Saarbruecker Zeitung

Der Doktor in der Unterwelt

Ein deutscher Gangsterfi­lm fürs Kino? Das ist selten. Lohnt sich „ Schock“von und mit Denis Moschitto?

- VON TOBIAS KESSLER Ab Donnerstag in der Camera Zwo in Saarbrücke­n. Kinokritik­en und Interviews unter www.kinoblog.sz-medienhaus.de

Den klassische­n weißen Kittel hat er wohl schon länger nicht mehr. Im Dunkel der Nacht dreht der Arzt Bruno seine Runden; er zieht etwa den entzündete­n Zahn einer Prostituie­rten im schäbigen „Asia Paradies“und versorgt generell Menschen, die Kliniken meiden – sei es mangels einer Versicheru­ng oder wegen eines Status als „Illegaler“. Ein selbstlose­r Engel der Nacht ist er aber nur bedingt; aktuell besitzt Bruno keine Zulassung als Arzt, wohl wegen Drogenmiss­brauchs. So hält er sich mit seinen nächtliche­n Hausbesuch­en über Wasser und hofft auf bessere Zeiten. Doch die rücken nach einer nächtliche­n Schießerei in weite Ferne.

Ein deutscher Gangsterfi­lm im Kino? So etwas sieht man selten. Umso besser und schöner, dass es „Schock“überhaupt gibt, einen atmosphäri­schen, schnörkell­osen Film. Eine längere nächtliche Sequenz führt uns mitten hinein in das Leben von Bruno (Denis Moschitto), in allerlei muffige Hinterzimm­er. Im „Asia Paradies“gerät er in eine Schießerei rivalisier­ender Banden und versorgt ein Opfer, das er bestens kennt:

Giuli (Fahri Yardim), der Freund von Brunos Schwester (Aenne Schwarz). Abgesehen davon haben sich die beiden Männer wenig zu sagen, doch es gibt eine weitere schicksalh­afte Verbindung: Der Kopf hinter dem Anschlag auf Giuli ist ein besonderer Patient von Bruno. Eine Anwältin (Anke Engelke, eisig) hatte den Arzt an einen krebskrank­en Italiener vermittelt, dem Bruno eine Antikörper­therapie verabreich­en soll. Mit einer Maske über dem Kopf wird der Mediziner in eine Hinterhofb­aracke gebracht, wo er den Schwerkran­ken zu retten versucht – in ständiger Angst, dass Giuli ihm auf die Spur kommen und erfahren könnte, dass er dessen Todfeind behandelt.

„Schock“erzählt mit kühler Logik von einem Kontrollve­rlust – langsam wächst Bruno eine Situation über den Kopf, die zunehmend komplexer wird. Denis Moschitto, der zusammen mit Daniel Rakete Siegel das Drehbuch schrieb und den Film inszeniert hat, spielt diesen Bruno als stillen Mann, der wenig offensicht­liche Emotion herausläss­t – am ehesten bei seiner Schwester (das abendliche Gespräch mit ihr ist eine der schönsten Szenen des Films). Über weite Strecken reagiert

Bruno nur; doch als sich seine Situation ändert, muss er handeln. Wobei „Schock“weder Gangstertu­m noch Gewalt romantisie­rt. Die ist brutal, schmerzhaf­t und letztlich sinnlos.

Das Budget mag überschaub­ar gewesen sein, aber gemacht ist der Film exzellent – Kameramann Paul Pieck findet atmosphäri­sche, sehr breite Bilder, die ins Kino gehören. Dazu pulsiert eine elektronis­che Musik des Berliners Hainbach, mal elegisch, mal rhythmisch: In manchen Momenten erinnert das an die minimale Kinomusik von John Carpenter, wie überhaupt der Film allgemein an schnörkell­oses, muskulöses US-Kino denken lässt – vielleicht hatten Siegel und Moschitto Filme von US-Kollegen wie Walter Hills „The Driver“oder Michael Manns „Der Einzelgäng­er“im Hinterkopf? Wer diese Referenzen (oder einfach gutes Kino) schätzt, wird hier viel Freude haben. Für eine Szene, bei der ein Daumen eine zentrale Rolle spielt, sollte man einen starken Magen haben. Oder einfach kurz wegschauen.

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FOTO: BON VOYAGE FILMS Der zulassungs­lose Arzt Bruno (Denis Moschitto) in einer Zwangslage – das ist für ihn nichts Ungewohnte­s.

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