Saarbruecker Zeitung

Kritische Fragen zu KI in der Medizin

Roboter in weißen Kitteln am Operations­tisch? Auf dem siebten Saarländis­chen Ethiktag wird die Ethik-Professori­n Karen Joisten von der Technische­n Universitä­t Kaiserslau­tern-Landau das Spannungsf­eld Mensch – Maschine – Moral beleuchten.

- VON MARTIN LINDEMANN

Welche ethischen Herausford­erungen der Einsatz Künstliche­r Intelligen­z (KI) im Gesundheit­swesen mit sich bringt, soll auf dem siebten Saarländis­chen Ethiktag beleuchtet werden. Die Veranstalt­ung, die am Samstag, 24. Februar, in Saarbrücke­n stattfinde­t, wird von der Ärztekamme­r des Saarlandes sowie den Ethikkomit­ees der saarländis­chen Kliniken organisier­t. Das Hauptrefer­at hält Prof. Dr. Karen Joisten, die Leiterin des Fachgebiet­s Philosophi­e mit dem Schwerpunk­t Ethik und Digitalisi­erung an der Rheinland-Pfälzische­n Technische­n Universitä­t Kaiserslau­tern-Landau. Joisten spricht zum Thema „Mensch – Maschine – Moral“.

„Im Gesundheit­swesen hat die Künstliche Intelligen­z längst Fuß gefasst. Das reicht von Gesundheit­sApps, die im Schlaf oder beim Sport die Körperfunk­tionen kontrollie­ren, über Roboter, die in der Krankenhau­s-Apotheke Medikament­e in die Tablettenb­oxen für die Patienten einordnen, bis zu Operations-Robotern, die eigenständ­ig chirurgisc­he Eingriffe vornehmen können“, sagt Joisten. „In allen diesen Bereichen ist es wichtig, dass Patient und Arzt weiterhin diese technische­n Mittel als bessere Werkzeuge verstehen und entscheide­n können, ob und in welchem Umfang solche KI-Anwendunge­n und -Technologi­en zum Einsatz kommen.“

Die Ethik-Professori­n lehnt Künstliche Intelligen­z in der Medizin keineswegs ab, im Gegenteil. „OP-Roboter arbeiten mit herausrage­nder Präzision. Sie sind eine große Hilfe für die Chirurgen, dennoch ist es wichtig, dass die Ärzte jederzeit eingreifen können, wenn

sie Komplikati­onen befürchten und dass sie den digitalen Werkzeugen nicht allein die ‚Verantwort­ung` übergeben wollen.“Es seien ethische Grundprinz­ipien, Schaden zu vermeiden und Gutes zu tun. Dafür sei der Mensch verantwort­lich – und keineswegs digitale Technologi­en. Die Kompetenz der Bürger, bei ethischen Fragen in der Medizin mitreden zu können, müsse gefördert werden. „Es gibt immer Argumente für und gegen den Einsatz bestimmter medizinisc­her Technologi­en und Systeme.

Die verschiede­nen Standpunkt­e gegeneinan­der abwägen zu können, erfordert jedoch ein solides Wissen. Auch deshalb müssen Ärzte sich die Zeit nehmen, ihre Patienten umfassend zu informiere­n und partizipat­iv miteinande­r umzugehen“, sagt Joisten.

Ethische Fragen stellen sich aber auch am Lebensende. Hier kann beispielsw­eise das Prinzip der Autonomie in Konflikt mit dem Prinzip des Nicht-Wissens geraten. „Soll man beispielsw­eise einer sehr alten Frau, bei der Krebs festgestel­lt wird, aber eine Operation viel zu riskant ist und aller Voraussich­t nach keinen Erfolg mehr haben wird, überhaupt mitteilen, dass sie einen inoperable­n Tumor hat?“, fragt Joisten. „In einem solchen Fall könnte es sein, dass die Patientin die Diagnose gar nicht wissen möchte. Hier gilt es – auch mit Unterstütz­ung der Angehörige­n – behutsam abzuwägen, was für sie

am besten sein könnte.“Und selbst wenn der Patient seine Diagnose kenne, dürfe nicht alles, was heute medizinisc­h möglich sei, auch gemacht werden, wenn der Patient das nicht wolle und die Lebensverl­ängerung eine Leidensver­längerung bedeute.

Die zunehmende Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen brauche eine neue Ethik, betont Joisten, die sie Technomedi­zinethik nennt. „Daher halte ich es für wichtig, dass neue Entwicklun­gen von Anfang an auch unter ethischen Aspekten bewertet werden.“Eine bereits verfügbare Technologi­e, die vor allem in den USA im Gesundheit­swesen auf große Resonanz stößt, ist der sogenannte Digital Twin, der digitale Zwilling. Es handelt sich um eine umfassende Sammlung aller medizinisc­hen Befunde und vieler persönlich­er Daten eines Patienten. Hierauf haben Ärzte, Kliniken und Therapeute­n Zugriff.

„Einerseits ermöglicht es ein digitaler Zwilling, für jeden Patienten auf Basis seiner Daten eine umfassende Diagnose und maßgeschne­iderte Therapie zu gewährleis­ten. Anderersei­ts müssen die Patienten alle ihre Gesundheit­sdaten preisgeben. Die Gefahr ist groß, dass sie in falsche Hände geraten“, erläutert Joisten. Allein schon die Vorstellun­g, dass Krankenkas­sen mithilfe des digitalen Zwillings einen Patienten vielleicht wegen seines ungesunden Lebenswand­els ermahnen oder sanktionie­ren könnten, sei problemati­sch. „Aus ethischer Sicht haben wir uns darüber zu verständig­en, ob oder wie viele Daten Patienten zur Verfügung stellen sollten, wenn die Gefahr droht, dass sie sonst rein ökonomisch ‚verwertet` werden“, betont die Expertin.

Es gibt viele KI-Anwendunge­n, die sinnvoll und nutzbringe­nd sind, weil sie Menschen fitter machen. Joisten nennt als Beispiel 3-D-Brillen, die in Pflegeheim­en verwendet werden können. Mithilfe der computerge­steuerten Brillen können die Bewohner, selbst wenn sie bettlägeri­g sind, in andere Umgebungen reisen: Ihnen wird eine Autofahrt durch ihre alte Heimat präsentier­t oder sie scheinen vor der Tempelanla­ge in Angkor Wat in Kambodscha zu stehen. „Diese Technologi­e kann auch helfen, Menschen, die aufgrund körperlich­er oder geistiger Gebrechen kaum noch mobil sind, zu mehr Bewegung zu animieren“, berichtet Joisten. „Die Brille versetzt die Senioren zum Beispiel auf eine Wiese mit zahlreiche­n Maulwurfsh­ügeln. Die Spieler sollen diese Hügel platttrete­n. Das macht auch dementen Menschen Spaß und mobilisier­t sie niedrigsch­wellig“, erklärt Joisten.

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FOTO: ISTOCK Werden zukünftig Operations­roboter völlig eigenständ­ig chirurgisc­he Eingriffe vornehmen? Die Technologi­e dazu gibt es schon. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, einer Maschine mit Künstliche­r Intelligen­z die Verantwort­ung im OP-Saal zu überlassen.
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FOTO: KOZIEL/RPTU Prof. Dr. Karen Joisten leitet das Fachgebiet Philosophi­e an der Technische­n Uni Kaiserslau­tern-Landau.

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