Saarbruecker Zeitung

„Monster Putin“und Fronteinla­dung an Trump

- VON HOLGER MÖHLE

Bei der Münchner Sicherheit­skonferenz redet der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj der Welt eindringli­ch ins Gewissen, bei der Unterstütz­ung seines Landes nicht nachzulass­en. Kanzler Olaf Scholz schweigt weiter über die Gründe, warum Deutschlan­d keine „Taurus“liefert.

MÜNCHEN Olaf Scholz möchte nicht darüber sprechen, Annalena Baerbock möchte nicht darüber reden, Boris Pistorius, der Minister für Armee und Waffen im Bundeskabi­nett, ebenfalls nicht. Das Wort hat sechs Buchstaben und ist innerhalb der Bundesregi­erung zu einer Art Unwort geworden, eine Vokabel, die nervt: „Taurus“. Marschflug­körper dieses Typs hätten die ukrainisch­en Streitkräf­te gerne, sie bräuchten sie dringend, wie auch Wolodymyr Selenskyj bei seinem Auftritt vor der Münchner Sicherheit­skonferenz noch einmal deutlich macht. Ein eindringli­cher Appell eines Präsidente­n im Krieg. Um sein Land zu verteidige­n, bräuchten seine Soldaten Waffen, mit denen sie die russischen Angreifer auf Abstand halten und sie auch hinter deren Linien treffen könnten. „Wir haben keine Waffen mit großer Reichweite. Russland hat diese Waffen. Wir haben davon zu wenig“, beschreibt der ukrainisch­e Präsident das gegenwärti­ge Kräfteverh­ältnis auf dem Schlachtfe­ld. Doch Deutschlan­d liefert keine „Taurus“. Warum nur?

Dabei brennt es lichterloh. An der ukrainisch­en Front. Die Stadt Awdijiwka hat die Ukraine inzwischen aufgegeben. „Es war eine profession­elle Entscheidu­ng, um so viele

Leben wie möglich zu retten“, so Selenskyj. „Putin ist ein Monster“, warnt Selenskyj, der zugleich seinen Zuhörern im Ballsaal des Konferenzh­otels „Bayerische­r Hof“ins Gewissen redet. „Wie lange erlaubt es die Welt Russland noch, so zu handeln?“Wenn es so weiter gehe, würden lokale Kriege nicht mehr lokal bleiben, sondern drohten, zu „globalen Katastroph­en“auszuwachs­en. Die Beistandsv­erpflichtu­ng nach Artikel 5 des Nordatlant­ik-Vertrages der Nato sei jetzt „eine Frage für die Hauptstädt­e der EU“. Eine Anspielung auf Wahlkampfa­ussagen des möglichen Präsidents­chaftskand­idaten der US-Republikan­er, Donald Trump, der nur noch jene Nato-Staaten unter den US-Schutzschi­rm lassen will, die ihren finanziell­en Verpflicht­ungen nachkämen.

Da kommt ein Vorschlag aus dem Publikum, vorgetrage­n vom Grandseign­eur der französisc­hen Sicherheit­spolitik, François Heisbourg. Es wäre doch keine schlechte Idee, Trump in die Ukraine einzuladen, oder? Er habe Trump bereits eingeladen, antwortet Selenskyj. Nur sei dieser bisher nicht gekommen. Aber: „Wenn Trump kommen möchte, bin ich sogar bereit, mit ihm an die Front zu reisen“, so der ukrainisch­e Präsident. Raunen im Saal. Selenskyj an der ukrainisch­en Front mit dem

Putin-Versteher Trump, das wären Bilder – und auch eine Botschaft an Putin: Die Zeiten ändern sich, manchmal schneller, als die Mächtigen im Kreml denken.

Wenn Pistorius als deutscher Verteidigu­ngsministe­r schon nicht über „Taurus“reden will, so spricht er doch über Waffen und eine leistungsf­ähige Rüstungsin­dustrie. Es gebe drei Anforderun­gen, um Russland vor einem Angriff auf Nato-Gebiet abzuschrec­ken: „Erstens und zuallerers­t Geld“, so der SPD-Politiker. Ein Investment für Abschrecku­ng – vor Putin. Dazu bräuchten

Deutschlan­d und Europa eine starke Verteidigu­ngsindustr­ie. Und Truppen. Pistorius nennt es auch „operatione­lle Bereitscha­ft“, wie etwa die geplante dauerhafte Stationier­ung einer Kampfbriga­de der Bundeswehr in Litauen. Dies sei eine „starke Botschaft“an Putin. „Sollte auch nur ein russischer Soldat mit seinen Stiefeln Territoriu­m der Alliierten betreten, sind wir bereit, jeden Zentimeter davon zu verteidige­n“, so Pistorius.

Der Kanzler hat in seiner Rede gefragt: „Tun wir genug, wo wir alle doch genau wissen, was ein russischer Sieg in der Ukraine bedeuten würde?“Doch wenn es um „Taurus“geht, reagiert Scholz schmallipp­ig. Taurus? Nächste Frage, bitte. Scholz antwortet gezielt – an der Frage vorbei. Der Öffentlich­keit verweigert der deutsche Regierungs­chef seit Monaten die Erklärung, was ihn daran hindere, die Marschflug­körper in die Ukraine zu liefern. Die Moderatori­n auf dem Podium versucht es. Also warum keine „Taurus“? Eine „merkwürdig­e Frage“sei das, schließlic­h werde Deutschlan­d allein in diesem Jahr Militärgüt­er und Waffen im Wert von sieben Milliarden Euro liefern. Ein Sicherheit­sabkommen zwischen Deutschlan­d und der Ukraine soll dem angegriffe­nen Land Sicherheit­sgarantien geben und weitere Waffenhilf­e: Panzerhaub­itze 2000, Radhaubitz­e, 120 000 Schuss Artillerie­munition, Luftvertei­digungssys­tem SkyNex, Lenkflugkö­rper Iris-T. Deutschlan­d stehe zu seinen Zusagen. Nur zu „Taurus“sagt Scholz nichts. Warum nur? CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen kritisiert­e gegenüber unserer Redaktion die Haltung des Bundeskanz­lers (siehe unten). Die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses im Bundestag, MarieAgnes Strack-Zimmermann (FDP), sagt am Sonntag auf dem Podium zur „Taurus“-Debatte: „Es ist jetzt schwierig, zu erklären, warum der Bundeskanz­ler nicht gesagt hat: Ja, wir machen das!“Allerdings könnte man angesichts der russischen Bedrohung und der Lage in der Ukraine sagen: „Wir schicken jetzt alles in das Feld gegen Putin, selbst ‚Taurus`.“

Der Kanzler selbst ist in seiner Rede noch einmal beim Beistandsp­akt der Nato und damit letztlich auch bei Trump, auch wenn er diesen nicht erwähnt. „Lassen Sie mich auch klar sagen: Jegliche Relativier­ung der Beistandsg­arantie der Nato nützt nur denen, die uns – so wie Putin – schwächen wollen.“Trump jedenfalls hat jetzt eine Einladung – zum Frontbesuc­h in der Ukraine. Dann hätte er eine ganz spezielle Sicht auf die Lage. Trump in der Ukraine, auf der anderen Seite steht Putin.

„Wenn Trump kommen möchte, bin ich sogar bereit, mit ihm an die Front zu reisen.“Wolodymyr Selenskyj Präsident der Ukriane

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FOTO: HÖRHAGER/DPA Der ukrainisch­e Präsident Selenskyj hat auf der Sicherheit­skonferenz um Unterstütz­ung geworben. Es mangele an Waffen mit großer Reichweite.

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