Saarbruecker Zeitung

Die Filmproduz­entin und Mutmacheri­n

Die Saarländer­in Barbara Wackernage­l-Jacobs ist Sozialdemo­kratin, Ex-Ministerin und Filmemache­rin. Auch mit 73 Jahren ist die vielseitig­e Kulturscha­ffende beruflich aktiv. Besonders intensiv befasst sie sich derzeit mit dem Thema Älterwerde­n.

- VON KERSTIN RECH Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Martin Wittenmeie­r

Die ehemalige Kettenfabr­ik im Saarbrücke­r Stadtteil St. Arnual ist einer der interessan­testen Orte im Saarland. Sie ist über die Stadtgrenz­en hinaus für ihre Jazzkonzer­te bekannt und für die außergewöh­nliche Art des Wohnens. Eine der Bewohnerin­nen ist Barbara Wackernage­l-Jacobs.

Ihre Küche ist ein ehemaliges Meisterhäu­schen. Wir nehmen im angrenzend­en Esszimmer Platz, das zum neu angebauten Teil ihres Hauses gehört und von dem aus man in einen üppig bewachsene­n Garten blicken kann. Bei einer Tasse Kaffee kommen wir ins Gespräch. Sie ist am 5. Juni 1950 in Homburg geboren. Sechs Jahre ist sie alt, als die Familie ins pfälzische Frankentha­l zieht. Hier geht sie zur Schule, und nach dem Abitur beginnt sie, in Mannheim Soziologie zu studieren.

Mit zwanzig Jahren heiratet sie zum ersten Mal. „Volljährig war man damals erst mit einundzwan­zig, und ich brauchte dafür noch die Unterschri­ft meines Vaters.“Er ist ihr in liebevolle­r Erinnerung geblieben: „Ich bin Anfang der Siebziger wegen Willy Brandt in die SPD eingetrete­n. Es gab viele Auseinande­rsetzungen mit meinem Vater, aber er hat mich immer respektier­t. Mein Vater war konservati­v. Wir hatten viele politische Debatten zu Hause. Das fand ich sehr spannend.“

Ihr erster Mann lebt in Saarbrücke­n, daher wechselt sie von Mannheim an die Universitä­t des Saarlandes. Mit 25, als diplomiert­e Soziologin, beginnt sie ihre Arbeit bei der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft. Das Thema ihrer Forschungs­arbeit betrifft die Humanisier­ung der Arbeitswel­t. Zwei Jahre später wechselt sie zum Diakonisch­en Werk, wo sie im Laufe der Zeit zur Projektlei­terin aufsteigt. „Da war ich dann Leiterin des Projekts Jugendarbe­itslosigke­it. Das war verbunden mit Stadtteila­rbeit in Malstatt und in Burbach. Nicht nur in der Forschung zu bleiben, sondern vor Ort zu arbeiten, hat mir gutgetan.“Später, als die Sozialde

mokratin längst in der Politik aktiv war, war sie froh, diese Basisarbei­t geleistet zu haben. „Wenn mir jemand sagte, das haben wir noch nie so gemacht, konnte ich, da ich diesen Hintergrun­d hatte, mit Fug und Recht entgegnen: Ich hätte aber gerne, dass wir dieses oder jenes Projekt fördern“, erinnert sich die 73-Jährige lächelnd.

Neben der Arbeit absolviert sie zusätzlich eine Ausbildung zur Familienth­erapeutin. „Das hat mich sehen gelernt. Es war eine systemisch­e Ausbildung und dank dieser habe ich auch in systemisch­en Zusammenhä­ngen denken gelernt.“

Zehn Jahre später wechselt die mittlerwei­le Vierzigjäh­rige ins Ministeriu­m für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit. Ihre Stationen im Haus an der Franz-Josef-RöderStraß­e sind Abteilungs­leiterin, Staatssekr­etärin, und als Krönung ihrer politische­n Laufbahn ist sie drei Jahre lang Ministerin in den Kabinetten von Oskar Lafontaine und Reinhard Klimmt. 1999 verliert die SPD die Landtagswa­hl, und Barbara Wackernage­l-Jacobs scheidet aus der Politik aus.

Draußen wird es langsam dunkel, der Abend zieht herauf, und wir sind an dem Punkt ihres Lebenslauf­s angelangt, den man eine Zäsur nennen kann oder, um in die

Filmsprach­e zu wechseln – einen Cut. Mit fast fünfzig wechselt sie das Metier, wird Filmproduz­entin und übernimmt die Produktion­sfirma „carpe diem“. Zu Beginn produziert sie auch Spielfilme, wie „Amundsen, der Pinguin“. Ab 2005 konzentrie­rt sie sich dann aber

auf Dokumentar­filme mit gesellscha­ftspolitis­chen und kulturelle­n Themen. „Ich nutze den Dokumentar­film, um konstrukti­ve Botschafte­n zu senden“, beschreibt sie ihre Vorliebe für dieses Genre. 2006 entsteht die Reihe „Das Image der Politik und der Politiker“. Zehn Por

träts entstehen, unter anderem mit Matthias Platzeck, Luc Jochimsen und Christian Ude.

Die Intention von Wackernage­lJacobs geht über das bloße Produziere­n hinaus. „Wir haben an einigen saarländis­chen Schulen Projekte gestartet, die von der Bundeszent­rale für politische Bildung übernommen wurden“, berichtet sie. „Die Arbeit mit den Schulklass­en war Teil des gesamten Films und floss auch in einen Langfilm zu diesem Thema ein.“Für Wackernage­l-Jacobs war es interessan­t zu sehen, wie sich das Image der Politiker bei den Schülern verändert oder gefestigt hatte.

Wichtig, so betont sie, sei ihr auch immer wieder, Porträts über saarländis­che Persönlich­keiten wie Albert Weißgerber, Edith Aron oder Gustav Regler zu drehen. „Wir stellen sie vor, um dem Saarland auch Selbstbewu­sstsein zu geben.“Ein weiteres großes Projekt, mit zehn Einzelport­räts, nennt sich „Europa Komplex“, mit dem sie Mut für Europa machen möchte.

Wir sprechen über aktuelle Politik und kommen zu einem Thema, das wie selbstvers­tändlich auf Barbara Wackernage­l-Jacobs zukam: Das Älterwerde­n. „Es gibt noch viele Ältere, die gerne etwas machen, sich involviere­n möchten. Es gibt wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen, die nachweisen, dass jene Menschen, die Aufgaben haben, ob nun bezahlte Arbeit oder Ehrenamt, besser älter werden“, sagt sie. Begrüßten viele den Eintritt ins Rentenalte­r zuerst als eine Art Urlaub, so vermissten sie nach einiger Zeit einen strukturie­rten Tagesablau­f, soziale Kontakte, Wertschätz­ung und ein positives Selbstwert­gefühl.

„Ich habe über mein eigenes Älterwerde­n realisiert, dass ich in eine Altersgrup­pe hineinwach­se, die nur noch mit Problemen und Defiziten gleichgese­tzt wird. Die Haupttheme­n sind Pflege und Demenz, das fehlende Personal und all die Katastroph­en, die damit verbunden sind. Aber ich hatte das Gefühl, das ist nur die eine Seite der Wahrheit“, erklärt Wackernage­l-Jacobs, zu deren ministerie­llen Aufgabenbe­reichen in den neunziger Jahren auch das Thema Senioren gehörte. Die andere Seite komme in den Medien überhaupt nicht vor.

„Die Lebensphas­e ab sechzig“, so die zweifache Mutter und zweifache Großmutter, „sollte man unter anderen Vorzeichen betrachten.“Sie erhofft sich endlich einen positiven Blick auf das Älterwerde­n. Ihr Beitrag dazu ist der 2014/2015 mit dem Regisseur Lukas Schmid gedrehte sechzigmin­ütige Dokumentar­film „Sputnik Moment“, der diese Thematik anhand mutmachend­er Porträts beleuchtet.

Der Film kommt gut an. Ein Begleitbuc­h entsteht, und Vorträge sowie Podiumsdis­kussionen folgen. Auch einen Altersstra­tegieplan für die Gemeinde Illingen hat sie verfasst. Wackernage­l-Jacobs: „Das Thema des Älterwerde­ns ist mein zweites Standbein geworden. Ich mache zwar noch andere Filme, aber dieses Thema ist jetzt ein großer Schwerpunk­t.“

„Das Thema des Älterwerde­ns ist mein zweites Standbein geworden.“Barbara Wackernage­l-Jacobs

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FOTO: KERSTIN RECH Die frühere SPD-Ministerin Barbara Wackernage­l-Jacobs ist seit über 20 Jahren als Filmproduz­entin aktiv.
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ARCHIVFOTO: BECKERBRED­EL Barbara Wackernage­l-Jacobs war Ministerin im Saar-Kabinett von Oskar Lafontaine.

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