„Ich bin ein ziemlich glücklicher Kerl“
Seit fast acht Jahren lebt der Saarländer Christian Bär mit der Diagnose ALS, heute ist sein Körper fast ganz gelähmt. Über sein Leben hat er ein Buch geschrieben – voller Tapferkeit und auch Humor.
Ein erstes Anzeichen hat Christian Bär im September 2015 gespürt: Da war gerade sein Sohn Hannes geboren, Bär trug den Kleinen aus der Klinik zum Auto und merkte, „dass es meinem rechten Bizeps an Kraft“fehlt. Wochen später fiel ihm beim Squash auf, „dass da wenig Bums in meinen Schlägen ist“. Heute, acht Jahre später, ist Bär fast vollständig gelähmt, wird mit Maske beatmet, künstlich ernährt. Der 45-Jährige leidet an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose): Bei dieser bisher unheilbaren Krankheit bauen sich die Nerven ab, in Folge die Muskeln – nach und nach geht die Kontrolle über alle Körperfunktionen verloren.
Die erschütternde Diagnose erhielt er im Sommer 2016. Seitdem beschreibt er sein Leben bei Instagram und in einem Blog – zugleich Verlaufs-Protokoll einer grausamen Krankheit wie auch das Dokument einer extremen Tapferkeit. Denn Bär schreibt und protokolliert mal nüchtern und auf den Punkt, mal humorig und sarkastisch, durchaus auch mit Wehmut – aber nie mit Selbstmitleid oder Gefühligkeit. Die klassische Frage „Warum gerade ich?“stellt er nicht. „Die Opferrolle ist mir zuwider“, unter den „gegebenen Umständen“, schreibt er, sei er „ein ziemlich glücklicher Kerl“.
Die Texte erscheinen Ende Februar als Buch, das Interesse ist groß – der Verlag hat nach einer Flut von Vorbestellungen die Startauflage verdoppelt. „#ALS und andere Ansichtssachen“heißt es, lässt sich chronologisch lesen, aber auch einfach kapitelweise. Bär schreibt, indem er einen Sprachcomputer mit Augenbewegungen steuert.
Vom Beginn seiner Krankheit erzählt er, von endlosen Untersuchungen, „Wechselbädern zwischen Hoffen und Bangen, der ängstlichen Verdrängung des Offensichtlichen“und – eine typisch sarkastische BärFormulierung – „einigen Hiobsbotschaften der Extraklasse“. Der ganz
normale Alltag, das geplante Leben mit Frau, Sohn und Hund Frieda im Püttlinger Haus verändert sich radikal. Bei einem Urlaub in Zeeland fragt sich Bär, ob dies möglicherweise sein letzter Spaziergang am Strand ist. „Leider sollte ich Recht behalten. Ein Jahr später kam unter Tränen der erste Roll
stuhl.“Seit Januar 2019 ist Bär auf eine Intensivpflege 1:1 angewiesen, seine Vitalfunktionen müssen ständig überwacht werden, er ist „unter konstanter Beobachtung. Da bleibt nichts verborgen. Nichts.“Der Verlust des Sprechens trifft ihn mit am härtesten, schreibt er, ebenso der Verlust, auf übliche Weise zu essen. Zwischenzeitlich verliert Bär 50 Kilo Gewicht, die Ernährung per Magensonde päppelt ihn wieder auf.
Bär schreibt nicht drumherum. Nach derzeitigem Forschungsstand gebe es für ihn, „einbetoniert“von ALS, „aktuell keinen therapeutischen Fluchtweg zurück in ein Leben ohne Intensivpflege“. Bärs „viel zu früher Tod“, schreibt er, sei „sehr wahrscheinlich“. Und doch fragt er sich, warum er „so ausgesprochen fröhlich“sei, gebe es dafür doch „nach üblichen Maßstäben eher wenig Gründe“. Doch „ich bin frei von Schmerzen, werde geliebt, liebe und bin wachen Geistes“. Das mache „die Lage nicht weniger beschissen, aber mich glücklicher“. Wann Bärs „Zeit um ist, kann niemand sagen. Bis dahin will ich ein erfülltes Leben führen, mich an den schönen Dingen erfreuen, Ehemann und Papa sein.“
Leben und Alltag mit ALS zu organisieren, ist aufwendig – finanziell wie logistisch. Bär, der seit über 18 Jahren als Informatiker bei derselben Firma arbeitet, organisiert nach einigen anderweitigen Versuchen seine Pflege mittlerweile selbst, beschäftigt als Arbeitgeber sechs Angestellte in Teil- und Vollzeit.
2019 war Bärs Blog für den Grimme-Medienpreis nominiert. Im Buch beschreibt er sehr launig seine Anreise nach Köln, mit langem Stau auf der Autobahn („Ich hatte ALS und meine Mitfahrer Schnappatmung“) und einer holprigen Rollstuhlfahrt durch eine Pizzeria nach der Gala.
Im Buch beschäftigt sich Bär auch mit anderem – etwa der Zeit von Corona, die „unserer Gesellschaft Risse zugefügt“habe, mit sofortiger Lagerbildung und mit vielen mitteilungsbedürftigen Menschen, die „insbesondere durchs Internet röhrten“, um „der Platzhirsch unter den Spaltenden zu sein“. Mit den sozialen Medien macht Bär ohnehin seine Erfahrungen: Auf seinem Instagram-Account wurde er schon „Psychopath“und „Hurensohn“genannt, „Pisser“und „Spasti“– zumindest die letzten beiden Bezeichnungen, kommentiert Bär, seien in gewisser Weise korrekt. Auch wurde dort die Theorie aufgestellt, Bärs Krankheit sei bloß vorgetäuscht, damit er Spendengelder für sich und seine offensichtliche Sekte horten könne. Da wundert Bär nichts mehr. Auch nicht in der Politik, etwa bei einem 2017 vorgelegten Entwurf zu seinem Intensivpflegegesetz, das, in dieser Form umgesetzt, seine Betreuung zuhause unmöglich gemacht hätte, zugunsten eines Heimplatzes.
Das Buch schließt mit Bärs Wünschen zum noch frischen Jahr 2024, für Bär „wieder ein Matchball-Jahr“, liege er doch „deutlich über der allgemeinen Prognose von drei bis fünf Jahren Restspielzeit ab Diagnosestellung. Hoffentlich kann ich weiter punkten und das Spiel des Lebens noch etwa in die Länge ziehen.“
Christian Bär: #ALS und andere Ansichtssachen.
Pinguletta Verlag, 337 Seiten, 17 Euro. Das Buch erscheint am 29. Februar und kann überall vorbestellt werden.