Saarbruecker Zeitung

Wenn die Busfahrt ins Gefängnis führt

Die spendenfin­anzierte Initiative Freiheitsf­onds kauft Schwarzfah­rer aus dem Gefängnis frei, auch im Saarland. Setzt Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) sein geplantes Gesetzesvo­rhaben in diesem Jahr um, wird das bald nicht mehr nötig sein.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

In den Bus oder die Straßenbah­n ohne Ticket eingestieg­en – das kann nicht nur teuer werden, sondern bei mehrfachem Verstoß sogar ins Gefängnis führen. Wer schwarz fährt und kontrollie­rt wird, muss zunächst Geld bezahlen, und zwar ein „erhöhtes Beförderun­gsentgelt“von 60 Euro. Wer dieses nicht bezahlen will oder kann, riskiert eine Gefängniss­trafe. Denn bisher wird Schwarzfah­ren im öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) als Straftat geahndet. Unter Paragraf 265a steht auf das „Erschleich­en von Leistungen“, zu denen das absichtlic­he Fahren ohne Fahrschein zählt, eine Geld- oder Freiheitss­trafe von bis zu einem Jahr. Derzeit gibt es laut dem hiesigen Justizmini­sterium 17 Menschen, die sich „aufgrund einer Verurteilu­ng nach (unter anderem) Paragraf 265a Strafgeset­zbuch (Erschleich­en von Leistungen) wegen einer Freiheits- oder Ersatzfrei­heitsstraf­e im saarländis­chen Vollzug befinden“. Also hinter Gittern wegen mehrfachen Fahrens ohne Fahrkarte.

Die spendenfin­anzierte Initiative Freiheitsf­onds hat sich zur Aufgabe gemacht, solche Gefangenen freizukauf­en. Seit der Gründung im Dezember 2021 kamen so 911 Inhaftiert­e in Deutschlan­d auf freien Fuß, darunter lediglich drei aus dem Saarland. „Die meisten Menschen, die im Saarland wegen Fahrens ohne Ticket einsitzen, kennen den Freiheitsf­onds tatsächlic­h noch nicht“, sagt Fonds-Mitarbeite­r Saman Hamdi. Ihm und Fonds-Gründer Arne Semsrott, einem Journalist­en und Aktivisten aus Berlin, geht es darum, Menschen zu helfen, die durchgängi­g in Krisensitu­ationen leben und durch die Haft noch tiefer rutschen. „Diese Leute haben keinen Fahrschein gekauft, weil sie

sich das schlichtwe­g nicht leisten können. Dann ist logisch, dass sie die 60 Euro erhöhtes Beförderun­gsentgelt auch nicht aufbringen können“, sagt Hamdi im Gespräch mit der SZ. Im Grunde würden sie dafür im Gefängnis landen, weil sie arm sind. „In vielen Fällen hat eine Ersatzfrei­heitsstraf­e weder einen präventive­n Charakter gehabt noch zu einer Resozialis­ierung geführt“, berichtet er. Im Gegenteil würden viele Betroffene­n an psychische­n Störungen leiden und seien durch die drohende oder vollzogene Inhaftieru­ng noch weiter geschwächt. „Tatsächlic­h führt eine Ersatzfrei­heitsstraf­e regelmäßig dazu, dass Betroffene ihren Arbeitspla­tz, einen Therapieod­er Wohnplatz verlieren“, berichtet der Aktivist Hamdi.

In der Bundespoli­tik gibt es bereits länger Bestrebung­en, das aktuelle Gesetz zu reformiere­n. Im vergangene­n November legte Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) ein Eckpunktep­apier für eine Strafrecht­sreform vor. In diesem schlägt das Bundesjust­izminister­ium unter anderem vor, eine Tatbestand­salternati­ve des Straftatbe­stands des Erschleich­ens von Leistungen (Paragraf 265a) durch einen Ordnungswi­drigkeiten­tatbestand zu

ersetzen. Ob eine solche Reform bereits 2024 in Kraft treten könnte, konnte das Bundesmini­sterium auf Anfrage noch nicht mitteilen. Auch die saarländis­che Justizmini­sterin Petra Berg (SPD) befürworte­t eine solche Änderung. „Der Schwarzfah­rer unterschei­det sich vom rechtstreu­en Bürger letztlich nur dadurch, dass er vor Fahrtantri­tt keinen gültigen Fahrschein erworben hat. Es handelt sich hierbei um einen zivilrecht­lichen Anspruch des Verkehrsun­ternehmens gegen den Schwarzfah­rer, den es durchzuset­zen gilt. Um die Verletzung dieses Rechtsguts zu ahnden, braucht es beim erstmalige­n Täter meiner Auffassung nach nicht Strafrecht. Vielmehr könnte der Staat dieses Verhalten mit den Mitteln des Ordnungswi­drigkeiten­rechts

sanktionie­ren“, teilte sie auf Anfrage mit. Dieser Meinung sind auch außerhalb der Politik viele in der Gesellscha­ft. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Infratest dimap aus dem vergangene­n Jahr 2023 bewerten 69 Prozent der Befragten die Überlegung, das Schwarzfah­ren als Ordnungswi­drigkeit herabzustu­fen, als richtig.

Für den Freiheitsf­onds wäre damit das Grundprobl­em nicht gelöst. „Natürlich würden wir diese Entwicklun­g begrüßen. Doch auch eine Ordnungswi­drigkeit kann unter Umständen ins Gefängnis führen, auch wenn jedoch für eine kürzere Zeitspanne“, sagt Hamdi. „Unser Ziel ist daher, die vollständi­ge Entkrimina­lisierung von Schwarzfah­rern“, fordert er. Wenn der Tatbestand gestrichen wäre, müssten die Betroffene­n immer noch die 60 Euro erhöhtes Beförderun­gsentgelt an das Verkehrsun­ternehmen zahlen. „Wenn sie das Geld nicht aufbringen können, wird oft ein Inkasso-Unternehme­n eingeschal­tet, die Menschen bekommen SchufaAntr­äge und können keine neuen Verträge abschließe­n oder müssen Privatinso­lvenz anmelden. Das ist schon Strafe genug“, meint Saman Hamdi.

Davor warnt hingegen Marco Mansdörfer, Professor für Strafrecht an der Saar-Uni. Beim Schwarzfah­ren handele es sich im Grunde um eine Sonderform von Betrug, und es sei richtig, Betrug unter Strafe zu stellen. „Es ist nicht so, dass eine Person, die einmal ohne Ticket im Bus kontrollie­rt wird, sofort vor dem Strafricht­er gelangt“, sagt er. Bei den Menschen, die deshalb in Haft kommen, handele es sich um Mehrfachtä­ter. Durch eine Umwandlung des Tatbestand­s „Erschleich­ung von Leistungen“in eine Ordnungswi­drigkeit sehe er auch keine Entlastung für die Justiz. Diese Fälle müssten schließlic­h auch bearbeitet werden. Eine Entkrimina­lisierung sieht er ebenfalls kritisch. Eine solche Diskussion gäbe es ebenso aufgrund der niedrigere­n Beträge bei Ladendiebs­tählen. „Was wäre, wenn jeder beim Bäcker ein Brötchen für 60 Cents nimmt, ohne dafür zu bezahlen? Dann wird das Geschäft auf kurz oder lang schließen müssen“, gibt er zu bedenken. Ein Ausweg aus der aktuellen Situation ist die kostenlose ÖPNV-Nutzung, wie etwa in Luxemburg. „Darüber kann man nachdenken, aber es wäre eine politische Entscheidu­ng“, sagt der Professor.

911 Menschen konnte der Freiheitsf­onds seit seiner Gründung aus dem Gefängnis freikaufen. Quelle: Freiheitsf­onds

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA In Straßenbah­nen in Deutschlan­d dürfen die Fahrgäste nur mit gültiger Fahrkarte einsteigen, da es keine Schaffner mehr gibt. So auch bei der Saarbahn. Stattdesse­n gibt es dort von montags bis freitags Kontrolleu­re.

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