Europa, das Nato-Gespenst und die A-Frage
Als Donald Trump den Europäern drohte, ihnen als US-Präsident den amerikanischen Schutz zu entziehen, wenn sie nicht genügend Geld in die Verteidigung stecken, konnte man langsam bis zehn zählen:
Und schon waren die Rufe nach einer europäischen Atomstreitmacht wieder zu hören. Denn das Thema wird von zwei Seiten getriggert. Da ist auf der einen Seite das ständige Drohen Russlands mit dem Einsatz von Atomwaffen im Zusammenhang mit dem Abwehrkampf der Ukraine. Und da ist die übergroße Abhängigkeit von der militärischen Supermacht USA. Beides führt den Europäern vor Augen, wie scheinbar blank sie dastehen, wenn es darum geht, russischen Nuklearschlagwarnungen glaubhafte eigene Abschreckung entgegenzustellen.
Die Atombombendebatte ist daher logisch. Praktikabel ist sie nicht. Eine Europäische Union, die seit Jahrzehnten am Aufwuchs einer konventionellen Europaarmee schon im Ansatz scheitert, wird sich bei der Verständigung auf Zugriffs- und Entscheidungskompetenzen einer atomaren Europastreitmacht derart verheddern, dass das Gegenteil von glaubwürdiger Abschreckung die Folge wäre. Soll demnächst ein Charles Michel mit einem Atomköfferchen durch die Hauptstädte reisen? Sollen die EU-Botschafter nach einstimmigem oder Mehrheitsvotum auf den Knopf drücken dürfen? Wann müssen die Parlamente beteiligt werden?
Es ist keine Überraschung, dass sowohl die Kreml- als auch die Trump-Drohungen der französischen Sehnsucht nach einem größeren Einfluss auf die Sicherheitsarchitektur der Welt Auftrieb geben. Doch sollte das Angebot aus Paris zu einer verstärkten Teilhabe anderer EU-Staaten an den französischen Atomfähigkeiten (und deren Kosten) auch vor dem
Hintergrund konkurrierender Konzepte gesehen werden. Frankreich verfolgt eine Abschreckung durch Vergeltungsfähigkeiten
– und beteiligt sich nicht an der deutschen Initiative einer gemeinsamen europäischen Luftverteidigung. Denn diese kreist um eine Abschreckung durch Verhinderungsfähigkeiten.
Erst wenn diese beiden Konzepte zusammengeführt werden, lohnt es, über vergrößerte nukleare und konventionelle europäische Schutzschirme nachzudenken. Dabei ist es sicherlich sinnvoll, beim gerade in der Entwicklung steckenden neuen Kampfjet schon mal die Funktion als Träger nuklear bestückbarer Marschflugkörper mitzudenken – sowohl in der französischen als auch in der deutschen Version.
Es dürfte jedoch dabei bleiben, dass Frankreich die letzte Entscheidung über den Einsatz jedes einzelnen seiner rund 300 Atomsprengköpfe nicht aus der Hand geben wird. Oft genug haben Präsident Emmanuel Macron und seine Vorgänger jedoch betont, dass ein Angriff auf einen europäischen Partner auch die französische Sicherheit unmittelbar gefährdet. Im EU-Vertrag haben sich die EU-Staaten zum gegenseitigen Beistand verpflichtet. Der Vertrag lässt offen, auf welche Weise das geschehen muss. Aber für jeden, der einen Überfall auf EU-Staaten vorbereitet, bleibt es unberechenbar, ob Frankreich unter diesem Beistand auch den Atomwaffeneinsatz verstehen könnte. Das schützt.