„Zaubern kann eben auch niemand“
Zusammen mit den NatoVerteidigungsministern berieten viele Ukraine-Unterstützer die aktuellen und langfristigen Militärhilfen. Der russische Druck nimmt zu, der Munitionsvorrat der Ukraine schwindet.
Es sind zweimal zwei Wörter, die an diesem Mittwoch im Nato-Hauptquartier in Brüssel häufiger zu hören sind. Die ersten beiden lauten „äußerst schwierig“und beziehen sich auf die aktuelle Situation der ukrainischen Streitkräfte an der unter massivem russischen Druck und Überlegenheit stehenden Front. Die anderen beiden lauten „deutlich mehr“und beziehen sich auf die militärische Unterstützung der westlichen Staaten für die Ukraine. Das Problem ist indes: Die ersten beschreiben den aktuellen Stand der Dinge, die zweiten die Erwartungen für die Zukunft. Es ist ein Treffen mit dramatischen Befürchtungen. Die einen dürfen gerade nicht mehr, wie das von den Republikanern im Kongress blockierte Ukraine-Hilfepaket der USA zeigt, die anderen können nicht mehr, weil die Munitionsvorräte weg sind und die Produktion gerade erst anläuft.
„Der Krieg in der Ukraine wird am Ende auch am Fließband in den Produktionsländern der Welt entschieden“, sagt deshalb Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Eintreffen in Brüssel. Deutschlands Beitrag ist bei diesem 19. Treffen im sogenannten Ramstein-Format ein ganz anderer als bei der ersten Zusammenkunft von Nato- und Nicht-Nato-Staaten auf dem amerikanischen Militärstützpunkt Ramstein. Damals herrschte Erstaunen darüber, wie wenig das wirtschaftlich starke Deutschland zur Verteidigung der Ukraine beisteuert, wie massiv es die Lieferungen von modernem Militärgerät blockiert. Heute tut Deutschland mit großem Abstand das Meiste in Europa. Und Pistorius hat auch eine neue Zusage mitgebracht: Erstmals beteiligt sich die Bundeswehr mit der Bereitstellung von Mehrzweckhubschraubern. Sechs Militärhelikopter vom Typ Sea King sollen bald von ukrainischen Piloten zur Verteidigung ihrer Heimat genutzt werden können.
Neben diesem großen Gesprächsformat der Vertreter von rund 50 Ukraine-Unterstützerländern verweist Pistorius auch auf zwei weitere Gruppen: Die Luftverteidigungs-Koalition, in der Deutschland mit Frankreich die Voraussetzungen für eine Abwehr russischer Raketen in der Ukraine dauerhaft verbessern hilft, und die Panzer-Koalition, in der Deutschland mit Polen die Schlagkraft der Ukraine auf dem Schlachtfeld zu optimieren versucht. „Wir übergeben inzwischen fast täglich militärische Ausrüstung an die Ukraine“, berichtet Pistorius. Auch auf dem Feld der Artillerie-Munition werde Deutschland in diesem Jahr das Drei- bis Vierfache der Leistungen im Vorjahr beisteuern. Und doch sei die Munition weltweit Mangelware.
Pistorius räumt ein, dass momentan die Gefahr bestehe, der Ukraine nicht jeden Tag das liefern zu können, was gefordert werde, „aber zaubern kann eben auch niemand“. Und so wird die Lage der Ukraine an der 1500 Kilometer langen Front nach 700 Tagen Krieg immer prekärer. Pistorius erinnert daran, dass sich in Kürze nicht nur die Vollinvasion Russlands in die Ukraine zum zweiten Mal jähre, sondern auch die Annexion der Krim zum zehnten Mal. „Die Ukraine wehrt sich jetzt seit zehn Jahren“, stellt der Minister fest. Und fügt hinzu, dass Russland damit „die größte Bedrohung im Euro-atlantischen Raum“sei.
Darauf stellt sich auch das Bündnis immer mehr ein, wie es dessen Verteidigungsminister bei ihrem zweitägigen Treffen im Anschluss an die Ramstein-Konferenz noch intensiver besprechen wollen. Deutschland kann mit spürbarer Erleichterung seiner Repräsentanten der Nato erstmals seit Jahrzehnten wieder eine Zwei melden. 2,01 Prozent des Bruttoinlandproduktes gibt es für die Verteidigung aus. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hebt hervor, dass das vor zehn Jahren gemeinsam formulierte Zwei-Prozent-Ziel 18 von 31 Mitgliedsländern erfüllen. Das seien sechsmal mehr als im Jahr der
„Wir übergeben inzwischen fast täglich militärische Ausrüstung an die Ukraine“Boris Pistorius (SPD) Bundesverteidigungsminister
Krim-Annexion, als die Nato sich dies vornahm. Die Alliierten hätten ihren Verteidigungsanstrengungen seitdem 600 Milliarden US-Dollar hinzugefügt, rechnet Stoltenberg zusammen und bemerkt dazu gleich: „Wir machen also echte Fortschritte.“Die Ausgaben allein der europäischen Partner für die
Verteidigung beliefen sich nun auf zusammen 380 Milliarden Dollar.
Wenn 18 das Nato-Ziel erreichen, bedeutet das jedoch umgekehrt, dass es 13 immer noch nicht schaffen. Und auch Deutschland sähe in diesem Vergleich schlechter aus, wenn die Wirtschaft nicht schrumpfen würde, wodurch der
Anteil der Verteidigung an der Wirtschaftskraft automatisch steigt. Noch kann sich in Berlin auch kaum einer vorstellen, wie die Zusage von Bundeskanzler Olaf Scholz eingehalten werden soll, die zwei Prozent auch dann noch zu stemmen, wenn 2028 der Hundert-Milliarden-Sondertopf leer sein wird.