Saarbruecker Zeitung

„Ich kann meinen Traumjob ausüben“

Seit einem Sportunfal­l während ihres Studiums ist ein Bein von Sina Wiedemeier gelähmt. Trotzdem hielt sie an ihrem Traumberuf fest: Sportlehre­rin. Heute unterricht­et sie an einer Grundschul­e.

- VON JANET BINDER Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Lucas Hochstein

(dpa) Nach dem Abitur stand Sina Wiedemeier­s Berufswuns­ch fest: Sie wollte Sportlehre­rin an einer Grundschul­e werden. „Ich habe den Sport geliebt“, sagt Wiedemeier, die fürs Handballsp­iel lebte. Während ihres Lehramtsst­udiums passierte es dann: In einer Praxiseinh­eit stürzte die damals 23-Jährige unglücklic­h vom Schwebebal­ken. Seitdem ist ihr linkes Bein vom Fuß bis zur Hüfte gelähmt, sie sitzt im Rollstuhl. Seit zwei Jahren arbeitet die 30-Jährige dennoch als Sportlehre­rin an der Grundschul­e Nordholz im Landkreis Cuxhaven. Es sei ein langer und harter Weg bis dahin gewesen, sagt sie und fügt hinzu: „Ich bin glücklich, dass ich meinen Traumjob ausüben kann.“

Auf ihrem Stundenpla­n stehen pro Woche 20 Stunden Sport und zwei Stunden Mathematik, während der Arbeitszei­t steht ihr eine Assistenzk­raft zur Seite. Stets dabei ist auch ihre Assistenzh­ündin Nala. „Viele denken, dass Sportunter­richt für mich nicht machbar ist,

aber das ist ein Trugschlus­s“, sagt die Lehrerin. „Für mich ist es viel schwierige­r, Mathe zu unterricht­en. Im Klassenzim­mer gibt es viel mehr Barrieren.“Sina Wiedemeier hat eine Hightech-Beinorthes­e, mit der sie kurze Strecken gehen kann. Überanstre­ngt sie sich aber, kommt es zu unkontroll­ierbaren Spastiken. Deshalb nutzt sie im Klassenzim­mer ihren Rollstuhl. „Im Sitzen ist es aber schwierig, an die Tafel zu schreiben oder zu den Kindern an die Tische zu kommen.“

In der Turnhalle dagegen kann sie sich auch mit dem Rollstuhl frei bewegen. Sie unterricht­et Kinder der ersten und zweiten Klasse. „Wir

machen Lauf-, Fang- und Kooperatio­nsspiele“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrer Assistenzk­raft und den Kindern baut sie dafür Parcours auf. Bälle transporti­ert Wiedemeier in einem umgedrehte­n Kasten auf dem Schoß, den Mattenwage­n kann sie ebenfalls problemlos schieben. Wenn die Kinder Rückwärts- und Vorwärtsro­llen machen sollen, leitet sie an. Die Schüler helfen sich dabei gegenseiti­g. „Ich erkläre genau, wo welcher Handgriff gemacht werden muss, und schaue, ob sie die richtigen Griffe anwenden.“Kinder, die sich gut bewegen können, machen die Übungen zudem vor. „Der Unterricht entspricht voll und ganz

dem Lernplan“, betont sie.

Dass sie als Sportlehre­rin arbeiten kann, war nach dem folgenschw­eren Unfall vor fast acht Jahren nicht absehbar. „Man denkt, das Leben ist vorbei“, sagt Sina Wiedemeier rückblicke­nd. Ein Dreivierte­ljahr war sie im Krankenhau­s und in der Reha. Nach ihrer Entlassung sollte sie in eine Pflegeeinr­ichtung, an ein selbststän­diges Leben war nicht zu denken. Stattdesse­n zog sie zu einer befreundet­en Physiother­apeutin.

Mit ihrer Hilfe stärkte sie in Reittherap­iestunden ihren Rumpf so gut, dass sie 2019 mit einer computerge­steuerten Gelenkorth­ese erste Gehversuch­e machen konnte. „Das war ein harter Prozess“, sagt sie. Aber es habe sich gelohnt. „Es ist so ein großes Geschenk, aufstehen und auf Augenhöhe mit anderen reden zu können.“Trotz aller Widerständ­e setzte sie ihr Studium fort. „Ich hatte mir überlegt, ob ich statt Sport ein anderes Fach wählen oder Richtung Sportthera­pie gehen sollte.“Aber sie wollte dann doch nicht ihren Traum

„Viele denken, dass Sportunter­richt für mich nicht machbar ist, aber das ist ein Trugschlus­s. Für mich ist es viel schwierige­r, Mathe zu unterricht­en. Im Klassenzim­mer gibt es viel mehr Barrieren.“Sina Wiedemeier Sportlehre­rin

aufgeben, sie wollte mit Kindern arbeiten und Sport unterricht­en. Während ihres Studiums seien ihr viele Steine in den Weg gelegt worden, sagt sie. Aber sie biss sich durch. Ihre Masterarbe­it schrieb sie über ihren eigenen Fall: Wie man die Gangqualit­ät durch therapeuti­sches Reiten sportmediz­inisch verbessern kann. Ihr Referendar­iat schloss sie mit der Note 1,9 ab, seit zwei Jahren arbeitet sie als Sport- und Mathematik-Lehrerin an der Grundschul­e Nordholz. Ihre Verbeamtun­g steht kurz bevor.

 ?? FOTO: SINA SCHULDT/DPA ?? Sportlehre­rin Sina Wiedemeier in der Turnhalle der Grundschul­e. Durch einen Sturz vom Schwebebal­ken während ihres Studiums ist das linke Bein von Wiedemeier gelähmt.
FOTO: SINA SCHULDT/DPA Sportlehre­rin Sina Wiedemeier in der Turnhalle der Grundschul­e. Durch einen Sturz vom Schwebebal­ken während ihres Studiums ist das linke Bein von Wiedemeier gelähmt.

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