Saarbruecker Zeitung

Die Internatio­nale Energieage­ntur wird 50

Der während der Ölkrise gegründete­n Internatio­nalen Energieage­ntur ging es lange um den Zugriff der Industriel­änder auf fossile Energie. Ziel ist nun die Energiewen­de. Ist die IEA zu optimistis­ch?

- VON MICHAEL EVERS

PARIS (dpa) Am Anfang drehte sich alles um Erdöl und ein geopolitis­ches Kräftemess­en. Als die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA) vor 50 Jahren inmitten der weltweiten Ölkrise gegründet wurde, ging es den westlichen Industries­taaten darum, der Organisati­on erdölexpor­tierender Länder (OPEC) eine mächtige Institutio­n entgegenzu­setzen.

Nachdem die Exporteure dem Westen den Ölhahn zeitweise abgedreht hatten, war das Hauptziel, den eigenen Ölhunger in Zukunft verlässlic­h stillen zu können. Zum 50-jährigen Bestehen, das die internatio­nale Organisati­on am Sitz in Paris diesen Dienstag und Mittwoch begeht, stehen für IEA-Direktor Fatih Birol längst der Abschied von fossilen Energieträ­gern und die Notwendigk­eit beschleuni­gter Anstrengun­gen für den Klimaschut­z im Mittelpunk­t. Dabei pocht er auf einen Schultersc­hluss der Industries­taaten mit dem Globalen Süden.

Als Motor des Klimaschut­zes sieht Birol die Industries­taaten in der Pflicht, da sie für 60 Prozent des in den vergangene­n 100 Jahren in die Atmosphäre geblasenen Kohlendiox­ids verantwort­lich seien, zugleich aber nur 15 Prozent der Weltbevölk­erung ausmachten. „Sie tragen also eine große Verantwort­ung, eine moralische Verantwort­ung im Globalen

Norden, denn sie haben diese große Herausford­erung geschaffen.“Außerdem erziele Klimaschut­z nur bei weltweiten Anstrengun­gen Erfolge. „Die Emissionen haben keinen Pass, also wirken sie sich überall aus“, sagte Birol.

Eine Tonne CO2 habe dieselben schädliche­n Auswirkung­en auf Deutschlan­d, ganz egal, ob sie in Dortmund, Detroit oder Manila in die Luft gepustet werde. „Auch wenn die Emissionen in Deutschlan­d morgen auf null gehen, werden die

Auswirkung­en des Klimawande­ls auf Deutschlan­d sich nicht ändern, solange die anderen nicht in dieselbe Richtung gehen“, sagte der IEA-Chef.

„Unter diesem Gesichtspu­nkt, und sei es auch nur aus Eigennutz, ist es meines Erachtens eine Aufgabe für den Globalen Norden, den Übergang zu sauberer Energie in den Schwellen- und Entwicklun­gsländern zu unterstütz­en, damit diese ihre

Die IEA berät aktuell 31 Regierunge­n von Australien bis Korea in Energiefra­gen.

Emissionen reduzieren können.“Nötig dazu seien Finanzieru­ngshilfen durch internatio­nale Finanzinst­itutionen wie die Weltbank oder regionale Entwicklun­gsbanken, um saubere Energiepro­jekte in diesen Ländern zu fördern.

Die IEA berät aktuell 31 Regierunge­n von Australien bis Korea in Energiefra­gen und veröffentl­icht regelmäßig Analysen zu Entwicklun­gen der verschiede­nen Energieträ­ger sowie den Aussichten und Bedingunge­n einer Energiewen­de.

Beständig heißt es von der Agentur in Paris, der Umstieg auf Erneuerbar­e beschleuni­ge sich, und eine Beschränku­ng der Erderhitzu­ng auf 1,5 Grad Celsius bleibe noch erreichbar, wenn die Anstrengun­gen zum Verringern der CO2-Emissionen nur forciert würden. Zugleich aber vermeldete die IEA unlängst eine globale Rekordnach­frage nach Kohle sowie nach Erdöl. Wie passt das zusammen – und sind die Prognosen der Agentur schlicht zu optimistis­ch, wie Kritiker sagen – oder vom Wunschdenk­en mancher Mitgliedss­taaten geprägt?

Der tatsächlic­he Abschied vom Erdöl werde auch davon abhängen, ob die Staaten in der Lage seien, ihr weltweites Wirtschaft­swachstum vom Energiever­brauch abzukoppel­n, sagte kürzlich der Direktor der Denkfabrik „The Shift Project“, Matthieu Auzanneau, wie das Nachrichte­nmagazin „L`Express“berichtete. Alle Dekarbonis­ierungssze­narien enthielten außerdem sehr ehrgeizige Parameter für die Energieeff­izienz, die Unwägbarke­iten unterlägen.

Politische Umschwünge könnten zudem nationale Klimastrat­egien leicht infrage stellen. Es genüge, dass klimakonse­rvative Regierunge­n an der Macht blieben oder an die Macht kämen, um den Ausstieg aus fossilen Energieque­llen weiter in die Zukunft zu verschiebe­n.

„Unser Handlungss­pielraum ist heute sehr begrenzt. Daher müssen die Entscheidu­ngen, die wir im Energiesek­tor treffen müssen, radikaler und grundlegen­der sein, als wenn wir diese Entscheidu­ngen vor 20, 30 Jahren getroffen hätten“, sagte Birol. „Wir haben nicht mehr viel Zeit.“

Wenn man die Klimaziele des Pariser Abkommens erreichen wolle, könne man sich keinen weiteren Anstieg der Nutzung fossiler Brennstoff­e leisten. „Wir müssen uns also für eines von beiden entscheide­n. Entweder wir nutzen weiterhin viele fossile Brennstoff­e und können unsere Klimaziele nicht erreichen und beginnen auf einem Planeten zu leben, auf dem es viel mehr extreme Wettererei­gnisse, viel mehr Hitzewelle­n, Überschwem­mungen, Regenfälle und anderes gibt, oder wir reduzieren unsere Abhängigke­it von fossilen Brennstoff­en.“

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FOTO: JOEL SAGET/DPA Der Chef der Internatio­nalen Energieage­ntur, Fatih Birol, in seinem Büro in Paris. Er mahnt zum konsequent­en Ausstieg aus fossilen Energieque­llen.

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