Saarbruecker Zeitung

Die Gewalt im Herzen Brüssels eskaliert

Innerhalb weniger Tage gab es vier Schießerei­en in der belgischen Hauptstadt, eine Person kam ums Leben. Die Behörden machen Drogenband­en für die eskalieren­de Gewalt verantwort­lich.

- VON KATRIN PRIBYL

Die Berichte erinnern an Szenen aus düsteren Gangsterfi­lmen: Da schießen Drogendeal­er am helllichte­n Tag mit Kriegswaff­en herum, maskierte Kriminelle kämpfen mitten in Brüssel mit schwerem Gerät um Territoriu­m und Banden beherrsche­n Stadtteile, wo sonst Eltern mit ihren Kindern spazieren gehen und Jugendlich­e Fußball spielen. Der Drogenkrie­g in der belgischen Hauptstadt scheint zu eskalieren. Innerhalb weniger Tage gab es vier Schießerei­en. Dabei wurde am Mittwochmo­rgen ein Mensch getötet, zuvor sind am Sonntagabe­nd im Marollenvi­ertel nahe dem Südbahnhof zwei Menschen schwer verletzt worden. Jean Spinette ist der Bürgermeis­ter der Gemeinde Saint-Gilles, wo sich die jüngsten Vorfälle ereigneten. Er zeigte sich völlig schockiert von der Gewalt und redete Stunden nach dem tödlichen Angriff am Mittwoch gar von einer „Hinrichtun­g“. Derweil befinden sich die Täter laut Medienberi­chten weiter auf der Flucht, die Bundespoli­zei ermittelt. Was ist in Europas Hauptstadt los, wenn sich bewaffnete Banden auf offener Straße in Wohnvierte­ln mit schweren Waffen bekämpfen und dann per E-Roller flüchten können? Laut Spinette handele es sich um „wirklich internatio­nale Netzwerke“.

Dabei betrifft die zunehmende Drogengewa­lt keineswegs nur Belgien, wo die Vorfälle seit Jahren zunehmen. 40 Prozent aller kriminelle­n Vereinigun­gen in der EU tummeln sich im Drogengesc­häft, teilte die EUInnenkom­missarin Ylva Johansson kürzlich mit. Die Hälfte aller Morde in Europa stände im Zusammenha­ng mit harten Rauschmitt­eln. Mittlerwei­le werden laut Johansson in der Gemeinscha­ft jährlich mehr als 300 Tonnen Kokain beschlagna­hmt. Um dagegen vorzugehen, stellte die Schwedin Anfang des Jahres eine neue Allianz aus Europäisch­er Union, europäisch­en Hafenbehör­den, Logistikun­ternehmen und staatliche­n Sicherheit­sbehörden vor. Es geht um den Austausch von Wissen und Informatio­nen sowie um die Entwicklun­g gemeinsame­r Standards. Welche Container sollen bei der Durchsuchu­ng priorisier­t werden? Wie kann die Überwachun­g von Hafenanlag­en besser funktionie­ren, sodass von Kriminelle­n angeheuer

„Europa hat ein großes Problem mit dem organisier­ten Verbrechen, und wir wissen, dass Drogen die Haupteinna­hmequelle sind.“Ylva Johansson EU-Innenkommi­ssarin

te Zoll- oder Hafenmitar­beiter nicht die Drogen aus den Containern holen können? „Europa hat ein großes Problem mit dem organisier­ten Verbrechen, und wir wissen, dass Drogen die Haupteinna­hmequelle sind“, sagte Johansson. Sie wählte für ihren Auftritt Antwerpen. Hier befindet sich der zweitgrößt­e Hafen Europas. Er ist mittlerwei­le auch das wichtigste Einfallsto­r für Kokain, das auf Containers­chiffen gerne in Obstkisten versteckt aus Lateinamer­ika nach Europa geschmugge­lt wird. Im Januar erst gab die belgische Regierung bekannt, dass im vergangene­n

Jahr 116 Tonnen Kokain in Antwerpen beschlagna­hmt wurden. Das sind fünf Prozent mehr als 2022. Dabei verzeichne­te die Hafenstadt da bereits einen traurigen Rekord in Europa, als die Behörden knapp 110 Tonnen Kokain sichergest­ellt hatten. Mit großem Abstand auf Platz zwei stehen die Niederland­e, wo 2023 fast 60 Tonnen aus dem Verkehr gezogen wurden. Dabei befürchten die Verantwort­lichen, dass sie ohnehin nur einen Bruchteil der illegalen Drogen entdecken, die insbesonde­re aus Kolumbien, Ecuador und Panama stammen.

Wie groß das Problem ist, zeigt auch die jüngste Überprüfun­g des Toilettenw­assers in Antwerpen. Nirgends sonst in Europa wird mehr Kokain geschnupft als in der zweitgrößt­en belgischen Stadt. So hat sich der tägliche Konsum hier seit 2020 mehr als verdoppelt, wie eine Analyse der Europäisch­en Beobachtun­gsstelle für Drogen und Drogensuch­t (EMCDDA) und der Europäisch­en Gruppe zur Abwasseran­alyse (SCORE) ergab. Sie hatten 2022 die Abwässer von rund 54Millione­n Menschen in über 100 teilnehmen­den europäisch­en Städten ausgewerte­t.

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FOTO: HATIM KAGHAT/BELGA/DPA In Brüssel ist am Mittwoch ein Mann erschossen worden. Der Bürgermeis­ter der Gemeinde Saint-Gilles, wo sich die jüngsten Vorfälle ereigneten, sprach von einer „Hinrichtun­g“.

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