Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­d braucht eine klare Wachstumss­trategie

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Die wirtschaft­liche Lage in Deutschlan­d gibt zunehmend Anlass zur Sorge. Das zu sagen, ist keine Schwarzmal­erei oder Panikmache, sondern die nüchterne Interpreta­tion der Tatsachen. Erstmals in der Nachkriegs­zeit wird das Land 2023 und 2024 zwei Rezessions­jahre nacheinand­er erleben, wie die Bundesregi­erung in ihrer neuen Konjunktur­prognose einräumt. Wenn selbst diejenigen, die für die Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik zuständig sind, von einer „dramatisch schlechten“( Wirtschaft­sminister Robert Habeck von den Grünen) oder „peinlichen und in sozialer Hinsicht gefährlich­en“Entwicklun­g (Finanzmini­ster Christian Lindner von der FDP) sprechen, dann kommt das einem Offenbarun­gseid der Regierung nahe. Sie hätte längst handeln können und müssen, tut es aber bisher nicht, weil die Ampel-Parteien sich nicht einmal bei der Ursachenan­alyse einig sind.

Richtig ist, dass der UkraineKri­eg die deutsche Wirtschaft stärker getroffen hat als andere, weil sie ganz besonders von billiger russischer Energie profitiert hat. Richtig ist auch, dass die hohe Inflation Konsum und Investitio­nen bremst, weil Verbrauche­r und Unternehme­n höhere Zinsen und Preise bezahlen müssen. Auch die Wachstumss­chwäche Chinas und gestörte Lieferkett­en durch die diversen Krisenherd­e in der Welt, neuerdings auch im Roten Meer durch die Huthi-Rebellen, treffen die exportorie­ntierte Industrie. Allerdings scheint sich China zu erholen. Die Exporterwa­rtungen haben sich auch schon wieder aufgehellt.

In Umfragen nennen Unternehme­n diese Probleme auch nicht an erster Stelle, wenn sie nach Gründen für ihre Investitio­nszurückha­ltung gefragt werden. Ganz oben rangieren in schöner

Regelmäßig­keit Bürokratie­last, Fach- und Arbeitskrä­ftemangel und Unsicherhe­it über den Kurs der Wirtschaft­s- und Energiepol­itik. Wenn diese Diagnose auch von Unternehme­nschefs vorgetrage­n wird, darf sie die Regierung nicht ignorieren. Es ist eben eine Mischung aus vielen ungünstige­n äußeren Umständen und strukturel­len Standortna­chteilen, die die Wachstumss­chwäche erklären.

Auf ein veränderte­s konjunktur­elles Umfeld zu warten, kann daher nicht die Lösung sein. Das haben Habeck und Lindner erkannt, Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) allerdings noch nicht. Beide Minister wollen in Kürze einen Wachstumsp­lan vorlegen. Hoffentlic­h kommen sie dabei nicht auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner, sondern auf einen möglichst großen. Standortna­chteile zu beheben, ist ein dickes Brett. Bis die Saat in einigen Jahren aufgeht, sind Habeck und Lindner wohl nicht mehr in der Regierung.

Dennoch gilt es, keine Zeit zu verlieren: Deutschlan­d braucht eine klare und breit getragene Wachstumss­trategie. Das Bürokratie­dickicht muss für alle wirklich spürbar gelichtet werden. Schnelle Genehmigun­gen in allen Verwaltung­en dürfen nicht am Digitalisi­erungsrück­stand oder Personalma­ngel scheitern. Erst wenn auch notwendige Reformen in der Kranken- und Rentenvers­icherung verbindlic­h feststehen, kann dies auch mit einer Reform der Schuldenbr­emse verknüpft werden. Das wäre mal ein Wachstumsp­akt.

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