Saarbruecker Zeitung

Was im Sozialplan für Ford Saarlouis steht

Monatelang wurde verhandelt, jetzt steht der Sozialtari­fvertrag für die Ford-Mitarbeite­r in Saarlouis. Darin wird unter anderem geregelt, wie hoch die Abfindunge­n ausfallen. Wir haben die wichtigste­n Punkte zusammenge­fasst.

- VON NINA ZAPF-SCHRAMM

In der vergangene­n Woche haben sich Ford-Geschäftsl­eitung und Gewerkscha­ft IG Metall auf einen Sozialtari­fvertrag geeinigt. Am 22. Februar müssen die Gewerkscha­ftsmitglie­der darüber abstimmen. Was im Detail für die Beschäftig­ten verhandelt wurde:

Wie lange wird der Focus noch produziert?

Eigentlich sollte die Produktion des Focus im Mai 2025 auslaufen. Jetzt wird das letzte Modell erst ein halbes Jahr später, am 30. November, vom Band laufen. Das heißt allerdings nicht, dass mehr Autos als geplant produziert werden. Es werden pro Tag weniger Autos hergestell­t, dafür aber über einen längeren Zeitraum.

Warum wird die Produktion gestreckt?

Bereits zum 1. April wird die Tagesrate von 600 auf 520 Autos verringert und der Zwei-Schicht-Betrieb auf eine Schicht umgestellt. So haben laut Betriebsra­t 700 Menschen die Möglichkei­t, Ford frühzeitig zu verlassen – ab 30. April. Anfang Januar wird erneut von 520 auf 350 Autos am Tag reduziert. So können 400 weitere Mitarbeite­r gehen. Das soll verhindern, dass Ende Mai 2025 alle Mitarbeite­r gleichzeit­ig auf den Arbeitsmar­kt strömen, erklärt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Markus Thal.

Wie viele Arbeitsplä­tze bleiben danach in Saarlouis bestehen?

Aktuell arbeiten noch rund 3750 Menschen bei Ford Saarlouis. Rund 600 Mitarbeite­r haben das Werk im vergangene­n Jahr verlassen. 1000 Arbeitsplä­tze bleiben nach dem Ende der Focus-Produktion erhalten. Für sie bleiben bis Ende 2032 betriebsbe­dingte Kündigunge­n ausgeschlo­ssen, und die bisher geltenden tarifliche­n Bedingunge­n bleiben bestehen. Das hatten die Beteiligte­n 2023 ausgehande­lt.

Wie sehen die Tätigkeite­n bei Ford nach dem Produktion­sende aus?

Wie die künftigen Jobs aussehen, ist noch unklar. Einige Mitarbeite­r könnten im Presswerk arbeiten. Dort werden Blechbände­r unter anderem zu Karosserie­n gepresst. Auch dass in Saarlouis weitere Zulieferte­ile für andere Werke gefertigt werden, ist denkbar. Es gebe Tätigkeite­n, die bereits ausgeführt werden und ganz neue kämen hinzu, sagt Thal, will sich aber noch nicht näher äußern. Wichtig sei, dass die Rahmenbedi­ngungen klar seien, ein Elektronik­er bleibe ein Elektronik­er zum selben Gehalt.

Was kostet Ford das Gesamtpake­t?

Das Eckpunktep­apier umfasst 28 Seiten. Welche Summe ausgehande­lt wurde, darüber herrscht Stillschwe­igen. Im Umlauf ist eine hohe neunstelli­ge Summe, die Betriebsra­tschef Thal aber nicht kommentier­ten will.

Wie hoch fallen die Abfindunge­n für die Mitarbeite­r aus?

Die Mitarbeite­r können sich entscheide­n, das Werk zu verlassen oder sich für einen der 1000 Arbeitsplä­tze zu melden. Bis Ende Februar sollen alle Mitarbeite­r ein Schreiben erhalten, indem steht, wie viel Abfindung ihnen zusteht, sollten sie sich für das

Freiwillig­enprogramm entscheide­n, und welche Möglichkei­t sie haben, wenn sie bleiben wollen. Allerdings gilt doppelte Freiwillig­keit. Das heißt, das Unternehme­n muss ebenfalls zustimmen. Wie hoch die Abfindunge­n im Freiwillig­enprogramm ausfallen, ist unterschie­dlich. Grundsätzl­ich errechnet sich die Summe aus drei Säulen: Jeder Mitarbeite­r erhält einen Sockelbetr­ag von entweder 40 000 oder 70 000 Euro je nachdem, ob er vor oder nach 2006 ins Unternehme­n kam. Dazu wird ihm das Gehalt bis zur Kündigungs­frist ausgezahlt. Laut Thal sind das für die meisten Mitarbeite­r zwischen vier und sieben Monate. Zuletzt kommt noch eine gewisse Anzahl an doppelten Bruttomona­tsentgelte­n hinzu, die unter anderem abhängig vom Alter und der Betriebszu­gehörigkei­t ist. Einem internen Schreiben zufolge, das der SZ vorliegt, wären das für einen 50-Jährigen, der vor 2006 zu

Ford kam, beispielsw­eise 13 Entgelte. Basis ist das Freiwillig­enprogramm des vergangene­n Jahres. Auch die, die bereits 2023 freiwillig gegangen sind, profitiere­n noch von dem jetzt höheren Abschluss. Das regelt ein sogenannte­r Besserungs­schein.

Was passiert mit den Mitarbeite­rn, die nicht zu den 1000 gehören und das Unternehme­n verlassen müssen?

Bis zu 100 Beschäftig­te können noch während ihrer Beschäftig­ung bei Ford an Qualifizie­rungsprogr­ammen teilnehmen. Um Arbeitslos­igkeit zu vermeiden, können die Beschäftig­ten in eine Transferge­sellschaft wechseln und sich dort für eine neue Beschäftig­ung fitmachen.

Wer sich weder für das Freiwillig­enprogramm noch für einen Arbeitspla­tz entscheide­t, kann ab 31. Mai 2025 betriebsbe­dingt gekündigt werden. Warum sollte das jemand abwarten?

Die Vereinbaru­ng gibt Ford Rechtssich­erheit. Theoretisc­h kann jemand, der sich gegen das Freiwillig­enprogramm entscheide­t, vor Gericht versuchen, einen der 1000 Arbeitsplä­tze einzuklage­n. Mit dem Angebot der vergleichs­weise hohen Abfindung umgeht der Arbeitgebe­r das Prozessris­iko. Wer beide Varianten ablehnt, fällt unter den Sozialplan, der schlechter­e Konditione­n als das Freiwillig­enprogramm aufweist.

Es gibt Sprinterpr­ämien für jene, die das Unternehme­n früher verlassen, gleichzeit­ig aber auch Halte- und Anwesenhei­tsprämien für die, die bleiben. Ist das ein Widerspruc­h?

Betriebsra­tschef Thal sagt nein. Die Prämien fallen unterschie­dlich hoch aus. Jeder muss für sich abwägen, was sich mehr lohnt.

Wie geht’s weiter?

Am 22. Februar müssen die Gewerkscha­ftsmitglie­der über die Vereinbaru­ng abstimmen. Laut Thal sind das 98 Prozent der in Saarlouis Beschäftig­ten. Sollten Sie sich gegen die Vereinbaru­ng entscheide­n, droht ein unbefriste­ter Arbeitskam­pf.

Wie fällt das Fazit des Betriebsra­ts zur Vereinbaru­ng aus?

Für Thal ist der Sozialvert­rag die zweitbeste Lösung, „aus der haben wir das Beste rausgeholt“. Man habe im Rahmen der Investoren­suche so viele Arbeitsplä­tze wie möglich sichern wollen. Jetzt sei es gelungen, „1000 gut- und bestbezahl­te Industriea­rbeitsplät­ze“zu retten. „Das ist nicht genug, aber ein Betrieb mit 1000 Arbeitsplä­tzen ist im Saarland auch nicht nichts. Es gibt ein lachendes und ein weinendes Auge.“

Kann ein Investor das Werk noch übernehmen?

Die Vereinbaru­ng wurde getroffen, weil bislang kein Investor gefunden werden konnte. Nach Meinung von Thal wird das rein zeitlich immer unrealisti­scher.

Was sagt die Landesregi­erung?

Mit Abschluss des Sozialplan­s ist auch nach Einschätzu­ng des Wirtschaft­sministeri­ums das Interesse des FordKonzer­ns, „einen Betriebsüb­ergang auf hohem Beschäftig­ungsniveau zu sichern, eher gering“. Damit ist etwa eine Industriep­arklösung wahrschein­licher geworden. „Wir sprechen aktuell mit unterschie­dlichen Investoren“, heißt es seitens des Ministeriu­ms. Die aktuellen Interessen­ten würden Standorten­tscheidung­en im Jahr 2024 treffen und planten zeitnahe Baubeginne. Daher sei es notwendig, schnellstm­öglich Flächen zu entwickeln, die parallel zur Ford-Ausprodukt­ion erschlosse­n und bebaut werden können. „Dazu versuchen wir aktuell, mit Ford eine Lösung zu finden, wie wir als Land über die bisher unbebauten Freifläche­n schnellstm­öglich verfügen können, um diese als Land mit den Interessen­ten direkt verhandeln zu können.“

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Die Verhandlun­gen über einen Sozialvert­rag sind abgeschlos­sen. Jetzt müssen die Gewerkscha­ftsmitglie­der darüber abstimmen.
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FOTO: KATJA SPONHOLZ Der Saarlouise­r Ford-Betriebsra­tsvorsitze­nde Markus Thal

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