Antisemitismus in der Klasse: Wie sich Lehrer vorbereiten können
Judenfeindlichkeit auf Schulhöfen reicht von Tiktok-Videos über Beschimpfungen bis zu Gewalt. Ein Studium in Würzburg soll angehende Lehrer wappnen.
(dpa) Wie sieht jüdisches Leben in Deutschland heute aus? Welche Rolle spielen soziale Medien bei Antisemitismus? Sollten Lehrkräfte parteiisch sein? Und wie funktionieren Verschwörungsmythen? Mit Fragen wie diesen setzen sich Lehramtsstudierende in Würzburg auseinander, um sich für Antisemitismus auf Schulhöfen und in Klassenzimmern zu wappnen.
„An den Schulen kocht manchmal der Nahost-Konflikt im Kleinen hoch“, sagt Ilona Nord. Sie ist Professorin für Evangelische Theologie an der Universität Würzburg, hat dort ein Zentrum für antisemitismuskritische Bildung (CCEA) initiiert und einen Zusatzstudiengang aufgebaut: Zabus – Zertifikat der Antisemitismuskritischen Bildung für Unterricht und Schule – gibt es seit dem
Wintersemester 2022/2023. Laut Experten handelt es sich um einen bundesweiten Vorreiterstudiengang.
„Wir sehen Antisemitismus immer mehr in der Mitte der Gesellschaft“, sagt Nord. Zabus soll angehende Lehrer für Antisemitismus sensibilisieren und ihnen zeigen, wie sie reagieren können. Dafür schauen sich die Studierenden schon mal zusammen antisemitische Tiktok-Videos an und überlegen, was sie tun könnten, wenn ihre Schüler sich solche Videos ansehen. Gemeinsam erarbeiten sie, wie sie Kinder auf immer noch kursierende antisemitische Karikaturen vorbereiten – wie als vor einigen Jahren Meta-Gründer Mark Zuckerberg als Krake dargestellt wurde. „Das sind Bilder, die man nicht vergisst und die sich in die Seele einbrennen“, meint Professorin Nord.
Auch wenn Antisemitismus nicht nur an Schulen vorkommt: Bildungseinrichtungen stehen im jährlichen Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Berlin an dritter Stelle der Tatorte, nach Internet und Straße. „Schulen sind Kristallisationsorte, an denen die gesellschaftlichen Probleme und Tendenzen deutlich sichtbar und auch ausgetragen werden“, sagt der Bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle. Lehrkräfte müssten dafür gut aus- und fortgebildet sein.
„Ich fand das Thema spannend, weil es sonst im Studium gar nicht vorkommt“, sagt die 24-jährige Studentin Anna Eberl, die 2022 mit dem Zusatzstudiengang begonnen hat. Jetzt würde sie viel schneller antisemitische Parolen als solche erkennen.
„Wir wollen aber nicht nur die Feuerwehr ausbilden“, so Nord. Das heißt Lehrer sollen nicht nur wissen, wie sie mit antisemitischen Vorfällen umgehen können. „Sie sollen strukturellem Antisemitismus auch proaktiv vorbeugen und jüdisches Leben sowie antisemitismuskritische Bildung in den Schulalltag einbinden.“
Manche der Zabus-Studierenden haben in Praktika schon erste Erfahrungen gesammelt. Der 27-jährige angehende Realschullehrer Lucas Gäde berichtet, dass er Vorträge über Antisemitismus an der Schule gehalten habe. „Dabei wurde teilweise völkisches Denken bei den Schülern zutage gebracht“, so Gäde. Leider reiche der zeitliche Rahmen bisher nicht immer aus, um darauf einzugehen.
Doch wie sollen Lehrer nun mit antisemitischen Äußerungen umgehen? Laut Petzke hängt die Antwort immer von der Situation ab. Lehrkräfte müssten deutlich machen, dass bestimmte Äußerungen nicht geduldet werden. „Gleichzeitig kann die Wahrnehmung, dass es ein Tabu gibt und die freie Meinungsäußerung eingeschränkt sei, noch mehr Ressentiment hervorrufen“, sagt Petzke. Das nenne man paradoxe Effekte. Die Pädagogen sollten daher aktiv über Antisemitismus mit den Schülern sprechen. Am besten sei es, wenn Schulen bereits vorab eine Interventionskette überlegt hätten.
Für Ilona Nord ist Solidarität wichtig. Sie berichtet, dass Antisemitismus derzeit auch an Hochschulen präsent sei. „Nicht zuletzt durch rechtspopulistische AfD-nahe Gruppen“, so Nord. Jüdische Studierende seien nach dem 7. Oktober aufgerufen worden, zur Sicherheit zu Hause zu bleiben. „Das möchten wir nicht hinnehmen“, sagt Nord.