Wenn die Seele im Altersheim Ausgang hat
Was Musik bewirken kann, wie sie auch hochbetagte Menschen verjüngt und glücklich macht, das erleben junge Studierende der Hochschule für Musik Saar Woche für Woche im Seniorenheim Am Steinhübel. Hier hat sich ein eigentlich nur für kurze Zeig angelegtes
Jeden Donnerstag macht sich im Seniorenheim „Haus am Steinhübel“gegen 10 Uhr per Rollator oder im Rollstuhl eine kleine Gruppe älterer Herrschaften zielstrebig auf den Weg in den zum Musiksaal umfunktionierten Andachtsraum. Überpünktlich und immer auch ein wenig aufgeregt. „Mein Wochenhöhepunkt“, flüstert eine alte Dame.
Was im Vorlesungsverzeichnis der HfM Saar noch trocken als „Didaktik der Elementaren Musikpädagogik (EMP)-Praxis“offeriert wird: Für diese zehn Menschen zwischen 80 und stolzen 101 Jahren sind die nun folgenden 45 Minuten voller Musik ein buntes, ganz besonderes Geschenk.
Verblüffend schnell haben sich die neun Damen und Herr M. im Halbrund positioniert, schließlich ist ab sofort jede Minute kostbar. Gespannt und schweigend, fast ein wenig betreten betrachten sie die
bunten Tücher, Malblöcke und Stifte, die Trommeln und Röhren, die sich ihnen in der Mitte des Raums in einem wilden Haufen auf dem Boden präsentieren. Das also ist für heute der Weg ins Glück?
Die junge Svitlana Aldoshyna, eine von vier Studentinnen, die abwechselnd einmal pro Woche durch die Musikstunde führen, greift energisch in die Tasten. „Unser Begrüßungslied!“Geschäftiges Füßescharren, ein konzentriertes Räuspern, und dann ist nichts mehr wie vorher, denn: „Jeden Morgen geht die Sonne auf“!
Es ist ein leiser Sonnenaufgang („So richtig singen kann ich eigent
lich gar nicht mehr“, sagt eine), aber einer mit ausladenden Armbewegungen, mit Händen, die Wellen in die Luft zeichnen, mit schüchternen Körpermoves und konzentrierten Blicken Richtung Fenster, als wolle man den herabfallenden Regen beschwören, die Sonne nicht zu stören.
Alles begann im Sommersemester 2023 für die vier Studentinnen Sarah Bauer, Elisa Raber, Svitlana Aldoshyna und Sophie Rüth als verpflichtende Lehrveranstaltung der EMP-Klasse Prof. Michael Dartsch. „Sie sollte uns ein Semester lang praktische Erfahrung in der Planung und Durchführung eines grundlegenden, auch
für Senioren nachvollziehbaren Musikunterrichts vermitteln“, erzählt Sarah Bauer. Doch schnell erwies sich der Musiktreff für die Senioren als unverzichtbarer Dauerbrenner.
„Nach der letzten Semesterveranstaltung gab es enttäuschte Gesichter und Tränen.“Und auch den vier Studentinnen war die kleine Seniorenschar ans Herz gewachsen. Sie fühlten sich verantwortlich. „Wir haben ihnen ja nicht nur einen Weg erschlossen, Musik selbst zu praktizieren, die Teilnehmerinnen haben sich uns gegenüber auch geöffnet, waren mutig, haben sich auf unsere Geschichten eingelassen und uns ihre eigenen erzählt“, so Sarah
Bauer.
Man entschied, den Kurs „Musik verbindet Generationen“auf freiwilliger Basis fortzuführen, finanziell nun großzügig unterstützt durch die Freunde und Förderer der HfM Saar (FuF). „Und dann gab es plötzlich mehr Anmeldungen als Plätze“, erzählt die engagierte, freundliche Sozialbetreuerin des Heims, Christine Schweitzer. Das kleine Projekt hatte sich herumgesprochen.
Hier konnte Musik völlig wertungs- und voraussetzungsfrei durch Improvisation, Bewegungsanimation und die Verklanglichung vertrauter Situationen wahrgenommen werden. „Jeden Donnerstag fallen mir all die schönen Lieder aus meiner Jugend wieder ein“, schwärmt eine Dame und beginnt zu summen. „Es ist plötzlich alles so einfach.“Und darin liegt wohl auch das Erfolgsgeheimnis: Für den Moment des Musikerlebens werden körperliche Beschwerden zweitrangig, alles Belastende muss sich hintanstellen, die Seele hat Ausgang.
Thema am heutigen Tag ist das Zusammenspiel von Farben und Tönen. Was ist Synästhesie? Kann man Farben sehen und gleichzeitig hören? Aber hallo! Und sogar ohne Brille und Hörgerät! Zu Svitlanas Klavierspiel werden imaginäre Pinsel in Farbtöpfe getaucht, durch die Luft gestrichen und mit Vehemenz in den Raum geschleudert. Kein Zweifel: Hier wirkt die Kraft von Jackson Pollock.
Dezent malt Herr M. mit kreisendem Finger in einer Endlosschleife seinen Namen ins Nichts und signiert das ganze bunte Luftkunstwerk. All das passiert höchst professionell, mit kleinem Lächeln und ziemlich schweigsam. Kunst erfordert Konzentration. Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“werden mit Stift und Papier durch ein paar Kunstwerke ergänzt und lassen sich locker in die Fastnachtsdekoration einschmuggeln.
Dann ist es Zeit, die mitgebrachten Rhythmusinstrumente für ein letztes Farbenlied zum Leben zu erwecken. Und auf einmal spürt man die Energie, die aus zehn hochbetagten, zum Teil körperlich beeinträchtigten Menschen eine starke musikalische Gemeinschaft macht. „Wir singen ciao, ciao, ciao!“heißt es am Ende. Aber zum Glück ja nur bis zur nächsten Woche, wenn es am Donnerstag um 10 Uhr wieder heißt: „Jeden Morgen geht die Sonne auf“.
„Nach der letzten Semesterveranstaltung gab es enttäuschte Gesichter und Tränen.“Sarah Bauer Studentin der Elementaren Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Saar
Zweimal im Jahr unterstützen die PSD Bank RheinNeckarSaar eG und ihre Stiftung „PSD L(i)ebensWert“mit insgesamt jeweils 25 000 Euro soziale Projekte im Saarland. Ein Spendenscheck über 1 500 Euro ging nun auch an ein Projekt der Musikhochschule Saar und ihre Förderer. Dank solcher Hilfen kann das Projekt weiterfortgeführt werden.