Was Rheinland-Pfälzer über Politik denken
Erstmals haben Wissenschaftler die politischen Einstellungen der Rheinland-Pfälzer umfassend untersucht. Die Menschen dort beklagen unter anderem eine „Überfremdung“. Eine ähnliche Studie soll fürs Saarland erstellt werden.
Die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist eine erklärte Anhängerin des gendersensiblen Doppelpunkts. Doch wenn die SPD-Politikerin von „Bürger:innen“oder „Schüler:innen“spricht, redet sie an der großen Mehrheit ihrer Landsleute vorbei. 73 Prozent der Menschen in RheinlandPfalz halten von Gendersprache wenig bis gar nichts, das Meinungsbild ist quer durch alle Bevölkerungsgruppen ähnlich.
Das ist eines der Ergebnisse des „Rheinland-Pfalz-Monitors“, der erstmals politische Einstellungen in unserem Nachbarland umfassend gemessen hat. Erstellt haben die großangelegte repräsentative Befragung von mehr als 1200 Menschen Wissenschaftler des Trierer Instituts für Demokratie- und Parteienforschung sowie Meinungsforscher von Infratest dimap in Zusammenarbeit mit dem Mainzer Landtag.
Die Ergebnisse dürften auch in der saarländischen Politik auf größtes Interesse stoßen, schließlich sind sich beide Bundesländer durchaus ähnlich (siehe Infobox). Der saarländische Landtag will in diesem Jahr einen vergleichbaren „SaarlandMonitor“in Auftrag geben, für 2024 und 2025 stehen jeweils 70 000 Euro im Haushalt bereit.
Die breite Kritik an der Gendersprache ist nur eines von mehreren Beispielen dafür, dass eine Mehrheit der Menschen in RheinlandPfalz eine gesellschaftlich „als linken Mainstream“wahrgenommene Deutung als zu dominant empfindet und dagegen aufbegehrt. So wertet der wissenschaftliche Leiter der Studie, der Trierer Parteienforscher Professor Uwe Jun, die Ergebnisse. Je weiter man nach rechts gehe, desto mehr werde gegen diesen „wahrgenommenen Mainstream“opponiert – nur bei den Grünen-Wählern sei das nicht feststellbar. Generationenunterschiede gebe es dabei nicht.
Deutlich wird diese Einstellung in der Migrationspolitik: 51 Prozent beklagen eine „Überfremdung durch fremde Kulturen“, 48 Prozent sind der pauschalen Ansicht, Ausländer wollten den Sozialstaat ausnutzen, und 32 Prozent halten Muslime für eine Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit in Deutschland. Ein weiteres Alarmzeichen: 35 Prozent gaben an, in Deutschland könne man seine Meinung nicht frei äußern, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
„Dieses Anti-Establishment-Denken reicht bis weit in die politische Mitte“, sagt Jun. Zu dieser Mitte zählen sich die meisten RheinlandPfälzer. Auf einer Skala von 0 (links) bis 10 (rechts) verorteten sie sich im Durchschnittlich bei 4,8. Exakt in der Mitte, bei 5, sehen sich 45 Prozent der Befragten, von der linken bis zur rechten Mitte (4 bis 6) sind es 68 Prozent. Links (0 bis 3) sortieren sich 15 Prozent ein, rechts (7 bis 10) zehn Prozent, wobei die Ränder ganz weit außen kaum vertreten sind.
Was heißt „politische Mitte“? Jun erklärt: „Die meisten Menschen sind
nicht groß an Ideologien interessiert, sondern wollen eine pragmatische und lösungsorientierte Politik.“AfDWähler sortierten sich tendenziell rechts der Mitte ein, aber nicht am äußersten Rand, am weitesten links stehen die Grünen-Wähler. Der AfD gelinge es, bei bestimmten Themen die politische Mitte für sich zu mobilisieren, insbesondere wenn Probleme von Parteien der Mitte nicht gelöst würden, sagt Jun. Die seit Jahrzehnten sinkende Parteiidentifikation erleichtere dies.
Die Zufriedenheit mit der Demokratie ist zwar noch immer recht hoch, 89 Prozent halten sie für die
beste Staatsform. 79 Prozent wünschen sich sogar mehr Möglichkeiten zur direkten politischen Beteiligung, etwa bei Volksentscheiden oder Bürgerräten.
Doch bei anderen Befunden zur Zufriedenheit mit den politischen Institutionen müssen in der Politik die Alarmglocken schrillen: Dass „Mächtige in der Gesellschaft gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung handeln“, sehen 69 Prozent so. Dabei handelt es sich um den Kern populistischen Denkens: abgehobene Eliten gegen das anständige Volk. Der Aussage, dass geheime Organisationen die Ereignisse und politische Ent
wicklungen kontrollieren oder stark beeinflussen, glauben 37 Prozent.
Mit Spannung darf dem „SaarlandMonitor“entgegengesehen werden. Dass die Zufriedenheit mit der Demokratie mit höherem Bildungsabschluss und höherem Einkommen steigt, wie sich in Rheinland-Pfalz gezeigt hat, lässt vermuten, dass die Zufriedenheit im Saarland geringer ist. Auch dass in Rheinland-Pfalz die Unzufriedenheit in den mittelgroßen Städten (20 000 bis 100 000 Einwohner) deutlich stärker ausgeprägt ist, könnte ein Fingerzeig sein, da es im Saarland prozentual deutlich mehr Städte dieser Größenordnung gibt.