„Die Walküre“als schlichte Schwarzweiß-Malerei
Bei der Inszenierung der Walküre im Saarländischen Staatstheater trifft Musikalische Exzellenz auf ein überstrapaziertes Inszenierungskonzept und merkliche RegieSchwächen.
In diesen finsteren Zeiten und angesichts einer solchen Macht-und-Meuchel-Oper kann fürs Erste ein bisschen Heiterkeit nicht schaden. „Es handelt sich um Inzest und Ehebruch – man ist begeistert“, brachte der Wagner-vernarrte Loriot „Die Walküre“auf den Punkt. Damit wäre vieles ja schon gesagt.
Was muss man sonst noch wissen? Vielleicht, dass der angeblich so allgewaltige Wotan garantiert in jeder Männerselbsthilfegruppe den Mitleidspreis gewönne (ums mal „wagnerisch“zu konjugieren). Denn wirklich jede mäkelt nur an ihm rum. Allen voran sein (Haupt-)Weib Fricka ( Judith Braun, mit der gebotenen Strenge), die ausgerechnet ihren bekennend polyamourösen Göttergatten nötigt, für die Einhaltung der Ehe zu streiten. Dafür muss der sogar seinen Sohn Siegmund opfern (auch eines seiner unzähligen Lendenfrüchtchen). Aber auch seine versammelten Töchter, die Walküren, reden dem Alten ständig rein. Und als er mal bei Ober-Walküre Brünnhilde hart durchgreifen will, kocht auch sie den Allvater weich – bis der die Strafe mildert.
Im Saarländischen Staatstheater singt der Bayreuth-gestählte Thomas Johannes Mayer just den Part dieses Getriebenen, denn mit Bravour: Kraft und Eleganz adeln diesen Bassbariton. Aber auch sein Vermögen, den Übergott menschlich scheinen zu lassen. Ein zutiefst erschütterter Mann im Seelenstriptease, der Brünnhilde gegenüber seine Lebensbeichte ablegt. Dafür platzieren Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die beim gesamten Saarbrücker „Ring“Regie, Bühnenbild und Kostüme verantworten, Vater und Tochter einfach vis à vis an einen Tisch. Kaltes weißes Kunststoffmobiliar in kaltem weißen Licht: Aber es entsteht da eine unerhört innige Atmosphäre, die dem großartigen Thomas Johannes Mayer und der nicht minder glänzenden Aile Asszonyi, die dramatische Strahlkraft ebenso mühelos abrufen kann, wie sie auch lyrische Verletzlichkeit unter dem Panzer der Kämpferin andeutet, emotional enorme Spielräume öffnet. So klar, so überzeugend kann Regie sein.
Bestünde der Opernabend allein aus solchen Momenten: Die Saar
brücker „Walküre“wäre grandios. Und man könnte sich zur Halbzeit des „Rings“schon für den Schlussapplaus warm klatschen. Aber das All-inclusive-Doppel Szemerédy/ Parditka hat offenbar bereits im „Rheingold“viel von seinem Kreativpotenzial verschossen. So wird auch in der „Walküre“gute vier Stunden lang am optimierten Menschen gewerkelt. Nazi-arisch-blonde Forscher, angeführt von Laborchef Wotan, überwachen in den WalhallLaboratories nazi-arisch-blonde Versuchssubjekte (geschichtsvergessen, wer da nicht Lebensborn-Klischees
assoziiert), die sich ostentativ ständig an die Hinterköpfe fassen müssen, wo Platinen blinken.
Noch allerdings läuft nicht alles rund. Die bald inzestuös verbandelten Zwillinge Siegmund und Sieglind spuren noch nicht wie berechnet, begehren auf. Darum werden ihnen ständig Sedativa gespritzt. Weil es eine fragwürdige Regie eben so will, müssen Peter Sonn und Viktorija Kaminskaite so oft ermattet hingestreckt singen. Dabei hat der österreichische Tenor Power nicht nur für einen Wälsungenruf in ChampionsLeague-Format, sondern auch die
adäquate gestalterische Klasse dazu. Und seine litauische Kollegin betört mit edlem Sopran. Man könnte ihnen das Singen sicher leichter machen. Eben weil das Staatstheater bei der Verpflichtung hochrangiger Gastsolisten wohl einen „Rheingold“-gleichen Schatz eingesetzt hat – oder Logen-listig verhandelte.
Dass aber die betäubten Siegmund und Sieglinde auf der Saarbrücker Bühne überhaupt zueinander finden, zumal sie im ersten Akt lange in getrennten Räumen „gehalten“werden, bleibt ein unerklärliches Wunder einer Inszenierung, die
den Operntext über weite Strecken schlicht ignoriert. Dafür darf man sich an der schon im „Rheingold“ausgewalzten Wordart-Tapete „War ist wird“übersatt sehen, die auf so ziemlich allem pappt. Eine Bühne und Kostüme in schlichter Schwarzweiß-Malerei. Vom „Rheingold“zum Reinfall kann es ein kurzer Weg sein.
Nun ist die (künstliche) Optimierung, die Forschung an dem, was den Menschen eigentlich ausmacht und besser machen könnte, fraglos ein Thema, was sich mit Richard Wagners Monumentalwerk sinnig verbände. Zig-Tausende Deutsche haben sich schließlich bereits einen Chip implantieren lassen, bloß, um damit bezahlen zu können. Und weitaus mehr wären bereit, ihre (technische) Selbstoptimierung sogar noch deutlich weiter zu treiben. Was vermuten lässt, dass bei dem einen oder der anderen Künstliche Intelligenz tatsächlich das eigene Denkvermögen entscheiden beflügeln könnte...
Wenn Theater aber ein solches Großthema grosso modo auf Hinterköpfe mit USB-Port und Bildschirme mit durchrauschenden Binärcodes reduziert, beschleicht einen der Eindruck, das „Kreativteam“hat einfach nur zu oft alte Matrix-Filme geguckt. Zumal sich weitere Regie-Eigenwilligkeiten häufen. Kaum wird von „Wälsungenblut“gesungen, schlitzen sich Siegmund und Sieglinde die Arterien auf. Doch wozu, außer dass der rote Lebenssaft auf schwarz-weißem Hintergrund plakativ abfärbt? Mal davon abgesehen, dass, wenn diese Szene hernach auf zig Monitoren rekapituliert wird, das inzestuöse Paar plötzlich schwarz-weiße Jacken trägt, während sie sich zuvor nur im T-Shirt zur Ader ließen. Hat die Regie da nicht aufgepasst?
So reiht sich Unerklärliches an Ungereimtes: Warum etwa agiert Hunding als Walhall-Lab-Forscher unverdrossen weiter, gleichwohl Wotan den Siegmund-Kontrahenten doch eigentlich mit einem verächtlichen Wink tötet? Immerhin, das Schöne daran ist, dass Hiroshi Matsui, der nobelste Tieftöner des Saarbrücker Hauses, so länger im Spiel bleibt, nachdem er mit seinem Onyx-schwarzen Bass schon einen Hunding von frostig kalter Einzigartigkeit auf die Bühne gewuchtet hat.
Die Buhs für die Regie und die von Pause zu Pause lichteren Reihen konnten daher am Premierenabend kaum überraschen. Gehen aber ist definitiv keine Option. Denn nicht allein die Exzellenz der Sängerinnen und Sänger verpflichtet zum Bleiben. Das Staatsorchester mit seinem Chef Sébastien Rouland schmiedet unüberhörbar gerade an einem „Meisterring“. Vom furiosen Vorspiel zum ersten Akt, der einem Kammerspiel zu dritt gleicht, das Rouland mit feinen, differenzierten Farben ausleuchtet – völlig konträr zur plakativen Regie – hin zum brausenden Walkürensturm, überall findet sich so viel Spannung, aber dann immer wieder auch Finesse, dass man jubeln möchte. Und wie sorgsam Rouland die Sänger mitnimmt, selbst kurze Momente der Text-Irritation wahrnimmt, sofort sensibel reagiert, das ist phänomenal. Musikalisch ist dieser Saarbrücker „Ring“schon jetzt ein Triumph.