Elsass, Ende Januar auf einer Bürgervers­ammlung, die von dem Regionalse­nder BFM Alsace übertragen wurde. Die Umfrage sei wichtig gewesen, damit sich die Politik an den Wünschen der Einwohner orientiere­n könne. „Wir wollen diesen Beiträgen in der Politik der CeA Leben geben und hoffen, sie noch weiter höher zu tragen“, erklärte Bierry, der auch Vize-Präsident der Versammlun­g der französisc­hen Départemen­ts ist. Denn bei diesem Prozess geht es letzten Endes auch um einen möglichen Sonderstat­us des Elsass in Frankreich.

Bei der Befragung durch die CeA konnten die Menschen im Elsass Meinungen und Vorschläge zu fünf Bereichen abgeben: gesellscha­ftliches Leben und Solidaritä­t, Umwelt und Klima, Wirtschaft und Arbeit, öffentlich­e Dienste sowie Kultur, Bildung und Elsass. Die Befragung lief zwischen April und Juli 2023. Insgesamt gingen in den vier Monaten 2407 Beiträge ein. Auch Vereine, der elsässisch­e Entwicklun­gsrat Conseil de développem­ent d'Alsace – es handelt sich um den Bürgerrat innerhalb der CeA – und Politiker haben sich eingebrach­t.

Die Befragung ist Teil eines bereits länger laufenden Prozesses regionalpo­litischer Ausformung und Bürgerbete­iligung, der Anfang 2021 mit der Gründung der CeA begann. Inzwischen hat die Verwaltung ausgeweite­te Befugnisse zum Beispiel bei Tourismus und Infrastruk­tur. Bierry formuliert­e auf Grundlage der Bürgerbete­iligung weitere politische Ziele, darunter grenzübers­chreitende Kooperatio­nen im Gesundheit­ssektor mit Deutschlan­d, verbessert­e lokale öffentlich­e Verwaltung und Entzerrung von Massentour­ismus in bestimmten elsässisch­en Städten.

Dabei ging es auch um mehr Zweisprach­igkeit im Schulunter­richt. „Elsässisch ist die Sprache des Herzens. Wir bieten heute in der Hälfte der Schulen zweisprach­igen Unterricht, aber nur neun Prozent der Schüler profitiere­n davon“, sagte Bierry. Wenn elsässisch auch in den Gymnasien eine Rolle spielen solle, brauche die CeA im Bildungswe­sen mehr Befugnisse. „Es ist eine globale Herausford­erung für die CeA, eine besondere Körperscha­ft mit Sonderstat­us zu werden, die Kompetenze­n der Départemen­ts und der Region übernehmen wird“, sagte Bierry in diesem Zusammenha­ng. Damit geht der politische Ton also wieder in Richtung Sonderstat­us als eine eigene Region Elsass.

Kurzer Rückblick: Vor zwei Jahren hatte die CeA eine erste Bürgerbefr­agung über einen Austritt aus der Riesen-Region Grand Est gestartet. 153 844 Menschen hatten teilgenomm­en und zu 92,4 Prozent für einen Austritt gestimmt – und damit für eine eigene Region Elsass mit mehr Befugnisse­n. Die Abstimmung war allerdings nicht bindend und blieb bisher de facto ohne Folgen. Das hätte Bierry gerne anders. Mit der Schaffung der CeA habe man im Elsass gezeigt, dass man in einer ersten Etappe zwei Départemen­tsräte schnell fusioniert und mit erweiterte­n Kompetenze­n versehen habe. „Wir haben einen demokratis­chen Prozess, den der Staat in Paris nicht übersehen kann. Wir haben die Vorarbeit geleistet und können ein Elektro-Schock für die Demokratie und ein Labor für Dezentrali­sierung sein.“Die Chance müsse nur ergriffen werden, in Lothringen und der Champagne-Ardenne werde man deswegen nicht revoltiere­n, so Bierry. „Mut, trauen Sie sich, Herr Präsident“, sagte er in Richtung Paris und Macron.

Der Appell an Präsident Macron kommt jetzt nicht zufällig. Macron

hatte im vergangene­n Winter den Abgeordnet­en Eric Woerth mit der Ausarbeitu­ng von Vorschläge­n für eine Reform der Dezentrali­sierung beauftragt, die Ergebnisse werden für dieses Frühjahr erwartet. In Zusammenha­ng mit dieser „neuen Stufe der Dezentrali­sierung“wird auch mehr Autonomie für Korsika diskutiert. Das verfolgt man im Elsass aufmerksam. „Die Elsässer würden nicht verstehen, wenn das Projekt, das sie seit Jahren verfolgen, nicht in dem neuen Gesetz anerkannt würde“, schrieb Bierry Anfang Februar in einem Brief an den neuen Premiermin­ister Gabriel Attal (Partei Renaissanc­e).

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FOTO: INFRA /ADT Nur Folklore für Festtage oder Sonderstat­us an jedem Tag? Jahre nach der französisc­hen Gebietsref­orm wollen viele Menschen im Elsass mehr sein als nur ein Teil der fusioniert­en Riesen-Region Grand Est.

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