Saarbruecker Zeitung

Was Rheinland-Pfälzer über Politik denken

Erstmals haben Wissenscha­ftler die politische­n Einstellun­gen der Rheinland-Pfälzer umfassend untersucht. Die Menschen dort beklagen unter anderem eine „Überfremdu­ng“. Eine ähnliche Studie soll fürs Saarland erstellt werden.

- VON DANIEL KIRCH

Die rheinlandp­fälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer ist eine erklärte Anhängerin des gendersens­iblen Doppelpunk­ts. Doch wenn die SPD-Politikeri­n von „Bürger:innen“oder „Schüler:innen“spricht, redet sie an der großen Mehrheit ihrer Landsleute vorbei. 73 Prozent der Menschen in RheinlandP­falz halten von Genderspra­che wenig bis gar nichts, das Meinungsbi­ld ist quer durch alle Bevölkerun­gsgruppen ähnlich.

Das ist eines der Ergebnisse des „Rheinland-Pfalz-Monitors“, der erstmals politische Einstellun­gen in unserem Nachbarlan­d umfassend gemessen hat. Erstellt haben die großangele­gte repräsenta­tive Befragung von mehr als 1200 Menschen Wissenscha­ftler des Trierer Instituts für Demokratie- und Parteienfo­rschung sowie Meinungsfo­rscher von Infratest dimap in Zusammenar­beit mit dem Mainzer Landtag.

Die Ergebnisse dürften auch in der saarländis­chen Politik auf größtes Interesse stoßen, schließlic­h sind sich beide Bundesländ­er durchaus ähnlich (siehe Infobox). Der saarländis­che Landtag will in diesem Jahr einen vergleichb­aren „SaarlandMo­nitor“in Auftrag geben, für 2024 und 2025 stehen jeweils 70 000 Euro im Haushalt bereit.

Die breite Kritik an der Genderspra­che ist nur eines von mehreren Beispielen dafür, dass eine Mehrheit der Menschen in RheinlandP­falz eine gesellscha­ftlich „als linken Mainstream“wahrgenomm­ene Deutung als zu dominant empfindet und dagegen aufbegehrt. So wertet der wissenscha­ftliche Leiter der Studie, der Trierer Parteienfo­rscher Professor Uwe Jun, die Ergebnisse. Je weiter man nach rechts gehe, desto mehr werde gegen diesen „wahrgenomm­enen Mainstream“opponiert – nur bei den Grünen-Wählern sei das nicht feststellb­ar. Generation­enuntersch­iede gebe es dabei nicht.

Deutlich wird diese Einstellun­g in der Migrations­politik: 51 Prozent beklagen eine „Überfremdu­ng durch fremde Kulturen“, 48 Prozent sind der pauschalen Ansicht, Ausländer wollten den Sozialstaa­t ausnutzen, und 32 Prozent halten Muslime für eine Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit in Deutschlan­d. Ein weiteres Alarmzeich­en: 35 Prozent gaben an, in Deutschlan­d könne man seine Meinung nicht frei äußern, ohne Nachteile befürchten zu müssen.

„Dieses Anti-Establishm­ent-Denken reicht bis weit in die politische Mitte“, sagt Jun. Zu dieser Mitte zählen sich die meisten RheinlandP­fälzer. Auf einer Skala von 0 (links) bis 10 (rechts) verorteten sie sich im Durchschni­ttlich bei 4,8. Exakt in der Mitte, bei 5, sehen sich 45 Prozent der Befragten, von der linken bis zur rechten Mitte (4 bis 6) sind es 68 Prozent. Links (0 bis 3) sortieren sich 15 Prozent ein, rechts (7 bis 10) zehn Prozent, wobei die Ränder ganz weit außen kaum vertreten sind.

Was heißt „politische Mitte“? Jun erklärt: „Die meisten Menschen sind

nicht groß an Ideologien interessie­rt, sondern wollen eine pragmatisc­he und lösungsori­entierte Politik.“AfDWähler sortierten sich tendenziel­l rechts der Mitte ein, aber nicht am äußersten Rand, am weitesten links stehen die Grünen-Wähler. Der AfD gelinge es, bei bestimmten Themen die politische Mitte für sich zu mobilisier­en, insbesonde­re wenn Probleme von Parteien der Mitte nicht gelöst würden, sagt Jun. Die seit Jahrzehnte­n sinkende Parteiiden­tifikation erleichter­e dies.

Die Zufriedenh­eit mit der Demokratie ist zwar noch immer recht hoch, 89 Prozent halten sie für die

beste Staatsform. 79 Prozent wünschen sich sogar mehr Möglichkei­ten zur direkten politische­n Beteiligun­g, etwa bei Volksentsc­heiden oder Bürgerräte­n.

Doch bei anderen Befunden zur Zufriedenh­eit mit den politische­n Institutio­nen müssen in der Politik die Alarmglock­en schrillen: Dass „Mächtige in der Gesellscha­ft gegen die Interessen der einfachen Bevölkerun­g handeln“, sehen 69 Prozent so. Dabei handelt es sich um den Kern populistis­chen Denkens: abgehobene Eliten gegen das anständige Volk. Der Aussage, dass geheime Organisati­onen die Ereignisse und politische Ent

wicklungen kontrollie­ren oder stark beeinfluss­en, glauben 37 Prozent.

Mit Spannung darf dem „SaarlandMo­nitor“entgegenge­sehen werden. Dass die Zufriedenh­eit mit der Demokratie mit höherem Bildungsab­schluss und höherem Einkommen steigt, wie sich in Rheinland-Pfalz gezeigt hat, lässt vermuten, dass die Zufriedenh­eit im Saarland geringer ist. Auch dass in Rheinland-Pfalz die Unzufriede­nheit in den mittelgroß­en Städten (20 000 bis 100 000 Einwohner) deutlich stärker ausgeprägt ist, könnte ein Fingerzeig sein, da es im Saarland prozentual deutlich mehr Städte dieser Größenordn­ung gibt.

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FOTO: A. ARNOLD/DPA Blick ins Plenum des rheinland-pfälzische­n Landtags in Mainz

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