„Die Wellen, die unsere Welt veränderten“
Um Radio Luxemburg ranken sich Legenden. Ein Team aus Historikern und Filmemachern arbeitet die Geschichte des Medienpioniers jetzt auf.
LUXEMBURG Bernard Michaux ist der Produzent eines transmedialen Projektes über Radio Luxembourg – der 1933 als erster Privatsender Europas gegründet wurde und in weiten Teilen der Welt in verschiedenen Sprachen empfangen werden konnte. Nun soll die Geschichte des Senders aufgearbeitet werden – für einen Dokumentarfilm, eine Ausstellung und eine Podcast-Reihe.
Gibt es in Ihrer Familie Erinnerungen an Radio Luxemburg?
MICHAUX Überhaupt nicht. Es war mir nicht bewusst, was Radio Luxemburg überhaupt war. In meiner Familie hat man RTL auf Luxemburgisch gehört und wusste, dass das L in RTL für Luxemburg steht. Aber nicht, warum der Sender im Ausland so beliebt war und wie das alles kam.
Wieso wollen Sie die Geschichte von Radio Luxemburg erforschen?
MICHAUX Das ist eine der größten Exportgeschichten von Luxemburg, die aber fast niemand in Luxemburg kennt. Aber überall in der Welt ist der Sender bekannt. Ich versuche seit Jahren, einen Film darüber zu machen. Erst jetzt wird es durch die Regisseurin Dominique Santana und ein Transmediaprojekt mit mehreren Partnern möglich, alles dazu zu erzählen, was ich immer erzählen wollte.
Wie viele Hörer hatte der Sender zu seinen Hochzeiten?
MICHAUX Seine Anfänge gehen bis zum Jahr 1924 zurück und von Anfang an hat das Radio in mehreren Sprachen gesendet. Es gab mehrere Peaks, die von den jeweiligen Sprachen und Ländern abhängig waren. Für unser Projekt kommunizieren wir in Englisch, Französisch und Deutsch, obwohl unter anderem in Portugiesisch, Spanisch und Schwedisch gesendet wurde. Der Sender hatte eine sehr starke Reichweite und viele Auslandsbüros. Zu Spitzenzeiten hörten jede Nacht 100 Millionen Menschen zu, das ist heute gar nicht mehr möglich.
Der Slogan des Projektes lautet „Die Wellen, die unsere Welt veränderten“. Ist das nicht ein bisschen hoch gehängt?
MICHAUX Wir glauben nicht. Weil der Sender die Welt von sehr vielen Leuten verändert hat. Die Wissenschaft ist sich einig, dass er einen Beitrag zum Fall der Berliner Mauer geleistet hat. Es gibt in den Stasi-Unterlagen eine sehr hohe Anzahl von Hörerbriefen an Radio Luxemburg, die nicht zugestellt wurden. Und das sind nur die Briefe aus der DDR. Wir sind gerade dabei, Archive im gesamten Ostblock aufzuarbeiten. Aber weil sie nicht unter dem Stichwort Radio Luxemburg sortiert worden, sondern nach den Namen der Absender, kann es sein, dass wir letztlich nur ein paar viertausend Briefe finden. Da wäre es hilfreich, wenn sich die Leute bei uns melden. Radio Luxembourg war der Erfinder des Call-In und mancher Live-Events. Wir untersuchen und überprüfen diese wichtige Rolle Radio Luxembourgs von einem wissenschaftlichen Standpunkt. Aber der Sender war sicherlich der Ursprung so mancher Dinge, die unsere Welt verändert haben – ob auch unserer persönlichen Welt, kann man diskutieren. Wir untersuchen nicht nur den Einfluss des Senders auf Europa, sondern auch auf Afrika, Amerika und Australien.
Wieso wurde Radio Luxembourg ein weltweit bekannter Sender?
MICHAUX Zu Anfang der Radiogeschichte konnte noch jeder irgendwas senden. Später wurde das reguliert. Alle Staaten haben Frequenzen bekommen und öffentlich-rechtliches Radio produziert. Aber Luxemburg hat gesagt: „Wer bietet am meisten?“Das waren dann private Betreiber, die logischerweise kein
Interesse hatten, zu spielen, was der Staat wollte, sondern gespielt haben, was die Leute hören wollten. Da ist ein riesiger Unterschied zwischen der BBC, die Klassik spielte, und Radio Luxembourg, das als erstes die Beatles spielte. Sie haben sämtliche Musiker gebracht. Wir haben jetzt noch einen Brief von Joe Cocker gefunden, in dem er den DJ Tony Prince darum bittet, seinen Song ,Majorine` zu spielen.
Also hatte der Sender auch eine gewisse Macht?
standen habe, dass Radio Luxembourg in der Medienlandschaft des 20. Jahrhunderts ein Pionier war.“Die Historikerin wurde durch ihr Projekt „A Colônia Luxemburguesa“bekannt. Darin spürte sie ausgewanderten Luxemburgern und einem Luxemburger Stahlwerk in Brasilien nach.
Mehr über Luxemburger in Brasilien und diese ungewöhnliche „A Colônia Luxemburguesa“auf der interaktiven Internetseite des Projekts mit Videos, Interviews, Fotos und Texten unter www.colonia.lu/ de.
MICHAUX Uns geht es nicht nur um den gesellschaftlichen Einfluss des Senders, sondern auch darum, alle Seiten dieser Macht zu beleuchten, die der Erfolg des Senders mit sich brachte. Denn mit Macht kommt Verantwortung. Und nun gab es auf einmal eine Weltmacht, die Stars machte. Queen hat 1973 in Luxemburg gespielt, um auf Radio Luxemburg zu laufen, ebenso die Sex Pistols, und Elton John hat einen Jingle für den Sender gemacht. Es war eine Zeit, in der Musiker zu Stars werden wollten. Und da haben manche so einiges geboten. Einige der DJs hatten damals ihre größte Zeit und berichten beeindruckende Anekdoten, die wir trotzdem noch einem Faktencheck unterziehen müssen.
Wie können Radiofans und Hörer bald diesen Geschichten nachspüren?
MICHAUX Es ist ein wissenschaftliches Transmedia-Projekt, wodurch die Ergebnisse auf verschiedenen Wegen aufbereitet werden. Wir planen eine Ausstellung, eine PodcastSerie mithilfe von Studenten der Universität Luxemburg und einen Dokumentarfilm. Dabei setzen wir auf persönliche Erinnerungen von Moderatoren, aber auch von Hörern. An dem Projekt arbeiten Historiker und Filmemacher vom Centre for Contemporary and Digital History (C²DH) der Universität Luxemburg, der Produktionsfirma Samsa Film und dem Centre national Audiovisuel (CNA).
Geht es im Projekt eigentlich auch um das Saarland?
MICHAUX Es gibt einige Moderatoren, die ein enges Verhältnis zum Saarland haben. Menschen aus dem Saarland können sich sehr gerne bei uns melden. In Deutschland lautete der Slogan des Senders ja „Die vier fröhlichen Wellen“. Auch wenn das Signal nicht immer überallhin reichte, im Saarland war der Sender stets zu hören. Wir werden auch zu Europe 1 forschen, weil der Sender aus Überherrn später die erste richtige Konkurrenz für Radio Luxemburg wurde.
Deutsche Moderatoren, die später in Deutschland Fernsehgeschichte schrieben, haben in den 60er und 70er Jahren bei Radio Luxembourg angefangen. War das, wenige Jahrzehnte nach der deutschen Besatzung, nicht problematisch?
MICHAUX Es war eine Zeit, in der Deutsche in Luxemburg noch nicht wirklich wieder willkommen waren. Aber deutsche Moderatoren wie Frank Elstner und Thomas Gottschalk kannte man in Luxemburg auch gar nicht, bis sie zum Fernsehen gegangen sind. Die Luxemburger haben RTL auf Luxemburgisch gehört. Es war wie heute – multikulti, aber schön getrennt.
Der Sitz von Radio Luxembourg war früher die Villa Louvigny, ein markanter Bau mitten in der Stadt. Was gibt es dort künftig zu sehen?
MICHAUX Eine erster öffentlicher Teil unseres Projektes ist eine Ausstellung mit erweiterter Realität in der Villa Louvigny, es wird die größte dieser Art bisher im Land. In einer einstündigen Erfahrung geht es durch Radio Luxemburg und seine Geschichte. Die Leute bekommen Kopfhörer, und je nachdem, wie sie sich in der Villa bewegen, erhalten sie andere Informationen. Sie können Plattenarchive, die Studios und auch das Auditorium sehen, in dem zwei Eurovision Song Contests stattfanden. Die Leute sollen spüren, was Radio Luxembourg war. Nach unserer Ausstellung schließt die Villa für Renovierungsarbeiten, in dieser Zeit zeigen wir eine andere, eher typische Ausstellung auf dem Gelände. 2030 soll die Villa wieder öffnen, auch mit einer öffentlichen Brasserie, wo das Thema Radio Luxemburg auch nicht zu kurz kommen sollte.
Wird es möglich sein, dass Fans noch einmal ihre Lieblingssendungen von damals hören können?
MICHAUX Die Sendungen bis zum Jahr 1995 liegen beim CNA, und weil wir das einzige Radio-Luxemburg-Projekt sind, das mit dem CNA kooperiert, dürfen wir diese Rechte nutzen. Die Rechte an der Musik wiederum, die in den Sendungen lief, haben wir aber nicht. Aber wir wollen ja das Radio-Luxemburg-Feeling zurückbringen, und beschäftigen uns daher auch mit Kooperationen zu Labels und Music Supervisors.
Weitere Informationen zum Projekt „Radio Luxembourg“unter https:// radio.lu/de. Dort können Hörer und Zeitzeugen ihre Geschichten und Anekdoten einreichen – und bis zu 100 Dateien hochladen (https://radio.lu/de/uns-helfen/).