„Man spürt eine Sehnsucht, sich zu engagieren“
Die Uni-Vizepräsidentin für gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit zieht eine erste Bilanz nach einem Jahr im Amt.
SAARBRÜCKEN Als Uni-Präsident Manfred Schmitt 2022 auf sie zukam, um sie für das von ihm auf den Weg gebrachte, neue Vizepräsidenten-Amt „für gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit“zu gewinnen, habe sie „nicht lange zögern müssen“, sagt Annemarie Matusche-Beckmann, Juraprofessorin für Bürgerliches Recht und europäisches Handels- und Wirtschaftsrecht. Spricht man mit ihr, wird schnell klar, weshalb: Als „breites Querschnittsthema“angelegt, wie MatuscheBeckmann es umreißt, liegen ihr Nachhaltigkeitsfragen – ob in ökologischer, sozialer oder ökonomischer Hinsicht – am Herzen.
Es ist nicht wenig, was sie – gerade einmal ein Jahr im Amt – in dieser kurzen Zeit auf den Weg gebracht hat. Ein Nachhaltigkeitsrat wurde eingerichtet, der rund 70 Mitglieder aus allen hochschulrelevanten Gruppen (Professoren, wissenschaftliches und Verwaltungspersonal, Studierende) umfasst. Acht Fachgruppen, in denen sich mittlerweile mehr als 150 Interessierte einbringen, haben sich gebildet, die verschiedene Nachhaltigkeitssektoren unter die Lupe nehmen und konkrete Maßnahmen anschieben sollen. Die Palette reicht von Handlungsfeldern wie „Energie“oder „Personal“über „Forschung“bis zu „lebenswerter Campus“. Seit November gibt es obendrein auch noch einen eigenen Senatsausschuss, der
Nachhaltigkeitsideen, die mit größeren Investitionen verbunden wären, vorab auf ihre Umsetzbarkeit abklopfen soll, um sie dann gegebenenfalls in den Uni-Senat einzubringen.
„Man spürt auf dem Campus eine große Sehnsucht, sich in Nachhaltigkeitsthemen zu engagieren und rennt überall nur offene Türen ein“, beschreibt Matusche-Beckmann ihre Erfahrungen des vergangenes Jahres. Im Dezember verabschiedete die Universität ein Nachhaltigkeitsleitbild, das nach ihren Worten partizipativ „von allen Fachgruppen Satz für Satz mitgetragen worden“sei. Liest man das zwölfseitige Papier, fragt man sich ob all der hehren Ziele: Und was wird davon nun konkret umgesetzt?
Beispiel „Gebäude- und Energiemanagement“: Als Ziel wird hier im Leitbild „ein größtmöglich energiesparender und ressourcenschonender Betrieb der Gebäude“formuliert. Bislang lässt sich davon an der Uni wenig erkennen. Zum einen aufgrund des gigantischen Sanierungsstaus bei vielen Gebäuden. In manchen zieht es bis heute durch die Fenster. Zum anderen aufgrund eines in diesen Zeiten fast frevelhaften, weitestgehenden Fehlens von Photovoltaik-Anlagen. Matusche-Beckmann sieht jedoch Fortschritte: Eine Machbarkeitsstudie, die acht Uni-Gebäude kürzlich auf deren statische Tauglichkeit für PV-Anlagen untersucht hat, gab für sechs Bauten bereits grünes Licht.
Auch die Energiesparkampagne, die die Uni seit Spätsommer 2022 schrittweise umgesetzt hat, zeitige positive Effekte, betont die Uni-Vizepräsidentin. Im Mittel ist demnach der Energieverbrauch im Vergleich zu den Vorjahren um 20 Prozent gesunken. Auch dank der Mithilfe von rund 120 sogenannten „Energiehelfern“, die mittlerweile in allen Uni-Gebäuden als verdienstvolle Verbrauchsminimierer unterwegs sind. Dennoch bleibt der Nachholbedarf (ob auf dem Campus Saarbrücken oder dem in Homburg) in Sachen Energiebilanz immens. Zumal Gebäudeertüchtigung, Energieverbrauch und Ausbau der Photovoltaik die mit Abstand stärksten Nachhaltigkeitseffekte hätten.
Es sei „wünschenwert, wenn sich dieses Umdenken im Gebäudebestand und im Selbstverständnis der
Uni niederschlagen wird“, sagt der Chemieprofessor Guido Kickelbick, seit Jahren einer der engagiertesten Werber für einen ökologischen Umbau auf breiter Front und selbst in zwei der acht eingerichteten Fachgruppen aktiv. Wichtig sei hierzu „die Priorisierung dieser Aufgaben“in der Verwaltung. Kickelbick betont ebenso wie Matusche-Beckmann, dass auch der Campus stärker als Lebensraum in den Blick gehört: Fragen der Aufenthaltsqualität, des Freizeitwerts, der Versorgungsmöglichkeiten, aber auch der Ausbau der Kreislaufwirtschaft oder das Abfallmanagement. Bei Letzterem ist ausweislich jüngster Statistiken bereits eine merkliche Reduzierung der Abfallmengen (inklusive Sondermüll) gelungen.
Als großes Querschnittsthema schließt Nachhaltigkeit denn auch im neuen Leitbild mehr als nur klimapolitische Ziele ein. Auch neue Lehrund Studienangebote soll es geben. Ab dem kommenden Sommersemester können Studierende unter dem Rubrum „Schlüsselkompetenzen in Nachhaltigkeit“entsprechende Zertifikate erwerben. Auch findet das Thema längst Eingang in die universitäre Lehre, wie ein Blick in die aktuellen Lehrveranstaltungen zeigt. Wäre es insoweit nicht konsequent, dies auch in Berufsverhandlungen künftig zu einem der Auswahlparameter zu machen? Im neuen Leitbild liest man als Absichtserklärung auch, dass die Uni „Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitszufriedenheit und Wertschätzung der Mitarbeiter“fördere. Gefragt, wie sich die anhaltende Befristung vieler Wissenschaftler damit verträgt, antwortet die Vizepräsidentin für gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit, überall, wo diese befristet Beschäftigten nicht nur ein eigenes Qualifikationsziel verfolgen, sondern Daueraufgaben übernähmen, sei eine Entfristung ohne Frage wünschenswert.
Ende März, mit der krankheitsbedingten, vorzeitigen Stabübergabe Manfred Schmitts an seinen Nachfolger Ludger Santen im Präsidentenamt, wird ihre eigene Amtszeit im Präsidium auch schon wieder vorbei sein – genauso wie die aller anderen Vizepräsidenten (ausgenommen den hauptamtlichen Vize für Verwaltung und Wirtschaftsführung, Roland Rolles). Ludger Santen setzt offenbar auf einen kompletten Neuanfang. Dass Annemarie Matusche-Beckmann sich hätte gut vorstellen können, weiterzumachen, kann man sich unschwer denken. „Ein erstes Feld ist, hoffe ich, nun bestellt. Die Sprösslinge kommen schon“, meint sie.
Der künftige Uni-Präsident hatte bei seiner Kandidatur damit geworben, Nachhaltigkeitsfragen zum vierten Schwerpunkt neben Informatik, NanoBioMed und Europa ausbauen und außerdem beide Uni-Standorte „soweit wie möglich autofrei“machen zu wollen. Ambitionierte Ziele, bei denen Ludger Santen auf der geleisteten Vorarbeit und den acht rührigen Fachgruppen aufbauen könnte.