Die Caravane der rastlosen Silberrücken
Down Under gehört den Grey Nomads, pensionierten Australiern, die monatelang in ihren Wohnmobilen durchs Land fahren.
„Sorry Kids, wir verjubeln gerade Euer Erbe“. Oder: „Ich bin ein DRUID – Drivin` Round Until I Die!“Oder auch: „Adventure before Dementia – Abenteuer vor Demenz“. Aufkleber wie diese sind Erkennungs-Codes: Hier sind Grey Nomads unterwegs – graue Nomaden. Zumeist mit großen Wohnmobilen, auf denen so ein Spruch am Heck prangt. Vorne am Steuer und daneben als Beifahrer sitzen rüstige, reiselustige Australier ab 55 Jahren aufwärts. Sie haben ihren Job hinter sich und den dritten Lebensabschnitt vor sich. Aber nicht als tägliche Teatime im Bridgeclub, nicht als Babysitter ihrer Enkel, sondern als endloses Asphaltband bis zum Horizont. Geschätzt 350.000 graue Nomaden rollen Down Under täglich in den nächsten Sonnenuntergang. Monate-, manchmal jahrelang sind sie auf Tour. Im staubigen, trockenen Outback fernab der Städte, vorzugsweise aber an den Küsten mit Puderzuckerstränden, Palmen und türkisem Meer.
An so einem Strand zwei Stunden nördlich von Brisbane wohnen Ian Goater und seine Frau Georgia. Diese Sunshine Coast kennen sie also. Darum sind die beiden Grey Nomads zunächst ins heiße Herz ihrer Heimat aufgebrochen, in Richtung Mount Isa: Rostrote Erde soweit das Auge reicht, durch die sich ausgetrocknete, scheckige Flussläufe schlängeln wie Riesen-Pythons und Schotterpisten erstrecken wie XXLLineale.
„Wir wollten selbst sehen, ob hier wirklich nichts ist, denn Australier nennen diese Gegend ja ‚Never Never`“, sagt Ian. Der pensionierte Arzt und seine noch im Marketing in Teilzeit arbeitende Frau umrunden Aus
tralien einmal komplett – acht Monate lang. Nicht im sieben Tonnen schweren und 15 Meter langen Luxus-Wohnwagen-Gespann, so wie manche graue Nomaden, sondern im kompakten VW-Transporter mit hochfahrbarer Schlafkoje im Dachgeschoß. „BOB“nennen sie ihren Bus, weil die 808 im Kennzeichen so ähnlich aussieht wie BOB. „Kann ich mir so am besten merken, brauche die Eselsbrücke, bin ja schon älter“, sagt Ian augenzwinkernd.
Der 71-Jährige ist gerade mit seinem Chef spazieren: Enzo heißt er, nagt am Ast eines Eukalyptusbaums und zerrt an seiner Leine.
Der siebenjährige Mischling aus Hirtenhund und Jack-Russel-Terrier ist so etwas wie Ians und Georgias Reiseleiter: Auf Facebook und ihrer Webseite „Enzotraveldog“lassen sie ihren Hund alle paar Tage erzählen, was er auf seinem Trip mit Assistentin Sparrow (Spatz, also Georgia) und Silverback (Silberrücken, alias Ian) so erlebt. Etwa, dass Enzo seine „Folks“, wie er Ian und Georgia nennt, vor dem gefährlichen Emu bewahrte, der unbedingt in den Campervan gucken wollte. Oder wie Enzo als neuer Mitarbeiter im Team einer Fluggesellschaft anheuerte – er musste in deren Büro bleiben, als Ian und Georgia einen Rundflug machten. Georgia gelingt es, für jede dieser Geschichten, den Hund passend zu platzieren und zu fotografieren, Ian schreibt witzige Texte mit feinem, britischen Humor dazu. Grey Nomads gondeln schon seit Jahrzehnten durch Down Under, aber so wie bei Ian und Georgia gehören Facebook und Co. erst seit Kurzem zu ihrem Nomaden-Leben wie Kaffeemaschine und Sonnenschirm: Per Video-Telefon bleiben viele der Oldies in Kontakt mit ihren Kindern und Enkeln, nutzen das Handy als Navi und vernetzen sich über Info-Webseiten.
Gründerin Cindy Cough informiert hier über Reiserouten, neue Wohnmobile oder Camping-Zubehör. Und sie kategorisiert die Grey Nomads: „Da sind erstens die Großstädter aus dem Süden Australiens, die im Winter mal für ein paar Monate in die tropische Wärme des Nordens fliehen, nach Cairns am Great Barrier Reef oder nach Darwin an der Nordspitze. Zweite Kategorie: graue Nomaden wie Ian und Georgia – monatelang unterwegs. Drittens gibt es die sogenannten „Geriatric Gypsies“, immer auf Achse, kaum noch Zuhause. Ron und Joyce etwa: „Wenn es irgendwann mal nicht mehr geht, fahren wir unser Wohnmobil auf einen Campingplatz und warten auf Gott.“
Vorher aber würden die beiden vermutlich noch mit vielen anderen grauen Nomaden beim SundownerBier über ihre Reise-Erlebnisse klönen. Kommt man auf einem Wohnmobil-Parkplatz an, sind garantiert schon Grey Nomads da – sie buchen dort 40 Prozent aller Übernachtungen. „Wir wollen unabhängig bleiben“, sagen auch Ian und Georgia, nicht auf Frühstückszeiten in Hotels angewiesen sein, günstig übernachten, mitten in der Natur leben und mit Menschen in Kontakt kommen. So wie auf Yeeda Station, einer Rinderfarm von der Größe Berlins. Sie bietet Übernachtungen in Luxuszelten sowie für Wohnmobilisten an. Abends treffen sich alle zum gemeinsamen Dinner am Lagerfeuer.
Und schon hat Enzo wieder eine neue Geschichte, die davon handelt, dass Yeeda ein sehr hundefreundlicher Ort ist. Dies ist der rote Faden durch Enzos Travelblog: Der Mischling, der auf Fotos immer zu lachen scheint, und sein Ghostwriter Ian informieren darüber, wie „dogfriendly“Restaurants und Campingplätze, Nationalparks und Strände sind – ein echter Mehrwert für alle, die mit Hund reisen. Ein Highlight, das Enzo immer quasi in die Welt hinaus bellt: Hier darf ich herumtollen ohne Leine! Denn für jede Fahrt stecken Ian und Georgia ihn in ein Laufgeschirr, mit dem er im Campingbus angeschnallt wird. In Nord-Australien musste Enzo es auch beim Gassigehen tragen. „Damit er nicht entwischt, zum nächsten Fluss flitzt und dort zur Krokodil-Vorspeise wird“, sagt Ian.