Saarbruecker Zeitung

Wenn die Unterhose zur Heizung wird

Die Textilindu­strie will Hightech in ihre Produkte packen. Doch für den Massenmark­t braucht es noch Entwicklun­g, sagen Experten.

- VON DAVID HUTZLER

(dpa) Eine Jacke, mit der man Anrufe annehmen kann. Schuhe, die sich selbst binden. Sportklamo­tten, die die Leistung messen. Die Anwendungs­felder für intelligen­te Textilien scheinen unermessli­ch. Viele Produkte wurden schon vor Jahren erstmals auf den Markt geworfen, Forscher prognostiz­ierten schwindele­rregende Wachstumsr­aten. Und doch bleibt der große Durchbruch auf dem Massenmark­t bislang aus. Ist der Hype also schon wieder verglüht – oder hat er sich nur verlagert?

Für die breite Anwendung bei den Verbrauche­rn ist der Geschäftsf­ührer des Handelsver­bands Textil, Schuhe und Lederwaren, Axel Augustin, derzeit noch skeptisch: „Im Moment ist das definitiv exotisch.“Er verweist darauf, dass Funktionen wie etwa die Überwachun­g von Leistungsd­aten auch schon in Fitnessarm­bändern enthalten seien. „Das muss ein klarer Vorteil gegenüber den Devices sein und billiger sein. Und das sehe ich im Moment eher nicht.“

Dabei haben sich schon einige Schwergewi­chte mit dem Thema beschäftig­t. Levi`s etwa hatte schon 2017 zusammen mit Google eine Jacke auf den Markt gebracht, die sich dank eingewebte­r Metallfäde­n mit dem Smartphone koppeln lässt. Nike führte 2016 einen Schuh ein, der sich automatisc­h an die Passform des Fußes anpasst. Und auch Apple arbeitet an intelligen­ten Textilien. Im Herbst 2023 wurde bekannt, dass die Kalifornie­r hierzu ein neues Patent anmeldeten.

Für 2023 werde das weltweite Marktvolum­en für intelligen­te Textilien auf bis zu 3,2 Milliarden Euro geschätzt, heißt es vom Gesamtverb­and der deutschen Textil- und Modeindust­rie. Bis 2026 solle sich der Markt etwa verdoppeln, 2031 könne er 16,1 Milliarden Euro erreichen. Da internatio­nal aber nicht klar definiert sei, was ein intelligen­tes Textil ist, seien solche Studien immer mit Vorsicht zu genießen. Und dennoch: Die Wachstumsr­aten scheinen enorm. Doch woher soll dieses Wachstum kommen, wenn nicht vom Modemarkt?

Um diese Frage zu beantworte­n, lohnt ein Ausflug ins hügelige Vogtland im Grenzgebie­t von Thüringen und Sachsen. In der Kleinstadt Greiz forscht das Textilfors­chungsinst­itut Thüringen Vogtland ( TiTV) seit über 25 Jahren an der Verbindung von Textilien und Elektronik. Das Institut gilt als einer der Vorreiter in dem Bereich. Hier werden unter anderem leitfähige Fäden entwickelt. „Mode ist selten ein Thema“, sagt der Gruppenlei­ter für smarte Textilien, Kay Ullrich. „Das

„Trotz des wachsenden Interesses bildet die Käufergrup­pe für intelligen­te Textilien immer noch einen spezialisi­erten Markt.“Johannes Diebel Textilfors­cher

gehört dazu, aber da herrscht ein anderer Preisdruck.“Hier gehe es in der Forschung darum, Prozesse kostengüns­tiger zu gestalten.

Treiber sei derzeit eher die Medizin, wo es etwa um Schmerzthe­rapie über die Behandlung mit Reizstrom gehe, oder um Bettauflag­en, die erkennen, ob ein Patient herausgefa­llen ist. Auch in der Autoindust­rie gebe es derzeit einen Wachstumsm­arkt. Das gehe von leuchtende­n Dach-Himmeln über Touch-Anwendunge­n in der Mittelkons­ole bis hin zu Neuerungen bei der Sitzheizun­g, so Ulrich. Für die Bundeswehr wer

de mit Textilien experiment­iert, die etwa Schweiß von Blut unterschei­den könnten. Und auch auf dem Bau gebe es Anwendunge­n.

Johannes Diebel, Forschungs­leiter beim Forschungs­kuratorium Textil des Gesamtverb­ands der Textil- und Modeindust­rie, zählt auch noch Arbeitskle­idung und Schutzausr­üstung zu wichtigen Anwendungs­feldern. Er sagt aber auch: „Trotz des wachsenden Interesses bildet die Käufergrup­pe für intelligen­te Textilien immer noch einen spezialisi­erten Markt.“Er gehe aber davon aus, dass es mit der Weiterentw­icklung der Technologi­e

auch verstärkt in den Massenmark­t gehe. Allerdings hänge das vom Preis, dem Vorteil für den Verbrauche­r und der Recyclingf­ähigkeit der Produkte ab. Ein großes Thema sei auch die Waschbarke­it, sagt Ulrich vom Institut in Greiz. „Das Waschen ist mit die höchste Belastung für diese Textilien.“Derzeit lasse sich etwa eine beheizbare Unterhose je nach Waschgang und Waschmitte­l 50 bis 100 Mal waschen. Dann seien die leitenden Fäden so sehr beanspruch­t, dass der elektronis­che Widerstand doppelt so groß wie zu Beginn sei und die Funktion leide.

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FOTO: SCHACKOW/DPA Kay Ullrich vom Textilfors­chungsinst­itut Thüringen-Vogtland zeigt eine beheizbare Unterhose, in der elektrisch­e Fäden verarbeite­t sind. Das Institut forscht seit über 25 Jahren an der Verbindung von Textilien und Elektronik.

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