Das Elsass will mehr Eigenständigkeit
Seit Jahren bemüht sich das Elsass um den Ausstieg aus der Riesenregion Grand Est. Nach einer erneuten Bürgerbefragung gibt es nun klare Forderungen an Präsident Macron.
Bürgernahe öffentliche Dienstleistungen auch in kleinen und mittelgroßen Städten, gestärkte Solidarität zwischen den Generationen, Referenden bei wichtigen Projekten, Regionalsprachen als Pfeiler der Bildung und das Elsass als europäischer Marktführer für grünen Wasserstoff: Das sind nur einige der Ziele, die Menschen im Elsass für ihre Region wollen. Geäußert haben sie diese in einer Bürgerbeteiligung, zu der die Europäische Gebietskörperschaft Elsass CeA (Collectivité Européenne d'Alsace) im vergangenen Jahr aufgerufen hatte (wir berichteten). Die Ergebnisse der Umfrage wurden nun vorgestellt.
„Das sind sehr wertvolle Beiträge für uns“, erklärte Frédéric Bierry (Konservative, DVD), stellvertretender Präsident der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass, Ende Januar auf einer Bürgerversammlung, die von dem Regionalsender BFM Alsace übertragen wurde. Die Umfrage sei wichtig gewesen, damit sich die Politik an den Wünschen der Einwohner orientieren könne. „Wir wollen diesen Beiträgen in der Politik der CeA Leben geben und hoffen, sie noch weiter höher zu tragen“, erklärte Bierry, der auch Vize-Präsident der Versammlung der französischen Départements ist. Denn bei diesem Prozess geht es letzten Endes auch um einen möglichen Sonderstatus des Elsass in Frankreich.
Bei der Befragung durch die CeA konnten die Menschen im Elsass Meinungen und Vorschläge zu fünf Bereichen abgeben: gesellschaftliches Leben und Solidarität, Umwelt und Klima, Wirtschaft und Arbeit, öffentliche Dienste sowie Kultur, Bildung und Elsass. Die Befragung lief zwischen April und Juli 2023. Insgesamt gingen in den vier Monaten 2407 Beiträge ein. Auch Vereine, der elsässische Entwicklungsrat Conseil de développement d'Alsace – es handelt sich um den Bürgerrat innerhalb der CeA – und Politiker haben sich eingebracht.
Die Befragung ist Teil eines bereits länger laufenden Prozesses regionalpolitischer Ausformung und Bürgerbeteiligung, der Anfang 2021 mit der Gründung der CeA begann. Inzwischen hat die Verwaltung ausgeweitete Befugnisse zum Beispiel bei Tourismus und Infrastruktur. Bierry formulierte auf Grundlage der Bürgerbeteiligung weitere politische Ziele, darunter grenzüberschreitende Kooperationen im Gesundheitssektor mit Deutschland, verbesserte lokale öffentliche Verwaltung und Entzerrung von Massentourismus in bestimmten elsässischen Städten.
Dabei ging es auch um mehr Zweisprachigkeit im Schulunterricht. „Elsässisch ist die Sprache des Herzens. Wir bieten heute in der Hälfte der Schulen zweisprachigen Unterricht, aber nur neun Prozent der Schüler profitieren davon“, sagte Bierry. Wenn elsässisch auch in den Gymnasien eine Rolle spielen solle, brauche die CeA im Bildungswesen mehr Befugnisse. „Es ist eine globale Herausforderung für die CeA, eine besondere Körperschaft mit Sonderstatus zu werden, die Kompetenzen der Départements und der Region übernehmen wird“, sagte Bierry in diesem Zusammenhang. Damit geht der politische Ton also wieder in Richtung Sonderstatus als eine eigene Region Elsass.
Kurzer Rückblick: Vor zwei Jahren hatte die CeA eine erste Bürgerbefragung über einen Austritt aus der Riesen-Region Grand Est gestartet. 153 844 Menschen hatten teilgenommen und zu 92,4 Prozent für einen Austritt gestimmt – und damit für eine eigene Region Elsass mit mehr Befugnissen. Die Abstimmung war allerdings nicht bindend und blieb bisher de facto ohne Folgen. Das hätte Bierry gerne anders. Mit der Schaffung der CeA habe man im Elsass gezeigt, dass man in einer ersten Etappe zwei Départementsräte schnell fusioniert und mit erweiterten Kompetenzen versehen habe. „Wir haben einen demokratischen Prozess, den der Staat in Paris nicht übersehen kann. Wir haben die Vorarbeit geleistet und können ein Elektro-Schock für die Demokratie und ein Labor für Dezentralisierung sein.“Die Chance müsse nur ergriffen werden, in Lothringen und der Champagne-Ardenne werde man deswegen nicht revoltieren, so Bierry. „Mut, trauen Sie sich, Herr Präsident“, sagte er in Richtung Paris und Macron.
Der Appell an Präsident Macron kommt jetzt nicht zufällig. Macron
hatte im vergangenen Winter den Abgeordneten Eric Woerth mit der Ausarbeitung von Vorschlägen für eine Reform der Dezentralisierung beauftragt, die Ergebnisse werden für dieses Frühjahr erwartet. In Zusammenhang mit dieser „neuen Stufe der Dezentralisierung“wird auch mehr Autonomie für Korsika diskutiert. Das verfolgt man im Elsass aufmerksam. „Die Elsässer würden nicht verstehen, wenn das Projekt, das sie seit Jahren verfolgen, nicht in dem neuen Gesetz anerkannt würde“, schrieb Bierry Anfang Februar in einem Brief an den neuen Premierminister Gabriel Attal (Partei Renaissance).