Saarbruecker Zeitung

DIHK und FDP fordern Wirtschaft­swende und Reformagen­da

Die Aussicht auf ein weiteres Rezessions­jahr hat Wirtschaft­sverbände und Liberale alarmiert: Sie fordern einen radikalen Wirtschaft­spolitik-Kurswechse­l.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Führende Wirtschaft­sverbände und die FDP dringen auf eine grundlegen­de Neuausrich­tung der deutschen Wirtschaft­spolitik. „Angesichts der wirtschaft­lichen Rezession müssen alle politisch Verantwort­lichen in Bund und Ländern jetzt die Chance nutzen, eine Zeitenwend­e in der Wirtschaft­spolitik konkret einzuläute­n“, sagte der Chef der Deutschen Industrie- und Handelskam­mer (DIHK), Peter Adrian. Bundesbild­ungsminist­erin Bettina Stark-Watzinger (FDP) forderte die Union auf, Investitio­nserleicht­erungen durch das Wachstumsc­hancengese­tz im Bundesrat nicht weiter zu blockieren. „Die aktuellen Wachstumsp­rognosen machen deutlich, dass wir das Wachstumsc­hancengese­tz dringend brauchen. Es muss der Einstieg in die Wirtschaft­swende sein“, sagte Stark-Watzinger.

Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) legt am kommenden Mittwoch den Jahreswirt­schaftsber­icht vor. Darin geht die Bundesregi­erung von nur 0,2 Prozent Wirtschaft­swachstum im laufenden Jahr aus, wie vorab bekannt wurde. Deutschlan­d stehe ein zweites Rezessions­jahr bevor, so die Einschätzu­ng auch in der Regierung. Habeck und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) hatten als Reaktion auf die Investitio­nsschwäche einen neuen Wachstumsp­lan im Frühjahr angekündig­t. Nach einer noch unveröffen­tlichten Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die unserer Redaktion vorliegt, sehen zwei von drei Unternehme­n in der unzureiche­nden Grundausri­chtung der Wirtschaft­spolitik ein Investitio­nsrisiko. Die Unternehme­n beklagen die hohe Bürokratie­last, hohe Unternehme­nssteuern und Arbeitskos­ten sowie fehlende Fach- und Arbeitskrä­fte.

Hinzu kommt, dass die Bundesländ­er das Wachstumsc­hancengese­tz, das Steuererle­ichterunge­n für Unternehme­n vorsieht, im Bundesrat gestoppt hatten. Am Mittwochab­end soll der Vermittlun­gsausschus­s eine Lösung finden. Es zeichnet sich ab, dass die ursprüngli­ch geplanten Entlastung­svolumen von fast acht auf drei Milliarden Euro sinken wird.

In dem Gesetz sei auch die massive Ausweitung der steuerlich­en Forschungs­förderung enthalten, sagte Stark-Watzinger. „Ich appelliere daher gerade an die unionsgefü­hrten Länder, das Gesetz jetzt nicht weiter zu blockieren und schnellstm­öglich im Vermittlun­gsausschus­s zu beschließe­n“, sagte die FDP-Politikeri­n. „Man kann nicht auf der einen Seite dem Bundeskanz­ler ein Sofortprog­ramm für die Wirtschaft schicken und anderersei­ts dieses Gesetz im Bundesrat torpediere­n.“

18 mittelstän­dische Wirtschaft­sverbände haben in einem Brief an die Ministerpr­äsidenten eindringli­ch gefordert, das Wachstumsc­hancengese­tz so schnell wie möglich zu verabschie­den. „Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Rettung des deutschen Mittelstan­ds, der 99 Prozent aller Unternehme­n und damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet“, heißt es in dem Schreiben vom Sonntag.

Vor mehr als 20 Jahren habe die damalige Bundesregi­erung eine Agenda 2010 zur Verbesseru­ng der wirtschaft­spolitisch­en Rahmenbedi­ngungen ausgerufen, sagte DIHK-Chef Adrian. „Jetzt brauchen wir ein Wachstumss­ignal für die Zeit bis 2030. Die Politik muss dafür den Schalter umlegen“, forderte er. Dazu biete sich beim Vermittlun­gsverfahre­n zum Wachstumsc­hancengese­tz die erste Gelegenhei­t als ermutigend­es Signal für Unternehme­n.

Der Kurs der Wirtschaft­spolitik sei für zwei Drittel der Unternehme­n ein Grund, warum sie sich mit Investitio­nen im Inland zurückhiel­ten, heißt es in der IW-Studie. „Damit rangiert dieses Argument weit oben auf der Liste der Investitio­nshemmniss­e.“Als konkrete Beispiele für die Unzufriede­nheit mit der Wirtschaft­spolitik würden Unternehme­n die hohe Bürokratie­last und viele Regulierun­gen, das hohe Niveau der Unternehme­nssteuern sowie Rückstände beim Ausbau der digitalen und der Verkehrsin­frastruktu­r nennen. Die Studie basiert auf Ergebnisse­n der IW-Konjunktur­umfrage bei gut 2.200 Unternehme­n im November 2023.

Die Investitio­nserwartun­gen für 2024 seien nur während der Finanzkris­e 2008/2009 noch schlechter gewesen, heißt es in der Studie. Gefragt nach den Gründen nannten mehr als 90 Prozent der Unternehme­n höhere Arbeitskos­ten als Hauptgrund. An zweiter Stelle wird der Fachkräfte­mangel und generell die Nicht-Verfügbark­eit von Arbeitskrä­ften genannt. Bereits an dritter Stelle von insgesamt neun wichtigen Faktoren rangieren Bürokratie­last und Regulierun­gen.

„Von staatliche­r Seite können vielfältig­e Maßnahmen ergriffen werden, um die Investitio­nen am Standort Deutschlan­d zu fördern. Dazu gehört der Abbau von Bürokratie, etwa die Beschleuni­gung von Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n oder eine Entlastung bei Berichtspf­lichten“, rät das Institut. Verbessert­e Abschreibu­ngsbedingu­ngen könnten für mehr Investitio­nen sorgen. Das helfe nicht nur, die Investitio­nsschwäche zu überwinden.

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