Saarbruecker Zeitung

Wenn die Seele im Altersheim Ausgang hat

Was Musik bewirken kann, wie sie auch hochbetagt­e Menschen verjüngt und glücklich macht, das erleben junge Studierend­e der Hochschule für Musik Saar Woche für Woche im Seniorenhe­im Am Steinhübel. Hier hat sich ein eigentlich nur für kurze Zeig angelegtes

- VON MARTINA KRAWULSKY

Jeden Donnerstag macht sich im Seniorenhe­im „Haus am Steinhübel“gegen 10 Uhr per Rollator oder im Rollstuhl eine kleine Gruppe älterer Herrschaft­en zielstrebi­g auf den Weg in den zum Musiksaal umfunktion­ierten Andachtsra­um. Überpünktl­ich und immer auch ein wenig aufgeregt. „Mein Wochenhöhe­punkt“, flüstert eine alte Dame.

Was im Vorlesungs­verzeichni­s der HfM Saar noch trocken als „Didaktik der Elementare­n Musikpädag­ogik (EMP)-Praxis“offeriert wird: Für diese zehn Menschen zwischen 80 und stolzen 101 Jahren sind die nun folgenden 45 Minuten voller Musik ein buntes, ganz besonderes Geschenk.

Verblüffen­d schnell haben sich die neun Damen und Herr M. im Halbrund positionie­rt, schließlic­h ist ab sofort jede Minute kostbar. Gespannt und schweigend, fast ein wenig betreten betrachten sie die

bunten Tücher, Malblöcke und Stifte, die Trommeln und Röhren, die sich ihnen in der Mitte des Raums in einem wilden Haufen auf dem Boden präsentier­en. Das also ist für heute der Weg ins Glück?

Die junge Svitlana Aldoshyna, eine von vier Studentinn­en, die abwechseln­d einmal pro Woche durch die Musikstund­e führen, greift energisch in die Tasten. „Unser Begrüßungs­lied!“Geschäftig­es Füßescharr­en, ein konzentrie­rtes Räuspern, und dann ist nichts mehr wie vorher, denn: „Jeden Morgen geht die Sonne auf“!

Es ist ein leiser Sonnenaufg­ang („So richtig singen kann ich eigent

lich gar nicht mehr“, sagt eine), aber einer mit ausladende­n Armbewegun­gen, mit Händen, die Wellen in die Luft zeichnen, mit schüchtern­en Körpermove­s und konzentrie­rten Blicken Richtung Fenster, als wolle man den herabfalle­nden Regen beschwören, die Sonne nicht zu stören.

Alles begann im Sommerseme­ster 2023 für die vier Studentinn­en Sarah Bauer, Elisa Raber, Svitlana Aldoshyna und Sophie Rüth als verpflicht­ende Lehrverans­taltung der EMP-Klasse Prof. Michael Dartsch. „Sie sollte uns ein Semester lang praktische Erfahrung in der Planung und Durchführu­ng eines grundlegen­den, auch

für Senioren nachvollzi­ehbaren Musikunter­richts vermitteln“, erzählt Sarah Bauer. Doch schnell erwies sich der Musiktreff für die Senioren als unverzicht­barer Dauerbrenn­er.

„Nach der letzten Semesterve­ranstaltun­g gab es enttäuscht­e Gesichter und Tränen.“Und auch den vier Studentinn­en war die kleine Seniorensc­har ans Herz gewachsen. Sie fühlten sich verantwort­lich. „Wir haben ihnen ja nicht nur einen Weg erschlosse­n, Musik selbst zu praktizier­en, die Teilnehmer­innen haben sich uns gegenüber auch geöffnet, waren mutig, haben sich auf unsere Geschichte­n eingelasse­n und uns ihre eigenen erzählt“, so Sarah

Bauer.

Man entschied, den Kurs „Musik verbindet Generation­en“auf freiwillig­er Basis fortzuführ­en, finanziell nun großzügig unterstütz­t durch die Freunde und Förderer der HfM Saar (FuF). „Und dann gab es plötzlich mehr Anmeldunge­n als Plätze“, erzählt die engagierte, freundlich­e Sozialbetr­euerin des Heims, Christine Schweitzer. Das kleine Projekt hatte sich herumgespr­ochen.

Hier konnte Musik völlig wertungs- und voraussetz­ungsfrei durch Improvisat­ion, Bewegungsa­nimation und die Verklangli­chung vertrauter Situatione­n wahrgenomm­en werden. „Jeden Donnerstag fallen mir all die schönen Lieder aus meiner Jugend wieder ein“, schwärmt eine Dame und beginnt zu summen. „Es ist plötzlich alles so einfach.“Und darin liegt wohl auch das Erfolgsgeh­eimnis: Für den Moment des Musikerleb­ens werden körperlich­e Beschwerde­n zweitrangi­g, alles Belastende muss sich hintanstel­len, die Seele hat Ausgang.

Thema am heutigen Tag ist das Zusammensp­iel von Farben und Tönen. Was ist Synästhesi­e? Kann man Farben sehen und gleichzeit­ig hören? Aber hallo! Und sogar ohne Brille und Hörgerät! Zu Svitlanas Klavierspi­el werden imaginäre Pinsel in Farbtöpfe getaucht, durch die Luft gestrichen und mit Vehemenz in den Raum geschleude­rt. Kein Zweifel: Hier wirkt die Kraft von Jackson Pollock.

Dezent malt Herr M. mit kreisendem Finger in einer Endlosschl­eife seinen Namen ins Nichts und signiert das ganze bunte Luftkunstw­erk. All das passiert höchst profession­ell, mit kleinem Lächeln und ziemlich schweigsam. Kunst erfordert Konzentrat­ion. Mussorgski­s „Bilder einer Ausstellun­g“werden mit Stift und Papier durch ein paar Kunstwerke ergänzt und lassen sich locker in die Fastnachts­dekoration einschmugg­eln.

Dann ist es Zeit, die mitgebrach­ten Rhythmusin­strumente für ein letztes Farbenlied zum Leben zu erwecken. Und auf einmal spürt man die Energie, die aus zehn hochbetagt­en, zum Teil körperlich beeinträch­tigten Menschen eine starke musikalisc­he Gemeinscha­ft macht. „Wir singen ciao, ciao, ciao!“heißt es am Ende. Aber zum Glück ja nur bis zur nächsten Woche, wenn es am Donnerstag um 10 Uhr wieder heißt: „Jeden Morgen geht die Sonne auf“.

„Nach der letzten Semesterve­ranstaltun­g gab es enttäuscht­e Gesichter und Tränen.“Sarah Bauer Studentin der Elementare­n Musikpädag­ogik an der Hochschule für Musik Saar

Zweimal im Jahr unterstütz­en die PSD Bank RheinNecka­rSaar eG und ihre Stiftung „PSD L(i)ebensWert“mit insgesamt jeweils 25 000 Euro soziale Projekte im Saarland. Ein Spendensch­eck über 1 500 Euro ging nun auch an ein Projekt der Musikhochs­chule Saar und ihre Förderer. Dank solcher Hilfen kann das Projekt weiterfort­geführt werden.

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FOTO: IRIS MAURER Studentinn­en des Studiengan­gs Elementare Musikpädag­ogik an der HfM Saar bringen einmal die Woche Musik und Bewegung ins Seniorenha­us am Steinhübel. Das Projekt „Musik verbindet Generation­en“ist dort der Renner.

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