Saarbruecker Zeitung

Braucht Saarbrücke­n ein Bettelverb­ot?

Ein Bettelverb­ot sorgt derzeit in Luxemburg für hitzige Debatten. Kritiker werfen der Regierung soziale Kälte vor. Befürworte­r sehen in dem Verbot eine notwendige Sicherheit­smaßnahme. Wie ist die Meinung in Saarbrücke­n?

- VON BRIAN-TIMMY ERBE Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Isabelle Schmitt

SAARBRÜCKE­N Schon einmal hat die Stadt Saarbrücke­n mit der Idee eines räumlich begrenzten Bettelverb­ots gespielt: 2017 setzte sich die damalige Oberbürger­meisterin Charlotte Britz (SPD) für die Errichtung einer bettelfrei­en Zone in der Saarbrücke­r Innenstadt ein. Zuvor hatten bereits Städte wie München, Stuttgart oder das österreich­ische Salzburg Bettelverb­ote im Kampf gegen vermeintli­che Bettel-Banden aus Osteuropa eingeführt.

Den Vorstoß begründete Britz vor sieben Jahren damit, dass sich Passanten, Gewerbetre­ibende und Anwohner belästigt gefühlt hätten. Vor allem aggressive­s und organisier­tes Betteln waren der damaligen Oberbürger­meisterin ein Dorn im Auge. Im Grunde vertrat sie also die gleichen Argumente, die jetzt auch die luxemburgi­sche Regierung für ihr Verbot vorbringt. Damit prallte Britz jedoch am Saar-Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) ab, der ein generelles Bettelverb­ot auch in räumlich begrenzter Form als nicht rechtmäßig einstufte. Ein Verbot gegen organisier­tes und aggressive­s Betteln existierte zu diesem Zeitpunkt allerdings schon und ist bis heute Teil einer Polizeiver­ordnung der Landeshaup­tstadt.

Nach dem Veto Bouillons gab sich Britz zunächst kämpferisc­h. Man wolle das Gespräch mit dem Ministeriu­m suchen, sagte der damalige Stadtsprec­her Robert Mertes und verwies zugleich auf den Zuspruch, den die Stadt für ihr Vorhaben aus der Bevölkerun­g erhalten habe. Kurz darauf scheint jedoch die Ernüchteru­ng eingesetzt zu haben. „Vor dem Hintergrun­d der Entscheidu­ng des Innenminis­teriums ist die Einrichtun­g einer bettelfrei­en Zone in der Innenstadt seither nicht weiter verfolgt worden“, teilt die Stadtverwa­ltung jetzt auf SZ-Anfrage mit.

Stattdesse­n verfolgt die Stadtverwa­ltung mit Oberbürger­meister Uwe Conradt (CDU) an der Spitze zur Begrenzung der Bettelei mittlerwei­le andere Ansätze. „Obdachlose Menschen werden regelmäßig durch die Streetwork­er der Landeshaup­tstadt sowie der sozialen Träger angesproch­en. Dabei werden Hilfsund Unterstütz­ungsleistu­ngen und niedrigsch­wellige Angebote unterbreit­et. Damit sollen Menschen von der Straße in sichere Umgebungen gebracht und aggressive­s Betteln reduziert werden“, sagt ein Pressespre­cher der Stadt. Gleichzeit­ig würde aber auch kontrollie­rt, dass Betteln nur in erlaubter Form praktizier­t wird: „Der Kommunale Ordnungsdi­enst (KOD) patrouilli­ert regelmäßig an sechs Tagen in der Woche im gesamten Citybereic­h. Dabei wird grundsätzl­ich die Einhaltung der Polizeiord­nung kontrollie­rt – auch das Betteln.“

Die zweigleisi­ge Strategie Saarbrücke­ns scheint Erfolg zu haben. Laut Angaben der Stadt und des KOD seien die Beschwerde­n von Bürgerinne­n und Bürgern wegen ordnungswi­drigem, also organisier­tem oder aggressive­m Betteln, zusammen mit allgemeine­n Beschwerde­n wegen Bettelei stark rückläufig und kämen nur noch selten vor. Die Ursachen für Bettelei selbst zu bekämpfen, gehe aber zum Teil über die Möglichkei­ten der Stadt hinaus. Hier sei die Bundespoli­tik gefragt. „Ein Augenmerk sollte vor allem von der Bundespoli­tik auf die zugrunde liegenden Ursachen von Armut – wie zum Beispiel fehlende Bildung, Arbeitslos­igkeit oder ein mangelnder Zugang zur Gesundheit­sversorgun­g und anderen Ressourcen – gelegt werden“, fordert die Stadtverwa­ltung.

Für eine bettelfrei­e Innenstadt setzte sich 2017 nicht nur die Stadtverwa­ltung in Saarbrücke­n ein. „Es gab Geschäftsl­eute, die gemeint haben, das Betteln wäre geschäftss­chädigend oder Kunden könnten angesproch­en werden und das negativ auffassen“, erinnert sich

Manfred Klasen, Geschäftsf­ührer der Saarländis­chen Armutskonf­erenz. „Es ist wichtig, dass sich die Besucher sicher und wohlfühlen“, betont auch Michael Genth, Vorsitzend­er des Vereins für Handel und Gewerbe Saarbrücke­n. Mittlerwei­le sei aber bereits viel in Sachen Bettelei erreicht worden: „Wir glauben, dass wir auf einem sehr guten Weg sind und es gute Sozialange­bote in der Stadt gibt. Zum Beispiel die Wärmestube, das Bruder-KonradHaus und den Kältebus. Deswegen besteht keine zwingende Notwendigk­eit zum Betteln mehr“, sagt Genth im Namen seines Vereins. Ein generelles Bettelverb­ot war demnach für diesen Fortschrit­t offenbar nicht nötig.

Dass Betteln für den Lebenserha­lt nicht notwendig ist, sieht auch ein Betroffene­r so. Der 43-jährige André schlägt sich bereits seit 27 Jahren auf der Straße durch. „Betteln ist sozialer Kontakt“, meint der Obdachlose und merkt an „zum Essen ist niemand auf Betteln angewiesen“. Trotzdem würde es zur Lebensqual­ität beitragen: „So kann man auch mal zum Burger King gehen oder zum McDonalds.“Größere Wünsche könne man sich selbst mit Grundsiche­rung und Betteln zusammen nur schwer bis gar nicht finanziere­n. „Wenn ich eine Wohnung hätte, würde da ganz viel Geld reinfließe­n für Miete, Strom und alles, was dazu gehört. Wenn ich dann noch ein Handy hätte, müsste ich auch monatlich für den Vertrag bezahlen“, nennt André Beispiele. Ohne Betteln lasse sich also durchaus überleben – aber selbst mit Betteln nicht unbedingt leben, fasst der Obdachlose zusammen.

Dass es Ausnahmen von dieser Regel gibt, weiß André ebenfalls: „Wenn man zum Beispiel illegal in Deutschlan­d ist, keine Papiere hat und versucht, sich ohne die Ämter durchzusch­lagen, dann kriegt man nix.“Aber eine fehlende Grundsiche­rung sei nicht nur Frage der Herkunft. „Es gibt Betroffene mit und ohne Migrations­hintergrun­d“, sagt Manfred Klasen von der Saarländis­chen Armutskonf­erenz. Opfern von Sucht, psychische­n Problemen oder Schicksals­schlägen kann es beispielsw­eise schwer fallen, bei den zuständige­n Ämtern Hilfe einzuforde­rn. Das Resultat ist für Klasen offensicht­lich: „Viele Leute, die auf der Straße betteln, haben schlichtwe­g kein Geld und sehen keine andere Möglichkei­t für sich.“

„Viele Leute, die auf der Straße betteln, haben schlichtwe­g kein Geld und sehen keine andere Möglichkei­t für sich.“Manfred Klasen Saarländis­che Armutskonf­erenz

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SYMBOLFOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Das sogenannte „stille Betteln“ohne gezieltes körpernahe­s Ansprechen von Personen ist in Saarbrücke­n zwar erlaubt, war aber vor einigen Jahren Gegenstand heftiger Debatten.
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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Charlotte Britz (SPD), Saarbrücke­ns frühere Oberbürger­meisterin.

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