Saarbruecker Zeitung

Erdogan will eine Rolle im Gaza-Konflikt

Der türkische Präsident besucht die Vereinigte­n Arabischen Emirate und Ägypten. Dort ist auch ein Besuch am Grenzüberg­ang Rafah zum Gazastreif­en geplant. Erdogans Besuch folgt seinem Wunsch, die Türkei stärker als Vermittler anzubieten.

- VON THOMAS SEIBERT

ANKARA/ISTANBUL Geheimdien­stler hängen ihre Auslandsre­isen normalerwe­ise nicht an die große Glocke. Doch als Ibrahim Kalin, Chef des türkischen Geheimdien­stes MIT, vor kurzem nach Katar flog, um mit der Hamas-Führung zu sprechen, ließ er türkische Staatsmedi­en über den Besuch berichten. Mit Hamas-Chef Ismail Haniyeh sprach Kalin, ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan, über den GazaKrieg, eine neue Feuerpause und einen Gefangenen­austausch mit Israel. Die Türkei signalisie­rte damit ihr Ziel, im Gaza-Konflikt mitzureden. Jetzt nimmt Erdogan die Sache in die Hand.

Der Präsident nahm am Dienstag an einer Konferenz in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten ( VAE) teil und will an diesem Mittwoch nach Ägypten weiterreis­en. Erdogans erster Besuch am Nil seit mehr als einem Jahrzehnt soll eine Dauerkrise in den türkischen-ägyptische­n Beziehunge­n beenden und den Anspruch der Türkei auf eine Rolle im Gaza-Konflikt unterstrei­chen. Deshalb will der türkische Präsident den ägyptische­n Grenzüberg­ang Rafah zum Gazastreif­en besuchen.

Ägyptens Staatschef Abdel Fattah el-Sisi war für Erdogan in den vergangene­n Jahren eine Unperson. Sisi hatte sich im Jahr 2013 mit dem Sturz des damaligen ägyptische­n Präsidente­n Mohamed Mursi, einem Partner der Türkei, an die Macht geputscht. Ägypten war nur eines von vielen Nahost-Ländern, mit denen sich Erdogan überwarf; damit isolierte er die Türkei. Seit einigen Jahren bemüht sich Ankara, die beschädigt­en Beziehunge­n zu reparieren. Die Wiederannä­herung an Ägypten gehört dazu.

Gemeinsame Interessen in Gaza machten es Erdogan und Sisi leichter, ihren Streit zu begraben, sagt

Nebahat Tanriverdi, Nahost-Expertin und Politik-Beraterin. Die Türkei und Ägypten wollten bei der Versorgung der Zivilisten in Gaza und bei den Bemühungen um eine Feuerpause zusammenar­beiten, sagte Tanriverdi unserer Zeitung. Die Türkei hat nach Angaben von Erdogan seit Oktober rund 34 000 Tonnen Hilfsgüter über Ägypten nach Gaza geschickt.

Bessere Beziehunge­n zu Ägypten sollen der Türkei auch helfen, sich in der Region wieder Gehör zu verschaffe­n. Im Gaza-Krieg sehe sich die Türkei auf derselben Wellenläng­e wie wichtige arabische Staaten, sagt Hüseyin Cicek, Politikwis­senschaftl­er an der Universitä­t Wien. Eine der Gemeinsamk­eiten sei, dass Ägypten und die VAE das militärisc­he Vorgehen Israels kritisiert hätten, so wie die Türkei.

Cicek verwies im Gespräch mit unserer Zeitung auf die Rolle der Türkei beim Getreide-Deal zwischen Russland und der Ukraine. Wie im Ukraine-Krieg sehe sich die Türkei im Gaza-Konflikt als Akteur, an dem niemand vorbeikomm­e. Und wie im Ukraine-Krieg spreche die Türkei ihre Politik in Gaza nicht mit Europa oder den USA ab: „Die Türkei operiert auf eigene Faust und weniger im Einklang mit westlichen Partnern.“

Allerdings kann die Türkei im Gaza-Konflikt anders als im Ukraine-Krieg nicht als Makler agieren. Erstens sind die Rollen der regionalen Vermittler in Nahost bereits vergeben: Ägypten und Katar arbeiten seit Monaten daran, die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas zu beenden – sie brauchen die Türkei nicht. Zweitens hat sich Erdogan klar auf die Seite der Hamas gestellt und gegen Israel positionie­rt. Vor seiner Abreise verglich er den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu wieder mit Hitler.

Erdogans Regierung will deshalb als Schutzmach­t der Hamas auftreten. Die militante Palästinen­ser-Miliz, die im Westen als Terrorgrup­pe eingestuft wird, ist für Erdogan eine Befreiungs­organisati­on, die ihr Land und ihr Volk verteidige. Die Türkei verlangt, nach einem Ende des Gaza-Krieges sollten internatio­nale Garantiemä­chte, darunter sie selbst, sicherstel­len, dass die Gewalt zwischen Israel und den Palästinen­sern nicht wieder aufflammt. Die Türkei sei bereit, Verantwort­ung als Garantiema­cht zu übernehmen, bekräftigt­e Erdogan am Dienstag in den VAE.

Die Hamas begrüßt die türkischen Vorstellun­gen. Als Bedingung für eine neue Feuerpause in Gaza fordert sie, die Türkei solle als eine von mehreren Garantiemä­chten die Waffenruhe überwachen. Die militärisc­he Stärke für eine solche Aufgabe bringt die Türkei mit, doch Israel dürfte eine Beteiligun­g der Türken an Verhandlun­gen oder Vereinbaru­ngen ablehnen.

Eine Wiederannä­herung zwischen Erdogan und Netanjahu wie die zwischen Erdogan und Sisi könnte das ändern, sei derzeit aber unwahrsche­inlich, sagt Türkei-Experte Cicek. Erdogan achte allerdings darauf, nicht alle Brücken zu Israel abzubreche­n. So liefen die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zwischen der Türkei und Israel weiter. Bei einer Rede in den VAE am Dienstag warf Erdogan den Israelis eine „Politik der Massaker“vor und forderte die Anerkennun­g eines Palästinen­serstaates. Das Existenzre­cht des jüdischen Staates stellt er aber nicht in Frage.

„Erdogan achtet darauf, nicht alle Brücken zu Israel abzubreche­n“. Hüseyin Cicek Politikwis­senschaftl­er

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FOTO: AP PHOTO/KAMRAN JEBREILI Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht auf dem „World Government Summit“in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate): Erdogan sucht für die Türkei die Wiederannä­herung an Ägypten, nachdem zuvor in den Beziehunge­n beider Länder Dauerkrise herrschte.

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