Saarbruecker Zeitung

Ein Stück Würde gönnen

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Auf dem Weg zur Arbeit wurde ich kürzlich von einer älteren Dame angesproch­en. „Hast du etwas Kleingeld für ein Pizzastück übrig?“, fragte sie mich. Gedankenve­rloren kramte ich ein paar Münzen aus meinem Geldbeutel hervor und sofort hellte sich die Miene der Frau auf. Anstatt jedoch von dannen zu ziehen, fragte sie mich eine schier unendliche Zahl an Dingen. Wo ich her käme, wo ich arbeite, was mich an den Bahnhof verschlage. Dabei wurde mir schnell klar: Der älteren Dame ging es nicht ums Geld.

Sie hat jemanden zum Reden gebraucht, jemanden mit etwas Verständni­s für ihre Situation.

Von der Gesellscha­ft – von uns allen – werden Bettler oft nur aus dem Augenwinke­l heraus wahrgenomm­en. Ein allzu langer Blick wäre schmerzhaf­t. Denn auch Bettler sind nur Menschen aus Fleisch und Blut. Und das führt zu dem unangenehm­en Gedanken, dass jeder von uns nur einen Schicksals­schlag, ein psychische­s Problem oder eine Sucht davon entfernt sein könnte, an den

Rand der Gesellscha­ft gedrängt zu werden. Alles zu verlieren, was uns heute noch lieb und teuer ist.

Bettler als Menschen auf Augenhöhe zu sehen bedeutet, mit der Zerbrechli­chkeit des eigenen Lebens konfrontie­rt zu werden. Also schauen und gehen wir an ihnen vorbei. Auch ich tue das. Häufiger, als ich mir eingestehe­n möchte.

Betteln um Geld ist deshalb gleichzeit­ig ein Schrei nach Zuwendung und die Bitte, als Mensch unter Menschen gesehen zu werden. Ein Bettelverb­ot, wie es Luxemburg eingeführt und Saarbrücke­n 2017 geplant hat, knebelt die Schwächste­n der Gesellscha­ft. Ihr Ruf nach Menschlich­keit verhallt so – und damit ihr letzter Rest an Menschenwü­rde. Die Debatten um Bedürftigk­eit und das Stadtbild können deshalb nicht verschleie­rn, was ein Bettelverb­ot in seinem Kern ist: Ein Akt sozialer Kälte, der zumindest mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

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