Saarbruecker Zeitung

Experten: Stationäre­r Handel hat Nachholbed­arf bei Öko-Bilanz

Der Online-Handel ist umweltfreu­ndlicher als der stationäre Handel, besagt eine Saarbrücke­r Studie. Was die Händler jetzt tun sollten.

- VON LOTHAR WARSCHEID

SAARBRÜCKE­NWie oft hat man sich schon geärgert, dass man hinter einem Lieferfahr­zeug im Schritttem­po herzuckeln musste, da der Fahrer eine Lieferadre­sse suchte. Auch die Papiertonn­e ist oft schon lange vor dem nächsten Abholtermi­n mit Paket-Pappe der OnlineEink­äufer vollgestop­ft. Immerhin wurden nach Angaben des Bundesverb­andes Paket- und Expresslog­istik im Jahr 2022 rund 4,15 Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendu­ngen in Deutschlan­d verschickt. Und jedes sechste im Internet bestellte Paket landete als Retoure wieder beim Absender.

„Umweltfreu­ndlich kann der Online-Handel nicht sein“, denken daher die meisten und fahren mit gutem Öko-Gewissen lieber in die Stadt zum Einkaufen. Doch die Wirklichke­it sieht etwas anders aus. „Wenn jemand glaubt, dass der stationäre Handel in Sachen Umweltfreu­ndlichkeit die Nase vorne hat, muss ich ihn enttäusche­n“, sagt Professor Bastian Popp, Leiter des Instituts für Handel & Internatio­nales Marketing (Hima) an der Universitä­t des Saarlandes. Das Gegenteil sei der Fall. „Der Einkauf im Internet belastet die Umwelt meist weniger als das Shoppen in stationäre­n Geschäften.“

Woher kommt das? Popp und sein Mitarbeite­r Patrick Klein haben wissenscha­ftliche Studien analysiert. „Diese stufen den Online-Handel in der Mehrheit als vorteilhaf­ter hinsichtli­ch umweltbezo­gener Aspekte ein“, sagt Klein. Darauf aufbauend haben beide viermal Konsumente­n befragt – vor, während und nach der Corona-Pandemie. Dabei stellten sie fest, dass die Befragten den stationäre­n Einkauf als umweltfreu­ndlicher wahrnehmen. Ein wichtiger Grund dafür ist, „dass viele umweltbela­stende Faktoren nicht mitbewerte­t werden, wenn die Kunden in den

Geschäften der Innenstadt einkaufen“, erläutert Popp. Dies fange mit der Autofahrt an. In Wirklichke­it könnten „die CO2-Emissionen einer durchschni­ttlichen Einkaufsfa­hrt höher sein als die aller vorgelager­ten Logistikak­tivitäten“, schreiben die Autoren.

Beim stationäre­n Handel falle ebenfalls viel Verpackung­sabfall an. Außerdem seien die Konsumpalä­ste sehr energieint­ensiv. „Sie werden im Winter gut beheizt und im Sommer klimatisie­rt sowie großzügig beleuchtet; zahlreiche Rolltreppe­n sind während der Einkaufsze­it ständig im Einsatz“, sagt Klein.

Bei den Paketdiens­ten hingegen „sind die Routen so geplant, dass Umwege vermieden werden“, erinnert Popp. „Wenn bei der Belieferun­g der Kunden dann noch Elektrofah­rzeuge eingesetzt werden, hat der Online-Handel auf jeden Fall die Nase vorn.“In größeren Städten sei auch der Einsatz von Lastenfahr­rädern mit elektronis­cher Unterstütz­ung denkbar und werde praktizier­t. Beim Online-Handel sei zudem der Energie-Einsatz bei der Lagerung günstiger, so die Forscher. „Filialen gibt es beim Verkauf übers Internet selten – meist nur für den Abverkauf von Retouren – und die Lagerhäuse­r werden lediglich bedarfsger­echt beheizt oder gekühlt“, sagt Klein.

Einen Ausweg für den Handel zur Verbesseru­ng seiner Öko-Bilanz sehen Popp und Klein neben Maßnahmen zur Einsparung von Energie und Ressourcen darin, „dass er verstärkt beide Kanäle nutzt – sowohl den Verkauf vor Ort als auch den Online-Versand“. Der Verbrauche­r könne einen Pullover seiner Konfektion­sgröße online bestellen, „ein Paar Schuhe jedoch vor Ort kaufen“. Das steigere auch die Kundenbind­ung, „da sie das Shoppen vor Ort und am Computer miteinande­r kombiniere­n können“. Eine weitere Möglichkei­t für den Einzelhand­el sei, sich auf Produkte mit kürzeren Lieferwege­n zu fokussiere­n.

Die mehr als 300 000 Einzelhänd­ler in Deutschlan­d haben erkannt, dass sie ihre Klima-Bilanz verbessern müssen. Seit drei Jahren läuft die Klimaschut­zoffensive des Handels, die der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) 2021 angestoßen hat. „Das Projekt vermittelt praxisnahe­s Wissen über Energieein­sparmöglic­hkeiten und Klimaschut­zmaßnahmen, um klimaschäd­liche CO2-Emissionen zu vermeiden und Energiekos­ten zu senken“, heißt es in der Eigendarst­ellung. Das Projekt endet im März, dann soll Bilanz gezogen werden.

Ihre Bemühungen um den Umweltschu­tz „müssen die Händler allerdings auch dem Kunden vermitteln“, sagt Popp. Dort würden sie mit ihren Botschafte­n auf offene Ohren stoßen.

Die Umweltfreu­ndlichkeit stelle jedoch nur eine Dimension der

Nachhaltig­keit dar. „Der soziale Aspekt lebendiger Innenstädt­e darf nicht außer Acht gelassen werden“, sagt Hochschull­ehrer Popp. „Sie müssen Orte der Begegnung bleiben, wo auch Gastronomi­e, Kultur und attraktive Veranstalt­ungen nicht zu kurz kommen und wo sich die Menschen gerne aufhalten.“

Doch am Ende „haben es die Konsumente­n selbst in der Hand, ihren ökologisch­en Fußabdruck zu verringern, indem sie beispielsw­eise mit Bus oder Bahn zum Einkaufen fahren.“Falls jemand auf das Auto angewiesen ist, weil er sonst die Waren nicht nach Hause bekommt oder es kein öffentlich­es Verkehrsan­gebot gibt, „sollte er den Einkauf systematis­cher planen – beispielsw­eise mit einem großen Wochen-Rundumschl­ag oder indem der Einkauf mit anderen Fahrten kombiniert wird.“So könne man Shopping-Erlebnis und Nachhaltig­keit unter einen Hut bringen.

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