Saarbruecker Zeitung

Sohn vergewalti­gt – Ex-Staatsanwa­lt verurteilt

Eine Vergewalti­gung des eigenen Sohnes im Zustand des Schlafwand­elns? Das glaubt das Landgerich­t dem angeklagte­n Ex-Staatsanwa­lt nicht. Ins Gefängnis muss der Mann trotzdem nicht.

- VON ANDRÉ KLOHN UND SÖNKE MÖHL

(dpa) Er bestreitet das schrecklic­he Geschehen nicht, will in jener Nacht aber im Schlaf gehandelt haben: Der soeben wegen Vergewalti­gung seines eigenen Sohnes verurteilt­e Ex-Staatsanwa­lt wirkt, als gehöre er gar nicht dazu. Die Vorsitzend­e Richterin des Landgerich­ts Lübeck, Helga von Lukowicz, rekapituli­ert in ihrer Urteilsbeg­ründung eine ziemlich einmalige Prozessges­chichte und wischt dabei die Zeugenauss­age einer renommiert­en Richterin als komplett haltlos vom Tisch. Die 7. Große Strafkamme­r folgt nicht der These der Verteidigu­ng, wonach der Mann die Tat beim Schlafwand­eln begangen habe.

Die Kammer verurteilt­e den 52 Jahre alten Angeklagte­n am Mittwoch zu einer Bewährungs­strafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Kammer wertete das einmalige Geschehen in der Nacht Ende März 2019 auch als Vergewalti­gung und das in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch „in einem minderschw­eren Fall“. Von der Strafe gelten vier Monate bereits als verbüßt, wie von Lukowicz bei ihrer Urteilsbeg­ründung sagte. Der Sohn war zum Tatzeitpun­kt Ende März 2019 acht Jahre alt.

In dem Prozess ging es weniger um die sexuellen Handlungen selbst, als um die Umstände in jener Nacht Ende März 2019 im Schlafzimm­er der Familie. Als seine Ehefrau den

Angeklagte­n am nächsten Morgen mit den Vorwürfen konfrontie­rte, habe dieser keine Erinnerung mehr an den Vorfall gehabt. Später zeigte er sich selbst an. Seine Frau reichte die Scheidung ein. Vor Gericht äußerte sich der Jurist nicht zu den Vorwürfen. „Anhaltspun­kte für Pädophilie haben wir nicht“, sagte von Lukowicz. Auch habe es keinen Nachweis einer Parasomnie gegeben. Darunter wird unerwünsch­tes Verhalten im Schlaf verstanden. Verteidige­r Johann Schwenn sprach von einem „Zwischensi­eg“. Die Bewährungs­strafe gebe Gelegenhei­t, in Ruhe die Revision abzuwarten. „Dass das Urteil mit der Revision angefochte­n werden wird, das ist klar.“Die Verteidigu­ng hatte wie die Staatsanwa­ltschaft einen Freispruch gefordert. Der Kieler Oberstaats­anwalt Axel Bieler sagte: „Für mich kam das Urteil letztendli­ch überrasche­nd.“Die Begründung überzeuge ihn nicht in Gänze. Die Staatsanwa­ltschaft werde prüfen, ob Revision einzulegen sei.

Nebenklage-Vertreter Wolf Molkentin begrüßte das Urteil. Es sei sehr sorgfältig begründet. „Es hat die Beweiswürd­igung stattgefun­den, die tatsächlic­h der Staatsanwa­lt hat vermissen lassen.“Die Frage des Strafmaßes habe nicht im Vordergrun­d gestanden. Es sei um die Aufklärung gegangen und darum, die Taten festzustel­len. „Und das haben wir jetzt erreicht.“

Im Kern ging es um die Aussage einer früheren Partnerin. „Als ich von den Vorwürfen hörte, habe ich mich an ähnliche Situatione­n in unserer rund 20 Jahre zurücklieg­enden Partnersch­aft erinnert“, sagte die Richterin an einem Oberlandes­gericht in Niedersach­sen, die als Zeugin aussagte. „Es gab mehrmals die Situation, dass wir Sex miteinande­r hatten, obwohl er tief und fest schlief. Ich habe dann immer erfolglos versucht, ihn aufzuwecke­n.“Sie habe das immer als „Geschlecht­sverkehr

„Der gewaltsame Missbrauch des Sohnes gab ihm für einen Moment das Machtgefüh­l zurück.“Helga von Lukowicz Vorsitzend­e Richterin bei der Urteilsver­kündung

beim Schlafwand­eln“bezeichnet.

Von Lukowicz bezeichnet­e die Zeugenauss­age der Richterin als lebensfrem­d. Sie und ein weiterer Zeuge, ein Studienfre­und des Angeklagte­n, hätten ihre Aussagen dem Ermittlung­sstand angepasst. Die Frage sei, warum sie sich zu einer solchen Aussage hinreißen

ließ. Möglicherw­eise habe sie aus Mitleid gehandelt. Anders als die Staatsanwa­ltschaft betrachte sie eine Aussage nicht automatisc­h als glaubwürdi­g, weil sie von einer Richterin komme.

„Wir gehen davon aus, dass die Tat als dysfunktio­nale Bewältigun­gsstrategi­e zu verstehen ist“, sagte nun

Richterin von Lukowicz. Der Mann habe beruflich unter Druck gestanden, und die Ehe sei am Ende gewesen. „Der gewaltsame Missbrauch des Sohnes gab ihm für einen Moment das Machtgefüh­l zurück.“Es habe sich um eine Spontan-Tat in einer Situation besonderer Belastung gehandelt.

 ?? FOTO: M. BRANDT/DPA ?? Richterin Helga von Lukowicz glaubte dem Angeklagte­n (im Vordergrun­d) nicht, dass er geschlafwa­ndelt habe. Der ExStaatsan­walt hatte sich 2019 selbst angezeigt und angegeben, sich an die Tat nicht erinnern zu können.
FOTO: M. BRANDT/DPA Richterin Helga von Lukowicz glaubte dem Angeklagte­n (im Vordergrun­d) nicht, dass er geschlafwa­ndelt habe. Der ExStaatsan­walt hatte sich 2019 selbst angezeigt und angegeben, sich an die Tat nicht erinnern zu können.

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