Von der „Ursünde“bis zum Scheitern in Afghanistan
Eineinhalb Jahre hat eine Enquete-Kommission über den Afghanistan-Einsatz beraten. In dieser Woche legt sie dem Bundestag einen 335-seitigen Zwischenbericht vor.
BERLIN Gleich zu Beginn wurden für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr Entscheidungen getroffen, die am Ende zum Scheitern führten. Darauf geht der 335-seitige Zwischenbericht der Enquete-Kommission zu den „Lehren aus Afghanistan“ein, der unserer Redaktion vorliegt und in dieser Woche im Bundestag beraten wird. Diese „Ursünde“war demnach die „Entscheidung, die Taliban militärisch zu bekämpfen, statt sie einzubinden“. Die Kommission aus Abgeordneten und Sachverständigen schreibt: „Gerade, weil der Einsatz mit der erneuten Machtübernahme der Taliban letztendlich nicht erfolgreich war, sind die Aufarbeitung und die Lehren daraus von großer Bedeutung für das zukünftige außenpolitische Handeln.“
Der Afghanistan-Einsatz begann nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA und endete im Sommer 2021. Die Taliban eroberten sofort sämtliche Provinzhauptstädte zurück und übernahmen schließlich die Macht in Kabul. Aus den Erkenntnissen der Kommission werden nun Schlussfolgerungen gezogen und Empfehlungen formuliert. Im Frühjahr 2025 soll der Endbericht vorliegen.
Der von der seit 2022 tagenden Kommission erarbeitete Bericht hält fest, dass Deutschland gemeinsam mit seinen internationalen
Partnern „strategisch gescheitert“ist. Als ein Grund wird das zu hohe Ziel eines „Staatsaufbaus mit rechtsstaatlichen Institutionen“genannt. Gleichzeitig fehlten den Angaben nach ausreichend „selbstkritische Bestandsaufnahmen“, „ungeschminkte Lagebilder” oder auch eine „Auseinandersetzung mit der Kultur, Geschichte und den Traditionen Afghanistans“. Von schlechter Koordination ist die Rede und von „Ressortegoismen“, auch in der Bundesregierung. Zu oft habe man sich bei den Bewertungen zudem „auf die großen Städte konzentriert“, die nicht auf das ganze Land übertragbar waren.
Die SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur ist Obfrau in der Enquete-Kommission. Sie erinnert im Gespräch mit unserer Redaktion daran, dass ein früherer Vorsitzender ihrer Partei versucht hatte, den großen taktischen Fehler zu beheben, der sich durch den Einsatz zog. „Kurt Beck hat schon im Jahr 2007 dazu aufgerufen, gemäßigte Taliban an den Tisch zu holen und dafür viel Schelte kassiert. Rückblickend sehen wir aber: Das hätte geschehen müssen, auch wenn es damals politisch als nicht vertretbar galt. Das ist eine der Lehren aus Afghanistan: Man muss in Einsatzgebieten mit den Meinungsmachern vor Ort sprechen.“Sie betont: „Taliban waren nicht gleich Taliban: Mit denen, die bereit waren, die Waffen niederzulegen, hätten wir sprechen müssen.“
„Deutschland war nicht vorbereitet auf solch einen Einsatz, weder politisch, noch mental“, sagt TürkNachbaur. „Es fehlte eine außen-, verteidigungs- und entwicklungspolitische Strategie aus einem Guss.” Aber man habe gelernt: „Heute ist die Kommunikation zwischen den Ministerien und im Bundestag deutlich besser. Auch der geordnete und gut koordinierte Abzug der Bundeswehr aus Mali hat gezeigt, es wurden Lehren aus Afghanistan gezogen.“Insgesamt waren rund 93 000 Soldaten am Hindukusch im Einsatz, 59 sind dort gefallen. Auch drei Bundespolizisten und vier Mitarbeiter deutscher Hilfsorganisationen verloren ihr Leben. Laut Bericht gab es immerhin Teilerfolge während des Einsatzes. „Die hatten wir gerade auch in der Entwicklungsarbeit, wo wir den Bau und die Ausstattung von Schulen und Kliniken unterstützt haben“, sagt Türk-Nachbaur.
93 000 Bundeswehr-Soldaten waren am Hindukusch im Einsatz, 59 verloren dort ihr Leben, ebenso drei Bundespolizisten und vier Mitarbeiter deutscher Hilfsorganisationen. Quelle: Enquete-Kommission