Der Doktor in der Unterwelt
Ein deutscher Gangsterfilm fürs Kino? Das ist selten. Lohnt sich „ Schock“von und mit Denis Moschitto?
Den klassischen weißen Kittel hat er wohl schon länger nicht mehr. Im Dunkel der Nacht dreht der Arzt Bruno seine Runden; er zieht etwa den entzündeten Zahn einer Prostituierten im schäbigen „Asia Paradies“und versorgt generell Menschen, die Kliniken meiden – sei es mangels einer Versicherung oder wegen eines Status als „Illegaler“. Ein selbstloser Engel der Nacht ist er aber nur bedingt; aktuell besitzt Bruno keine Zulassung als Arzt, wohl wegen Drogenmissbrauchs. So hält er sich mit seinen nächtlichen Hausbesuchen über Wasser und hofft auf bessere Zeiten. Doch die rücken nach einer nächtlichen Schießerei in weite Ferne.
Ein deutscher Gangsterfilm im Kino? So etwas sieht man selten. Umso besser und schöner, dass es „Schock“überhaupt gibt, einen atmosphärischen, schnörkellosen Film. Eine längere nächtliche Sequenz führt uns mitten hinein in das Leben von Bruno (Denis Moschitto), in allerlei muffige Hinterzimmer. Im „Asia Paradies“gerät er in eine Schießerei rivalisierender Banden und versorgt ein Opfer, das er bestens kennt:
Giuli (Fahri Yardim), der Freund von Brunos Schwester (Aenne Schwarz). Abgesehen davon haben sich die beiden Männer wenig zu sagen, doch es gibt eine weitere schicksalhafte Verbindung: Der Kopf hinter dem Anschlag auf Giuli ist ein besonderer Patient von Bruno. Eine Anwältin (Anke Engelke, eisig) hatte den Arzt an einen krebskranken Italiener vermittelt, dem Bruno eine Antikörpertherapie verabreichen soll. Mit einer Maske über dem Kopf wird der Mediziner in eine Hinterhofbaracke gebracht, wo er den Schwerkranken zu retten versucht – in ständiger Angst, dass Giuli ihm auf die Spur kommen und erfahren könnte, dass er dessen Todfeind behandelt.
„Schock“erzählt mit kühler Logik von einem Kontrollverlust – langsam wächst Bruno eine Situation über den Kopf, die zunehmend komplexer wird. Denis Moschitto, der zusammen mit Daniel Rakete Siegel das Drehbuch schrieb und den Film inszeniert hat, spielt diesen Bruno als stillen Mann, der wenig offensichtliche Emotion herauslässt – am ehesten bei seiner Schwester (das abendliche Gespräch mit ihr ist eine der schönsten Szenen des Films). Über weite Strecken reagiert
Bruno nur; doch als sich seine Situation ändert, muss er handeln. Wobei „Schock“weder Gangstertum noch Gewalt romantisiert. Die ist brutal, schmerzhaft und letztlich sinnlos.
Das Budget mag überschaubar gewesen sein, aber gemacht ist der Film exzellent – Kameramann Paul Pieck findet atmosphärische, sehr breite Bilder, die ins Kino gehören. Dazu pulsiert eine elektronische Musik des Berliners Hainbach, mal elegisch, mal rhythmisch: In manchen Momenten erinnert das an die minimale Kinomusik von John Carpenter, wie überhaupt der Film allgemein an schnörkelloses, muskulöses US-Kino denken lässt – vielleicht hatten Siegel und Moschitto Filme von US-Kollegen wie Walter Hills „The Driver“oder Michael Manns „Der Einzelgänger“im Hinterkopf? Wer diese Referenzen (oder einfach gutes Kino) schätzt, wird hier viel Freude haben. Für eine Szene, bei der ein Daumen eine zentrale Rolle spielt, sollte man einen starken Magen haben. Oder einfach kurz wegschauen.