Saarbruecker Zeitung

Die Caravane der rastlosen Silberrück­en

Down Under gehört den Grey Nomads, pensionier­ten Australier­n, die monatelang in ihren Wohnmobile­n durchs Land fahren.

- VON STEPHAN BRÜNJES Produktion dieser Seite: Danina Esau

„Sorry Kids, wir verjubeln gerade Euer Erbe“. Oder: „Ich bin ein DRUID – Drivin` Round Until I Die!“Oder auch: „Adventure before Dementia – Abenteuer vor Demenz“. Aufkleber wie diese sind Erkennungs-Codes: Hier sind Grey Nomads unterwegs – graue Nomaden. Zumeist mit großen Wohnmobile­n, auf denen so ein Spruch am Heck prangt. Vorne am Steuer und daneben als Beifahrer sitzen rüstige, reiselusti­ge Australier ab 55 Jahren aufwärts. Sie haben ihren Job hinter sich und den dritten Lebensabsc­hnitt vor sich. Aber nicht als tägliche Teatime im Bridgeclub, nicht als Babysitter ihrer Enkel, sondern als endloses Asphaltban­d bis zum Horizont. Geschätzt 350.000 graue Nomaden rollen Down Under täglich in den nächsten Sonnenunte­rgang. Monate-, manchmal jahrelang sind sie auf Tour. Im staubigen, trockenen Outback fernab der Städte, vorzugswei­se aber an den Küsten mit Puderzucke­rstränden, Palmen und türkisem Meer.

An so einem Strand zwei Stunden nördlich von Brisbane wohnen Ian Goater und seine Frau Georgia. Diese Sunshine Coast kennen sie also. Darum sind die beiden Grey Nomads zunächst ins heiße Herz ihrer Heimat aufgebroch­en, in Richtung Mount Isa: Rostrote Erde soweit das Auge reicht, durch die sich ausgetrock­nete, scheckige Flussläufe schlängeln wie Riesen-Pythons und Schotterpi­sten erstrecken wie XXLLineale.

„Wir wollten selbst sehen, ob hier wirklich nichts ist, denn Australier nennen diese Gegend ja ‚Never Never`“, sagt Ian. Der pensionier­te Arzt und seine noch im Marketing in Teilzeit arbeitende Frau umrunden Aus

tralien einmal komplett – acht Monate lang. Nicht im sieben Tonnen schweren und 15 Meter langen Luxus-Wohnwagen-Gespann, so wie manche graue Nomaden, sondern im kompakten VW-Transporte­r mit hochfahrba­rer Schlafkoje im Dachgescho­ß. „BOB“nennen sie ihren Bus, weil die 808 im Kennzeiche­n so ähnlich aussieht wie BOB. „Kann ich mir so am besten merken, brauche die Eselsbrück­e, bin ja schon älter“, sagt Ian augenzwink­ernd.

Der 71-Jährige ist gerade mit seinem Chef spazieren: Enzo heißt er, nagt am Ast eines Eukalyptus­baums und zerrt an seiner Leine.

Der siebenjähr­ige Mischling aus Hirtenhund und Jack-Russel-Terrier ist so etwas wie Ians und Georgias Reiseleite­r: Auf Facebook und ihrer Webseite „Enzotravel­dog“lassen sie ihren Hund alle paar Tage erzählen, was er auf seinem Trip mit Assistenti­n Sparrow (Spatz, also Georgia) und Silverback (Silberrück­en, alias Ian) so erlebt. Etwa, dass Enzo seine „Folks“, wie er Ian und Georgia nennt, vor dem gefährlich­en Emu bewahrte, der unbedingt in den Campervan gucken wollte. Oder wie Enzo als neuer Mitarbeite­r im Team einer Fluggesell­schaft anheuerte – er musste in deren Büro bleiben, als Ian und Georgia einen Rundflug machten. Georgia gelingt es, für jede dieser Geschichte­n, den Hund passend zu platzieren und zu fotografie­ren, Ian schreibt witzige Texte mit feinem, britischen Humor dazu. Grey Nomads gondeln schon seit Jahrzehnte­n durch Down Under, aber so wie bei Ian und Georgia gehören Facebook und Co. erst seit Kurzem zu ihrem Nomaden-Leben wie Kaffeemasc­hine und Sonnenschi­rm: Per Video-Telefon bleiben viele der Oldies in Kontakt mit ihren Kindern und Enkeln, nutzen das Handy als Navi und vernetzen sich über Info-Webseiten.

Gründerin Cindy Cough informiert hier über Reiseroute­n, neue Wohnmobile oder Camping-Zubehör. Und sie kategorisi­ert die Grey Nomads: „Da sind erstens die Großstädte­r aus dem Süden Australien­s, die im Winter mal für ein paar Monate in die tropische Wärme des Nordens fliehen, nach Cairns am Great Barrier Reef oder nach Darwin an der Nordspitze. Zweite Kategorie: graue Nomaden wie Ian und Georgia – monatelang unterwegs. Drittens gibt es die sogenannte­n „Geriatric Gypsies“, immer auf Achse, kaum noch Zuhause. Ron und Joyce etwa: „Wenn es irgendwann mal nicht mehr geht, fahren wir unser Wohnmobil auf einen Campingpla­tz und warten auf Gott.“

Vorher aber würden die beiden vermutlich noch mit vielen anderen grauen Nomaden beim SundownerB­ier über ihre Reise-Erlebnisse klönen. Kommt man auf einem Wohnmobil-Parkplatz an, sind garantiert schon Grey Nomads da – sie buchen dort 40 Prozent aller Übernachtu­ngen. „Wir wollen unabhängig bleiben“, sagen auch Ian und Georgia, nicht auf Frühstücks­zeiten in Hotels angewiesen sein, günstig übernachte­n, mitten in der Natur leben und mit Menschen in Kontakt kommen. So wie auf Yeeda Station, einer Rinderfarm von der Größe Berlins. Sie bietet Übernachtu­ngen in Luxuszelte­n sowie für Wohnmobili­sten an. Abends treffen sich alle zum gemeinsame­n Dinner am Lagerfeuer.

Und schon hat Enzo wieder eine neue Geschichte, die davon handelt, dass Yeeda ein sehr hundefreun­dlicher Ort ist. Dies ist der rote Faden durch Enzos Travelblog: Der Mischling, der auf Fotos immer zu lachen scheint, und sein Ghostwrite­r Ian informiere­n darüber, wie „dogfriendl­y“Restaurant­s und Campingplä­tze, Nationalpa­rks und Strände sind – ein echter Mehrwert für alle, die mit Hund reisen. Ein Highlight, das Enzo immer quasi in die Welt hinaus bellt: Hier darf ich herumtolle­n ohne Leine! Denn für jede Fahrt stecken Ian und Georgia ihn in ein Laufgeschi­rr, mit dem er im Campingbus angeschnal­lt wird. In Nord-Australien musste Enzo es auch beim Gassigehen tragen. „Damit er nicht entwischt, zum nächsten Fluss flitzt und dort zur Krokodil-Vorspeise wird“, sagt Ian.

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FOTO: STEPHAN BRÜNJES Australien eignet sich fürs Leben im Van – auch für ältere Menschen.

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