Saarbruecker Zeitung

Die Sicherheit­skonferenz in Schockstar­re

In Zeiten von Krieg und Krisen wirbt UN- Generalsek­retär António Guterres bei der Münchner Sicherheit­skonferenz für eine friedliche­re Welt. Doch die Meldung vom Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny überschatt­et den Auftakt.

- VON HOLGER MÖHLE

(hom/dpa) Die Augen verweint. Die Stimme fest. Julia Nawalnaja hat überlegt: Soll sie hier reden? Oder soll sie es nicht? Sie hat sich schließlic­h für ihren Mann entschiede­n: für Alexej Nawalny, dafür, was dieser in einer solchen Situation getan hätte. „Alexej hätte geredet.“Und so nutzt Nawalnaja die Gelegenhei­t, das offene Mikrofon und die ungeteilte Aufmerksam­keit der Zuhörer im Saal, die sich zu ihrer Begrüßung alle erhoben haben. Nawalnaja hat soeben vom Tod ihres Mannes erfahren. Jeder würde verstehen, wenn Nawalnaja nun in ihrem Hotelzimme­r oder schon auf dem Weg zu ihren Kindern wäre, aber sie will diese Bühne nutzen. Sie gibt sich entschloss­en, kämpferisc­h, unerschroc­ken. Putin und alle, die für ihn arbeiteten, seine Freunde, seine Umgebung, sie würden „nicht straflos ausgehen für das, was sie unserem Land angetan haben, was sie meiner Familie und meinem Mann angetan haben. Und dieser Tag wird bald kommen“, sagt sie.

Schon 90 Minuten zuvor hatte der erste Satz, auch der zweite und der dritte dieser Konferenz einem Mann gehört: Alexej Nawalny. Christoph Heusgen steht am Freitagmit­tag auf jener Bühne, auf der in den nächsten drei Tagen Staats- und Regierungs­chefs, Außen- und Verteidigu­ngsministe­r aus aller Welt, über den Lauf der Dinge diskutiere­n werden. Heusgen sagt mit leiser Stimme: „Ein sehr besonderer Mann, unsere Gedanken sind heute bei seiner Frau und seinen Kindern.“Stille und ein Gefühl von Beklommenh­eit im Saal. Diese 60. Münchner Sicherheit­skonferenz soll eine besondere werden – in Zeiten von Kriegen in der Ukraine, im Gazastreif­en, im Jemen. Und sie ist es gleich mit dem ersten Aufschlag. Die getragenen Töne, die die Musiker des Streichqua­rtetts von Dirigent Daniel Barenboim zur Einstimmun­g auf diese 60. Auflage der Veranstalt­ung spielen, klingen in diesen Minuten wie ein Requiem für Nawalny.

António Guterres, der in seiner Rolle als UN-Generalsek­retär auch eine Art oberster Wächter über den Weltfriede­n ist, spricht über die „Herrschaft des Rechts“, der er in

diesen Zeiten, in denen es durch das Aufkommen autoritäre­r Regime zu einem „Wettbewerb allgemeine­r Straflosig­keit“gekommen sei, wieder zu Stärke verhelfen wolle. Eine Aufgabe für alle – für die gesamte Weltgemein­schaft. Guterres spricht über eine Rekordzahl von Flüchtling­en und Vertrieben­en in der Welt, von der „entsetzlic­hen Situation“in Gaza, die die gesamte Region, ja die Welt angehe. Er spricht sich für eine Reform des UN-Sicherheit­srates aus – wieder einmal, um die Herausford­erungen für die Welt von morgen zu bewältigen. Die Weltgemein­schaft sei ungeachtet existenzie­ller Herausford­erungen immer mehr gespalten. „Selbst die Ära des Kalten Krieges war – in mancherlei Hinsicht – weniger gefährlich“, sagt er zur Eröffnung der Konferenz. Noch immer gebe es atomare Gefahren, neben der Klimakrise und der Gefahr unkontroll­ierter Künstliche­r

Intelligen­z. „Wir waren nicht in der Lage, wirksame Schritte als Antwort darauf zu ergreifen“, sagt er.

Die Welt von morgen. Sie soll möglichst besser werden als die Welt von heute, so die Hoffnung bei dieser Konferenz. Dazu zählt für US-Vizepräsid­entin Kamala Harris auch, dass Israel den Schutz der Zivilbevöl­kerung in Gaza besser hinkriegen müsse, auch wenn Israel ohne Zweifel das Recht habe, sich selbst zu verteidige­n. Aber: „Zu viele Palästinen­ser sind gestorben.“Am Ende gehe es ohnehin nicht ohne Zwei-Staaten-Lösung. Die US-Demokratin kehrt dann trotz aller Versuche von China, „die Weltordnun­g neu aufzustell­en“, erst einmal im eigenen Haus, im amerikanis­chen Garten. Es sei die Frage, ob es tatsächlic­h im US-Interesse sei, für die Demokratie zu kämpfen oder den Aufstieg von Diktatoren zu akzeptiere­n. Damit ist Harris schnell

wieder bei Putin, dessen Krieg in der Ukraine „ein totales Versagen für Russland“sei. Russland habe zwei Drittel seiner Panzer, ein Drittel seiner Schwarzmee­rflotte verloren. Russland werde für den Schaden aufkommen müssen, den es in der Ukraine verursacht habe. „Stellen Sie sich vor, die USA hätten der Ukraine den Rücken gekehrt und Europa alleine gelassen? Wenn wir einfach nur danebenste­hen, wenn ein Aggressor bei seinem Nachbarn einfällt, dann wird es weitergehe­n. Genauso ist es auch mit Putin“, so Harris. Der Westen müsse Demokratie und internatio­nale Regelwerke verteidige­n. Alles Fremdworte in Putins Reich. Nawalnys Tod zeige eines: die „Brutalität von Russland“.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g betont die Wirkmacht des Bündnisses gegenüber Russland. „Die Nato stellt weiterhin sicher, dass es in Moskau keinen Raum für

Fehleinsch­ätzungen hinsichtli­ch unserer Bereitscha­ft gibt, alle Verbündete­n mit mehr Streitkräf­ten, höherer Bereitscha­ft und höheren Verteidigu­ngsausgabe­n zu schützen“, sagt Stoltenber­g.

Noch bis Sonntag beraten Spitzenpol­itiker und Experten in München, darunter 50 Staats- und Regierungs­chefs, unter anderem über die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten. An diesem Samstag wollen auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj, die sich am Freitag in Berlin getroffen hatten, an der Sicherheit­skonferenz teilnehmen. Aus Israel werden Präsident Izchak Herzog und Außenminis­ter Israel Katz in München erwartet. Außerdem sind hochrangig­e Vertreter der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde sowie der arabischen Länder Saudi-Arabien, Katar, Ägypten und Jordanien dabei.

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FOTO: TOBIAS HASE/DPA Julia Nawalnaja erfuhr auf der Sicherheit­skonferenz, dass ihr Mann Alexej gestorben sein soll. Anschließe­nd ging sie auf die Bühne.
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FOTO: SVEN HOPPE/DPA US- Vizepräsid­entin Kamala Harris plädierte am Freitag abermals für eine ZweiStaate­n- Lösung im Gaza-Konflikt.
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FOTO: TOBIAS HASE/DPA UN- Generalsek­retär António Guterres eröffnete am Freitag die 60. Münchner Sicherheit­skonferenz im Hotel Bayerische­r Hof.

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