Ein Unbekannter und seine große Chance
Der 33-jährige Merlin Polzin wird beim Fußball-Zweitligisten Hamburger SV vorerst auf der Trainerbank sitzen. Stadtrivale FC St. Pauli als Vorbild.
(sid) Als kleiner Butscher, wie man im Norden sagt, hat Merlin Polzin schon einmal eine große Chance genutzt. An einem Sonntag spazierte er mit seinem Vater, der Mutter und seinem Bruder am alten Volksparkstadion in Hamburg vorbei, die Tore standen offen, natürlich stapfte der Junge aufgeregt herein. Und ging sogar runter auf den Rasen. „Dann haben wir auf dem Platz Fußball gespielt“, erzählt Polzin: „Bis uns eine ziemlich energische Stimme über die Lautsprecheranlage vom Feld geschickt hat.“
Nun, Jahre später, hat Polzin eine neue Chance: An diesem Samstag wird er beim HSV tatsächlich auf der Trainerbank sitzen. Mittlerweile ist Polzin 33 Jahre alt, er wurde in Hamburg geboren, aufgewachsen ist er im Stadtteil Bramfeld – und sozialisiert wurde er in der Kurve. Ein Ex-Fan ohne großen Namen soll es nach der Entlassung des glücklosen Tim Walter vorerst richten. Am Liebsten im Stil von Fabian Hürzeler bei Stadtrivale FC St. Pauli.
Er sei „ein großes Trainertalent, das eine super Entwicklung genommen hat“, sagt Sportvorstand Jonas Boldt über den neuen Hoffnungsträger des Tabellendritten der 2. Liga: „Jemand, der sehr viel Inhalt mitbringt und viel mitgestaltet hat.“Und jemand, der zumindest gegen den Abstiegskandidaten Hansa Rostock (13 Uhr/Sky) „hundertprozentig“auf der Bank sitzen werde.
So steht also die Verbindung zum Stadtrivalen, der derzeit mit Erfolg vormacht, wie es gehen kann mit einem jungen, innovativen Trainer. Hürzeler bekam im Dezember 2022 seine Chance und nutzte sie eindrucksvoll. In zwei Wochen stieg der nun 30-Jährige vom Interimscoach zum Chef auf, in eineinhalb Jahren formte er sein Team zum Aufstiegsfavoriten in der 2. Bundesliga.
Dass es so oder so ähnlich auch beim HSV läuft, darauf hofft nun also Sportvorstand Boldt. Eine „Weiterbeschäftigung“sei „ausdrücklich nicht ausgeschlossen“, stellt er in dieser Deutlichkeit dann doch etwas überraschend fest. Nicht wenige hatten schneller mit einer prominenteren Lösung gerechnet. Der Name Steffen Baumgart, immerhin bekennender HSV-Fan, war bereits vor Walters Entlassung durch die Hansestadt gegeistert.
Natürlich ist es trotz allen Vertrauens in Polzin weiterhin möglich, dass Boldt, der nach vier gescheiterten Aufstiegsanläufen unter Druck steht, in den kommenden Wochen auf dem Trainermarkt zuschlägt. Der Interimstrainer wird derweil versuchen, mit aller Macht die Mannschaft zu erreichen. Er kann dabei auch auf die Unterstützung seiner fußballbegeisterten Familie zählen. „Die Verbundenheit hat schon früh angefangen“, sagt Polzin: „Meine Oma ist der allergrößte HSV-Fan.“