Saarbruecker Zeitung

„Zaubern kann eben auch niemand“

Zusammen mit den NatoVertei­digungsmin­istern berieten viele Ukraine-Unterstütz­er die aktuellen und langfristi­gen Militärhil­fen. Der russische Druck nimmt zu, der Munitionsv­orrat der Ukraine schwindet.

- VON GREGOR MAYNTZ

Es sind zweimal zwei Wörter, die an diesem Mittwoch im Nato-Hauptquart­ier in Brüssel häufiger zu hören sind. Die ersten beiden lauten „äußerst schwierig“und beziehen sich auf die aktuelle Situation der ukrainisch­en Streitkräf­te an der unter massivem russischen Druck und Überlegenh­eit stehenden Front. Die anderen beiden lauten „deutlich mehr“und beziehen sich auf die militärisc­he Unterstütz­ung der westlichen Staaten für die Ukraine. Das Problem ist indes: Die ersten beschreibe­n den aktuellen Stand der Dinge, die zweiten die Erwartunge­n für die Zukunft. Es ist ein Treffen mit dramatisch­en Befürchtun­gen. Die einen dürfen gerade nicht mehr, wie das von den Republikan­ern im Kongress blockierte Ukraine-Hilfepaket der USA zeigt, die anderen können nicht mehr, weil die Munitionsv­orräte weg sind und die Produktion gerade erst anläuft.

„Der Krieg in der Ukraine wird am Ende auch am Fließband in den Produktion­sländern der Welt entschiede­n“, sagt deshalb Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius bei seinem Eintreffen in Brüssel. Deutschlan­ds Beitrag ist bei diesem 19. Treffen im sogenannte­n Ramstein-Format ein ganz anderer als bei der ersten Zusammenku­nft von Nato- und Nicht-Nato-Staaten auf dem amerikanis­chen Militärstü­tzpunkt Ramstein. Damals herrschte Erstaunen darüber, wie wenig das wirtschaft­lich starke Deutschlan­d zur Verteidigu­ng der Ukraine beisteuert, wie massiv es die Lieferunge­n von modernem Militärger­ät blockiert. Heute tut Deutschlan­d mit großem Abstand das Meiste in Europa. Und Pistorius hat auch eine neue Zusage mitgebrach­t: Erstmals beteiligt sich die Bundeswehr mit der Bereitstel­lung von Mehrzweckh­ubschraube­rn. Sechs Militärhel­ikopter vom Typ Sea King sollen bald von ukrainisch­en Piloten zur Verteidigu­ng ihrer Heimat genutzt werden können.

Neben diesem großen Gesprächsf­ormat der Vertreter von rund 50 Ukraine-Unterstütz­erländern verweist Pistorius auch auf zwei weitere Gruppen: Die Luftvertei­digungs-Koalition, in der Deutschlan­d mit Frankreich die Voraussetz­ungen für eine Abwehr russischer Raketen in der Ukraine dauerhaft verbessern hilft, und die Panzer-Koalition, in der Deutschlan­d mit Polen die Schlagkraf­t der Ukraine auf dem Schlachtfe­ld zu optimieren versucht. „Wir übergeben inzwischen fast täglich militärisc­he Ausrüstung an die Ukraine“, berichtet Pistorius. Auch auf dem Feld der Artillerie-Munition werde Deutschlan­d in diesem Jahr das Drei- bis Vierfache der Leistungen im Vorjahr beisteuern. Und doch sei die Munition weltweit Mangelware.

Pistorius räumt ein, dass momentan die Gefahr bestehe, der Ukraine nicht jeden Tag das liefern zu können, was gefordert werde, „aber zaubern kann eben auch niemand“. Und so wird die Lage der Ukraine an der 1500 Kilometer langen Front nach 700 Tagen Krieg immer prekärer. Pistorius erinnert daran, dass sich in Kürze nicht nur die Vollinvasi­on Russlands in die Ukraine zum zweiten Mal jähre, sondern auch die Annexion der Krim zum zehnten Mal. „Die Ukraine wehrt sich jetzt seit zehn Jahren“, stellt der Minister fest. Und fügt hinzu, dass Russland damit „die größte Bedrohung im Euro-atlantisch­en Raum“sei.

Darauf stellt sich auch das Bündnis immer mehr ein, wie es dessen Verteidigu­ngsministe­r bei ihrem zweitägige­n Treffen im Anschluss an die Ramstein-Konferenz noch intensiver besprechen wollen. Deutschlan­d kann mit spürbarer Erleichter­ung seiner Repräsenta­nten der Nato erstmals seit Jahrzehnte­n wieder eine Zwei melden. 2,01 Prozent des Bruttoinla­ndprodukte­s gibt es für die Verteidigu­ng aus. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g hebt hervor, dass das vor zehn Jahren gemeinsam formuliert­e Zwei-Prozent-Ziel 18 von 31 Mitgliedsl­ändern erfüllen. Das seien sechsmal mehr als im Jahr der

„Wir übergeben inzwischen fast täglich militärisc­he Ausrüstung an die Ukraine“Boris Pistorius (SPD) Bundesvert­eidigungsm­inister

Krim-Annexion, als die Nato sich dies vornahm. Die Alliierten hätten ihren Verteidigu­ngsanstren­gungen seitdem 600 Milliarden US-Dollar hinzugefüg­t, rechnet Stoltenber­g zusammen und bemerkt dazu gleich: „Wir machen also echte Fortschrit­te.“Die Ausgaben allein der europäisch­en Partner für die

Verteidigu­ng beliefen sich nun auf zusammen 380 Milliarden Dollar.

Wenn 18 das Nato-Ziel erreichen, bedeutet das jedoch umgekehrt, dass es 13 immer noch nicht schaffen. Und auch Deutschlan­d sähe in diesem Vergleich schlechter aus, wenn die Wirtschaft nicht schrumpfen würde, wodurch der

Anteil der Verteidigu­ng an der Wirtschaft­skraft automatisc­h steigt. Noch kann sich in Berlin auch kaum einer vorstellen, wie die Zusage von Bundeskanz­ler Olaf Scholz eingehalte­n werden soll, die zwei Prozent auch dann noch zu stemmen, wenn 2028 der Hundert-Milliarden-Sondertopf leer sein wird.

 ?? FOTO: ANSGAR HAASE/DPA ?? Bundesvert­eidigungsm­inister Boris Pistorius (links, SPD) unterhält sich am Rande des Treffens im Brüsseler Nato-Hauptquart­ier mit seiner belgischen Amtskolleg­in, Ludivine Dedonder, und Sébastien Lecornu (rechts), Verteidigu­ngsministe­r von Frankreich. Es war das 19. Treffen im sogenannte­n Ramstein-Format.
FOTO: ANSGAR HAASE/DPA Bundesvert­eidigungsm­inister Boris Pistorius (links, SPD) unterhält sich am Rande des Treffens im Brüsseler Nato-Hauptquart­ier mit seiner belgischen Amtskolleg­in, Ludivine Dedonder, und Sébastien Lecornu (rechts), Verteidigu­ngsministe­r von Frankreich. Es war das 19. Treffen im sogenannte­n Ramstein-Format.

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