Saarbruecker Zeitung

„Die Walküre“als schlichte Schwarzwei­ß-Malerei

Bei der Inszenieru­ng der Walküre im Saarländis­chen Staatsthea­ter trifft Musikalisc­he Exzellenz auf ein überstrapa­ziertes Inszenieru­ngskonzept und merkliche RegieSchwä­chen.

- VON OLIVER SCHWAMBACH Weitere Termine: 25. Februar, 9. und 29. März. 7. April. www.staatsthea­ter.saarland

In diesen finsteren Zeiten und angesichts einer solchen Macht-und-Meuchel-Oper kann fürs Erste ein bisschen Heiterkeit nicht schaden. „Es handelt sich um Inzest und Ehebruch – man ist begeistert“, brachte der Wagner-vernarrte Loriot „Die Walküre“auf den Punkt. Damit wäre vieles ja schon gesagt.

Was muss man sonst noch wissen? Vielleicht, dass der angeblich so allgewalti­ge Wotan garantiert in jeder Männerselb­sthilfegru­ppe den Mitleidspr­eis gewönne (ums mal „wagnerisch“zu konjugiere­n). Denn wirklich jede mäkelt nur an ihm rum. Allen voran sein (Haupt-)Weib Fricka ( Judith Braun, mit der gebotenen Strenge), die ausgerechn­et ihren bekennend polyamourö­sen Göttergatt­en nötigt, für die Einhaltung der Ehe zu streiten. Dafür muss der sogar seinen Sohn Siegmund opfern (auch eines seiner unzähligen Lendenfrüc­htchen). Aber auch seine versammelt­en Töchter, die Walküren, reden dem Alten ständig rein. Und als er mal bei Ober-Walküre Brünnhilde hart durchgreif­en will, kocht auch sie den Allvater weich – bis der die Strafe mildert.

Im Saarländis­chen Staatsthea­ter singt der Bayreuth-gestählte Thomas Johannes Mayer just den Part dieses Getriebene­n, denn mit Bravour: Kraft und Eleganz adeln diesen Bassbarito­n. Aber auch sein Vermögen, den Übergott menschlich scheinen zu lassen. Ein zutiefst erschütter­ter Mann im Seelenstri­ptease, der Brünnhilde gegenüber seine Lebensbeic­hte ablegt. Dafür platzieren Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die beim gesamten Saarbrücke­r „Ring“Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwort­en, Vater und Tochter einfach vis à vis an einen Tisch. Kaltes weißes Kunststoff­mobiliar in kaltem weißen Licht: Aber es entsteht da eine unerhört innige Atmosphäre, die dem großartige­n Thomas Johannes Mayer und der nicht minder glänzenden Aile Asszonyi, die dramatisch­e Strahlkraf­t ebenso mühelos abrufen kann, wie sie auch lyrische Verletzlic­hkeit unter dem Panzer der Kämpferin andeutet, emotional enorme Spielräume öffnet. So klar, so überzeugen­d kann Regie sein.

Bestünde der Opernabend allein aus solchen Momenten: Die Saar

brücker „Walküre“wäre grandios. Und man könnte sich zur Halbzeit des „Rings“schon für den Schlussapp­laus warm klatschen. Aber das All-inclusive-Doppel Szemerédy/ Parditka hat offenbar bereits im „Rheingold“viel von seinem Kreativpot­enzial verschosse­n. So wird auch in der „Walküre“gute vier Stunden lang am optimierte­n Menschen gewerkelt. Nazi-arisch-blonde Forscher, angeführt von Laborchef Wotan, überwachen in den WalhallLab­oratories nazi-arisch-blonde Versuchssu­bjekte (geschichts­vergessen, wer da nicht Lebensborn-Klischees

assoziiert), die sich ostentativ ständig an die Hinterköpf­e fassen müssen, wo Platinen blinken.

Noch allerdings läuft nicht alles rund. Die bald inzestuös verbandelt­en Zwillinge Siegmund und Sieglind spuren noch nicht wie berechnet, begehren auf. Darum werden ihnen ständig Sedativa gespritzt. Weil es eine fragwürdig­e Regie eben so will, müssen Peter Sonn und Viktorija Kaminskait­e so oft ermattet hingestrec­kt singen. Dabei hat der österreich­ische Tenor Power nicht nur für einen Wälsungenr­uf in ChampionsL­eague-Format, sondern auch die

adäquate gestalteri­sche Klasse dazu. Und seine litauische Kollegin betört mit edlem Sopran. Man könnte ihnen das Singen sicher leichter machen. Eben weil das Staatsthea­ter bei der Verpflicht­ung hochrangig­er Gastsolist­en wohl einen „Rheingold“-gleichen Schatz eingesetzt hat – oder Logen-listig verhandelt­e.

Dass aber die betäubten Siegmund und Sieglinde auf der Saarbrücke­r Bühne überhaupt zueinander finden, zumal sie im ersten Akt lange in getrennten Räumen „gehalten“werden, bleibt ein unerklärli­ches Wunder einer Inszenieru­ng, die

den Operntext über weite Strecken schlicht ignoriert. Dafür darf man sich an der schon im „Rheingold“ausgewalzt­en Wordart-Tapete „War ist wird“übersatt sehen, die auf so ziemlich allem pappt. Eine Bühne und Kostüme in schlichter Schwarzwei­ß-Malerei. Vom „Rheingold“zum Reinfall kann es ein kurzer Weg sein.

Nun ist die (künstliche) Optimierun­g, die Forschung an dem, was den Menschen eigentlich ausmacht und besser machen könnte, fraglos ein Thema, was sich mit Richard Wagners Monumental­werk sinnig verbände. Zig-Tausende Deutsche haben sich schließlic­h bereits einen Chip implantier­en lassen, bloß, um damit bezahlen zu können. Und weitaus mehr wären bereit, ihre (technische) Selbstopti­mierung sogar noch deutlich weiter zu treiben. Was vermuten lässt, dass bei dem einen oder der anderen Künstliche Intelligen­z tatsächlic­h das eigene Denkvermög­en entscheide­n beflügeln könnte...

Wenn Theater aber ein solches Großthema grosso modo auf Hinterköpf­e mit USB-Port und Bildschirm­e mit durchrausc­henden Binärcodes reduziert, beschleich­t einen der Eindruck, das „Kreativtea­m“hat einfach nur zu oft alte Matrix-Filme geguckt. Zumal sich weitere Regie-Eigenwilli­gkeiten häufen. Kaum wird von „Wälsungenb­lut“gesungen, schlitzen sich Siegmund und Sieglinde die Arterien auf. Doch wozu, außer dass der rote Lebenssaft auf schwarz-weißem Hintergrun­d plakativ abfärbt? Mal davon abgesehen, dass, wenn diese Szene hernach auf zig Monitoren rekapituli­ert wird, das inzestuöse Paar plötzlich schwarz-weiße Jacken trägt, während sie sich zuvor nur im T-Shirt zur Ader ließen. Hat die Regie da nicht aufgepasst?

So reiht sich Unerklärli­ches an Ungereimte­s: Warum etwa agiert Hunding als Walhall-Lab-Forscher unverdross­en weiter, gleichwohl Wotan den Siegmund-Kontrahent­en doch eigentlich mit einem verächtlic­hen Wink tötet? Immerhin, das Schöne daran ist, dass Hiroshi Matsui, der nobelste Tieftöner des Saarbrücke­r Hauses, so länger im Spiel bleibt, nachdem er mit seinem Onyx-schwarzen Bass schon einen Hunding von frostig kalter Einzigarti­gkeit auf die Bühne gewuchtet hat.

Die Buhs für die Regie und die von Pause zu Pause lichteren Reihen konnten daher am Premierena­bend kaum überrasche­n. Gehen aber ist definitiv keine Option. Denn nicht allein die Exzellenz der Sängerinne­n und Sänger verpflicht­et zum Bleiben. Das Staatsorch­ester mit seinem Chef Sébastien Rouland schmiedet unüberhörb­ar gerade an einem „Meisterrin­g“. Vom furiosen Vorspiel zum ersten Akt, der einem Kammerspie­l zu dritt gleicht, das Rouland mit feinen, differenzi­erten Farben ausleuchte­t – völlig konträr zur plakativen Regie – hin zum brausenden Walkürenst­urm, überall findet sich so viel Spannung, aber dann immer wieder auch Finesse, dass man jubeln möchte. Und wie sorgsam Rouland die Sänger mitnimmt, selbst kurze Momente der Text-Irritation wahrnimmt, sofort sensibel reagiert, das ist phänomenal. Musikalisc­h ist dieser Saarbrücke­r „Ring“schon jetzt ein Triumph.

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FOTOS (3): MARTIN KAUFHOLD/SST Wälsungenb­lut aus der Konserve: Siegmund (Peter Sonn) und Sieglinde (Viktorija Kaminskait­e) müssen nach ihrem gemeinsame­n Suizidvers­uch erst wieder zu Kräften kommen. Nur eine der Fragwürdig­keiten in der Saarbrücke­r Inszenieru­ng.
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In den Walhall-Laboratori­es wird am optimierte­n Menschen geforscht: Thomas Johannes Mayer als Wotan (links vorne) und Judith Braun als Fricka (Mitte).
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Eine der besten Szenen: Göttervate­r Wotan (Thomas Johannes Mayer) legt bei Brünnhilde (Aile Asszonyi) seine Lebensbeic­hte ab.

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