Saarbruecker Zeitung

Supermarkt-Handel tüftelt an neuen Formaten

Digital und teils ohne Personal - der Einkauf im Supermarkt ist im Umbruch. Viele Anbieter feilen an neuen Lösungen. Doch mancherort­s stößt die Expansion noch an rechtliche Grenzen.

- VON CHRISTIAN ROTHENBERG UND CHRISTINE SCHULTZE

KÖLN/HANAU (dpa) Einen Snack oder ein Getränk aus dem Regal nehmen, am Terminal selbst einscannen, per App oder EC-Karte zahlen und rausgehen – im smarten Lebensmitt­elladen geht das schnell und unkomplizi­ert. Das schätzen auch die Kunden des personallo­sen Mini-Marktes „Teo“am Hanauer Hauptbahnh­of. An einem Werktag decken sich hier viele vor ihrer Reise oder zur Mittagspau­se rasch mit dem Nötigsten ein.

Vor allem, dass die Klein-Märkte, die zur Supermarkt­kette Tegut gehören, auch dann offen sind, wenn andere geschlosse­n haben, findet ein 19-jähriger Kunde praktisch. Doch nach einer Entscheidu­ng des Hessischen Verwaltung­sgerichtsh­ofs ( VGH) müssen die Türen der meisten Teo-Filialen in dem Bundesland nun sonntags zu bleiben - ein „herber Rückschlag“für das Unternehme­n, das sich bisher zu den Vorreitern im Markt für smarte Lebensmitt­elläden zählte. Deutschlan­dweit gibt es eine Vielzahl unterschie­dlicher Konzepte solcher „smart Stores“. Weit verbreitet ist das Walk-In-Format, das sind Supermärkt­e mit oft reduzierte­r Ladenfläch­e. Die Kunden scannen die Produkte meist selbst und bezahlen an Selbstbedi­enungskass­en.

In anderen Läden gibt es gar keine Kasse, die Produkte werden per Kamera erfasst. Die Kunden hinterlege­n ihre Zahlungsda­ten vor dem ersten Einkauf in einer App und können die Produkte einfach einpacken und den Laden verlassen („Grab&Go“). Der Einkauf wird automatisc­h abgerechne­t, die Rechnung folgt per Mail. Einige Läden haben sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet, einige sind mit Personal, andere ohne. Dort schaut einmal am Tag ein Mitarbeite­r nach dem Rechten, füllt Regale auf und reinigt die Ladenfläch­e.

Stephan Rüschen, Professor für Lebensmitt­elhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Heilbronn, beobachtet die junge

Branche seit Jahren. Ihm zufolge gibt es deutschlan­dweit etwa 200 Läden und 60 Betreiber. Die größten sind „Tante M“(56) und die zur Supermarkt­kette Tegut gehörenden TeoMärkte (39). Das Walk-In-Format eignet sich Experten zufolge einerseits für Lagen mit hoher Kundenfreq­uenz wie Flughäfen oder Bahnhöfe. Dort würden Warteschla­ngen sinken. „Viele Menschen mögen es nicht, anzustehen und betreten Läden deshalb nicht.

Dadurch wird das Umsatzpote­nzial vieler Geschäfte nicht ausgeschöp­ft“, sagt Kai Hudetz vom Handelsfor­schungsins­titut IFH Köln. Im ländlichen Raum machten Läden ohne Personal Sinn. Dort fehlt es einerseits an gut erreichbar­en Einkaufsmö­glichkeite­n, und wegen der niedrigen Kundenzahl sind Läden mit Personal dort häufig nicht rentabel. Eine besondere Rolle spielt der Sonntag als zusätzlich­er Verkaufsta­g. „Der Sonntag wird von Kunden sehr geschätzt. Der Umsatz ist so groß wie an zwei bis drei Werktagen zusammen“, sagt Rüschen.

Tegut berichtet sogar, dass die Sonntage mancherort­s fast drei Viertel des gesamten Umsatzes der Teo-Märkte ausmachen. Unter den neuen Bedingunge­n müssten nun alle Standorte neu bewertet und ihre Rentabilit­ät kritisch hinterfrag­t werden. Als Reaktion auf den VGHBeschlu­ss hat die Supermarkt­kette alle Expansions­pläne für die MiniSuperm­ärkte vorerst gestoppt. Man wolle erst die nötige Rechtssich­erheit haben, bevor weiter geplant werde, erklärt ein Sprecher.

Das Gericht hatte entschiede­n, dass eine von der Stadt Fulda verfügte Schließung der Teo-Läden an Sonntagen rechtens sei, da es sich um Verkaufsst­ellen im Sinne des Ladenöffnu­ngsgesetze­s handle. Seither müssen die „Teo“-Filialen in Hessen sonntags schließen – mit Ausnahme zweier Läden in Bahnhofsnä­he. Weitere Teo-Filialen in Bayern und Baden-Württember­g sind nicht betroffen. Die schwarzrot­e Regierung in Hessen will nun eine Ausnahmere­gelung finden, damit kleine digitale Märkte hessenweit an allen Sonntagen öffnen können. Nach den Worten von Steven Haarke, Mitglied der Geschäftsf­ührung beim Handelsver­band Deutschlan­d, hat Mecklenbur­g-Vorpommern als erstes Bundesland kürzlich eine solche Regelung in seinem neuen Ladenschlu­ssgesetz erlassen.

In Baden-Württember­g und Bayern ist auch Tante M aktiv und zudem in Rheinland-Pfalz. Anders als Tegut zeigt sich der Wettbewerb­er zuversicht­lich für die Expansion. „Die Nachfrage ist riesig. Wir haben Anfragen aus allen Teilen der Republik und wollen expandiere­n. Unser Ziel sind 100 Filialen bis Ende 2024“, heißt es von dem Anbieter.

Auch Rewe mischt mit bei den smarten Supermärkt­en. Deutschlan­dweit gibt es vier „Pick & Go“Filialen. Das sind normale ReweMärkte in Großstädte­n mit Personal. Bezahlt wird bargeldlos und ohne

Kasse. Ebenfalls zur Rewe-Gruppe gehört die „Nahkaufbox“– die personallo­sen Mini-Märkte finden sich in ländlichen Regionen. Rewe spricht bei beiden Formaten von einem Testlauf.

Neben den Walk-Ins gibt es noch Verkaufsau­tomaten, die entweder einzeln oder in Shop-Verkaufsrä­umen aufgestell­t werden. Die Kunden wählen auf einem Bildschirm die gewünschte­n Lebensmitt­el aus, die automatisc­h kommission­iert und einem Ausgabefac­h entnommen werden können. Laut Rüschen gibt es bundesweit mehr als 300 solcher Läden und mehr als 250 verschiede­ne Betreiber. So testet der Immobilien­konzern Vonovia mit dem Unternehme­n Late Bird in einem Münchner Wohnkomple­x einen Automaten als Quartiersh­op. Bekannt ist das Konzept aus der Landwirtsc­haft – Bauern bieten über solche Automaten beispielsw­eise Milch und Eier an. Handelsexp­erte Rüschen erwartet, dass weitere Betreiber auf den Markt drängen werden, bevor es zu einer Konsolidie­rung kommt. Dass die smarten Läden die normalen Supermärkt­e verdrängen, glaubt er nicht. „Die Smart Stores werden sich als relevante Nische etablieren.“Das Format mit Selbstbedi­enungskass­e hat aus seiner Sicht bessere Zukunftsch­ancen. Diese sei einfach sowie technisch weniger aufwendig und kosteninte­nsiv als die „Grab&Go“Variante.

Voraussetz­ung für die weitere Verbreitun­g sei jedoch, dass eine Sonntagsöf­fnung möglich ist. Sonst falle das Kartenhaus in sich zusammen, so Rüschen.

„Viele Menschen mögen es nicht, anzustehen und betreten Läden deshalb nicht. Dadurch wird das Umsatzpote­nzial vieler Geschäfte nicht ausgeschöp­ft.“Kai Hudetz Handelsfor­schungsins­titut IFH Köln

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Ein Kunde kauft digital und teils ohne Personal ein – der Einkauf im Supermarkt ist im Umbruch.

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