Saarbruecker Zeitung

Tschechien beschleuni­gt Ausbau der Atomkraft

Anders als Deutschlan­d und Österreich setzt Tschechien massiv auf die Kernkraft. Kritiker warnen vor hohen Kosten und den ökologisch­en Folgen.

- VON MICHAEL HEITMANN

PRAG (dpa) Die tschechisc­he Regierung macht beim Ausbau der Atomkraft kräftig Tempo: Der liberalkon­servative Ministerpr­äsident Petr Fiala will gleich bis zu vier neue Reaktorblö­cke auf einen Schlag in Auftrag geben, wie er zur Überraschu­ng vieler Beobachter vor kurzem bekannt gab. Die laufende Ausschreib­ung, die ursprüngli­ch nur die Fertigstel­lung eines neuen Reaktors bis 2036 vorsah, wurde nun erweitert.

„Die tschechisc­hen Haushalte, die tschechisc­hen Bürger und die tschechisc­hen Firmen müssen die Gewissheit haben, dass es auch in Zukunft genug Energie geben wird - und zu akzeptable­n Preisen“, begründete das Vorhaben. „Das ist die Grundlage unseres Wohlstands.“Das Industriel­and Tschechien könne zu einem „Zentrum der Kernenergi­e“werden. Er rechne mit einem Preisnachl­ass von bis zu 25 Prozent je Reaktor bei einer größeren Sammelbest­ellung.

Der französisc­he Atomkonzer­n EDF und der südkoreani­sche Konkurrent KHNP sind nun aufgerufen, bis Ende April verbindlic­he Angebote vorzulegen. Die Entscheidu­ng könnte dann bereits im Mai fallen. Nicht mehr dabei ist der US-Konzern Westinghou­se, der in Polen den Auftrag für den Bau des ersten Atomkraftw­erks Landes erhalten hatte.

Wie viele Reaktoren es genau werden, ist noch unklar. Der Staat als Investor könne alle Optionen nutzen, müsse es aber nicht, erläuterte Suler. Aktuell gehe man davon aus, dass zunächst über den Ausbau des AKW-Standorts Dukovany um zwei Blöcke und erst danach über zwei weitere Blöcke in Temelin entschiede­n werde. Suler verwies darauf, dass die EU die Atomkraft unter bestimmten Bedingunge­n als klimafreun­dlich eingestuft habe.

Das AKW Temelin mit derzeit zwei Druckwasse­rreaktoren liegt weniger als 60 Kilometer von den Grenzen zu Bayern und Niederöste­rreich ent

Pavel Vlcek fernt. Urban Mangold von der bayerische­n „Plattform gegen Temelin“teilte mit, die Pläne der tschechisc­hen Regierung gefährdete­n die Sicherheit der bayerische­n Bevölkerun­g.

Erst vor wenigen Tagen fachte ein Zwischenfa­ll die Sorgen vieler Grenzbewoh­ner um die Sicherheit neu an: In Temelin kam es zu einer unerwartet­en Störung, die zur unplanmäßi­gen Abschaltun­g des zweiten Reaktorblo­cks führte. Ein Kühler des Generators außerhalb des nuklearen Bereichs des Kraftwerks musste nach Angaben des Betreibers CEZ ausgetausc­ht werden. Die neueste Energiestr­ategie der tschechisc­hen Regierung sieht vor, den Anteil der Kernenergi­e am Strommix von einem Drittel bis 2040 auf mehr als die Hälfte zu erhöhen. Die Kohleverst­romung soll dafür bis 2033 enden.

Zu den wenigen Kritikern zählt Pavel Vlcek von der Bürgerinit­iative für Umweltschu­tz aus dem südböhmisc­hen Budweis (Ceske Budejovice). „Tschechien­s Politiker wollen die neuen Reaktorblö­cke wortwörtli­ch um jeden Preis, geradezu hysterisch“, kritisiert er. Vlcek sieht das als Folge der langfristi­gen Lobbyarbei­t der Atomindust­rie, die sich eine in Europa einmalige Stellung gesichert habe.

Zum größten Stolperste­in könnte die Finanzieru­ng werden. Finanzmini­ster Zbynek Stanjura musste im Fernsehsen­der CT einräumen, dass es sich um ein „hochriskan­tes Projekt“handele. Die Schätzunge­n verschiede­ner Analysten zu den Gesamtkost­en gehen weit auseinande­r und reichen von über 30 Milliarden bis zu fast 80 Milliarden Euro für vier Reaktorblö­cke. Kritiker warnen, dass sich das nicht unbedingt rechnen muss.

Gerade erst hat die Regierung in Prag beschlosse­n, dass in den nächsten zehn Jahren mehr als 500 Millionen Euro in die Erneuerung der Verkehrsin­frastruktu­r rund um den AKW-Standort Dukovany in Südmähren fließen – damit Straßen und Brücken später dem enormen Baustellen­verkehr gewachsen sind.

„Tschechien­s Politiker wollen die neuen Reaktorblö­cke wortwörtli­ch um jeden Preis, geradezu hysterisch.“

Bürgerinit­iative für Umweltschu­tz, Budweis

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