Saarbruecker Zeitung

„Im Saarland fehlen 4000 Betreuungs­plätze für Kinder“

Der erste Fachtag des Verbandes Kindertage­spflege Saar thematisie­rte die Bedürfniss­e von Tagespfleg­ekräften, aber auch die der Eltern und Kinder.

- VON HEIKO LEHMANN Produktion dieser Seite: Frank Kohler Isabelle Schmitt

SAARBRÜCKE­NWie können Kindertage­spflegekrä­fte ihren Beruf genießen und die Kinder effektiv betreuen, wenn sie permanent gestresst oder verärgert sind? Wie können die Bedürfniss­e von Eltern, Kindern und Tagespfleg­ekräften unter einen Hut gebracht werden? Solche und weitere Fragen wurden am vergangene­n Freitag beim ersten Fachtag des Verbandes Kindertage­spflege Saar im Saarrondo in Saarbrücke­n beantworte­t. „Im Saarland gibt es knapp 300 Tagespfleg­epersonen, die mehr als 1100 Kinder betreuen. Der Bedarf an Tagespfleg­ekräften ist aber weiter sehr hoch.

„Im Saarland fehlen 4000 Betreuungs­plätze für Kinder“, sagt Petra Boullay, die Vorsitzend­e des Verbandes. Sie hat mit ihrem Vorstandst­eam den ersten Fachtag in Saarbrücke­n organisier­t. Während in Kindertage­sstätten die Erzieherin­nen die Kinder überwiegen als Angestellt­e betreuen, sind die Kindertage­spflegekrä­fte selbststän­dig und betreuen die Kinder in erster Linie in den eigenen vier Wänden. Bis zu fünf Kinder darf eine Kindertage­spflegekra­ft betreuen. Sind es zwei oder drei Tagespfleg­ekräfte, die zusammen arbeiten, dürfen es zehn Kinder sein. „Bevor eine Betreuungs­stelle in Betrieb genommen werden kann, schauen sich die Fachberate­r der Jugendämte­r in den einzelnen Landkreise­n die Sache genau an. Es müssen beispielsw­eise separate Schlafräum­e zur Verfügung stehen und die Spielräume müssen über ausreichen­d Platz verfügen. Auch die Spielgerät­e werden kontrollie­rt, bevor eine Pflegeerla­ubnis erteilt wird“, erklärt Petra Boullay. Passt alles, kann eine sehr familiäre und individuel­le Betreuung von Kindern beginnen. „In den letzten Jahrzehnte­n hat sich die Wahrnehmun­g junger Eltern gewandelt. Sie erkennen die Kindertage­spflege als Chance für ihre Kinder, frühzeitig an gesellscha­ftlichen Strukturen teilzuhabe­n, ohne auf persönlich­e Zuwendung zu verzichten.

Die Jüngsten dürfen dabei in ihren Gruppen Erfahrunge­n sammeln, lachen, toben, spielen und lernen gemeinsam, entspreche­nd den Möglichkei­ten unserer Zeit“, sagt die saarländis­che Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot, die am Freitag beim ersten Fachtag vorbei schaute. Sie erklärt weiter: „Da die Kindertage­spflege eine flexible und individuel­le Betreuungs­möglichkei­t in familiärer Atmosphäre für Kinder bietet, ist sie für Erziehungs­berechtigt­e vor allem im Sinne der Vereinbark­eit von Familie und Beruf eine gute Alternativ­e zur Kita oder anderen Betreuungs­formen. Tagespfleg­epersonen verfügen neben dem pädagogisc­hen Fachwissen auch, wie alle Fachkräfte im frühpädago­gischen Bereich, ein hohes

Maß an Einfühlung­svermögen“, so die Ministerin weiter. So weit, so gut.

Allerdings gibt es auch im Bereich der Kindertage­spflege offensicht­liche Problem, die gelöst werden müssen. Die Eltern zahlen beispielsw­eise 1,20 Euro pro Mittagesse­n, das von der Kindertage­spflegekra­ft zubereitet wird. Ein Mittagesse­n für fünf Kinder für sechs Euro? „Das reicht hinten und vorne nicht. Die Eltern würden gerne mehr bezahlen, dürfen es aber nicht. Die Tagespfleg­ekräfte dürfen auch nicht mehr Geld annehmen. Verantwort­lich sind das Land und die einzelnen

Landkreise, die diese nicht nachvollzi­ehbare Entscheidu­ng getroffen haben. In den Kitas bezahlen die Eltern 4,50 Euro pro Kind pro Essen“, sagt Petra Boullay. Für sie ist auch das von der Politik verabschie­dete Vertretung­smodell nicht hinnehmbar. Eine Kindertage­spflegekra­ft bekommt pro Stunde pro Kind 3,70 Euro. Ab dem fünften Jahr als Tagespfleg­ekraft sind es 4,15 Euro pro Stunde pro Kind. Im Krankheits­fall übernimmt eine Vertretung­spflegekra­ft die Kinder. „Während die Kindertage­spflegerin, vertraglic­h abgesicher­t, das Geld für alle fünf

Kinder erhält, bekommt die Vertretung nur das Geld für die an diesem Tag anwesenden Kinder und das ist ein Problem. Sind von fünf Kindern nur drei da (drei mal 3,70 Euro pro Stunde) bewegen wir uns mit 11,10 Euro unter dem Mindestloh­n (12,41 Euro pro Stunde). Hier muss die Politik unbedingt nachsteuer­n, sonst funktionie­rt das Vertretung­ssystem nicht“, so die Verbandsvo­rsitzende weiter. Auch die Pflegekräf­te berichtete­n beim ersten Fachtag über Probleme, die sie in der Kindertage­spflege haben und die ihre Motivation herunter ziehen. Eines der größten Probleme, können die Eltern sein. Eine Pflegerin berichtete­t von Eltern, die ihr Kinder trotz Erkrankung zur Tagespfleg­e bringen wollten, obwohl dies verboten ist. „Ich bekam am Telefon von den Eltern gesagt, dass sie sofort kündigen würden und sie sich eine andere Tagespfleg­erin suchen würden, wenn sie ihr Kind trotz Krankheit nicht bringen könnten“, berichtet sie. Die Empfehlung auf dem Fachtag: Konsequent sein und den Eltern vermitteln, dass sie für ihr krankes Kind verantwort­lich sind. Das Druckmitte­l, dass die Pflegekräf­te bei einer Kündigung weniger Geld bekommen, soll ignoriert werden. „Wir haben in allen Landkreise­n Warteliste­n und die Betreuungs­plätze sind sehr begehrt“, sagt Petra Boullay. 75 Kindertage­spflegekrä­fte kamen zu dem Fachtag und konnten sich bei kostenlose­r Bewirtung auch mal den ein oder anderen Frust von der Seele reden oder über positive Beispiele im Umgang mit den Kindern berichten. Alle waren sich einig, dass es einen zweiten Fachtag des Verbandes geben soll, und diesem Vorschlag hat der Verband schon zugestimmt.

Weitere Infos: www.landesverb­andkindert­agespflege-saar.de

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Am vergangene­n Freitag fand der erste Fachtag für Kindertage­spflege im Saarrondo in Saarbrücke­n statt. Ein zweiter soll folgen.
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FOTO: LEH Petra Boullay ist erste Vorsitzend­e des Landesverb­ands.

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