Rettet just von der Leyen das Spitzenkandidaten-Prinzip?
Das SpitzenkandidatenPrinzip ist tot. Es lebe die Spitzenkandidatin. Und die heißt für die CDU Ursula von der Leyen. Bei allem nun ausgebrochenen Jubel in Kreisen der EVP, des Zusammenschlusses der christlichdemokratischen und bürgerlichkonservativen Parteien Europas, bleibt ein Makel: Von der Leyens Name wird auf keinem Wahlzettel stehen, schon wieder nicht. So zieht die Deutsche nun in den Wahlkampf, ohne dass im Juni jemand sie wählen könnte. Gleicht ihre erwartbare Rückkehr ins Berlaymont also eher einer Krönung als einem demokratischen Prozess?
Kritiker schimpfen über das Demokratieverständnis der Konservativen. Tatsächlich wäre eine Direktwahl der einzige Weg, um wirklich von den Bürgern legitimiert zu werden, noch dazu, wenn es um das höchste Amt Europas geht. Das hat die Deutsche so ausgefüllt, dass sie sich zur mächtigsten Kommissionspräsidentin entwickelt hat, die die Union je hatte.
Dass von der Leyen nun antritt, ohne wählbar zu sein, führt das Spitzenkandidaten-Prinzip dem Grünen-Politiker Daniel Freund zufolge „ad absurdum“. Der Aufschrei klingt jedoch nach Wahlkampfgetöse. Praktisch würde von der Leyen nämlich selbst bei einer Kandidatur für das EU-Parlament lediglich auf dem Wahlzettel in Niedersachsen stehen. Ein Sieg wäre also keineswegs repräsentativ für Gesamt-Europa. Zudem müsste die 65-Jährige nach dem Votum das gerade errungene Parlamentsmandat sofort wieder abgeben. Das Gerede, dass ihre Kandidatur dem Vertrauen der Bürger in die Demokratie schadet, greift deshalb zu kurz. Vielmehr darf man den Schritt als Versuch werten, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die letzte Möglichkeit zu nutzen, das im Kern richtige Spitzenkandidaten-Modell zu retten. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet von der Leyen das totgesagte System wiederbelebt. Sie wurde 2019 von den Staats- und Regierungschefs aus dem Hut gezaubert, weil vorneweg der französische Präsident Emmanuel Macron den CSU-Mann und Europawahlsieger Manfred Weber im Top-Amt der Brüsseler Behörde verhindern wollte. Die Ambitionen des Niederbayern wurden zerschlagen durch eine schwammige Formulierung in den EU-Verträgen, wonach sich die 27 Staatenlenker am Ergebnis der europaweiten Abstimmung orientieren sollen, aber eben nicht müssen. Für Weber war es eine demütigende, für das EU-Parlament eine schmerzliche Niederlage. Der klare Gewinner war das berühmt-berüchtigte Brüsseler Hinterzimmer. Von der viel beschworenen Transparenz auf EUEbene, mit der man neuerdings bei den Bürgern punkten wollte, blieb bei dem Posten-Geschachere nicht viel übrig. Zu einer solchen Farce darf es nicht noch einmal kommen.
Hinzu kommt, dass nicht von der Leyen Schuld daran trägt, dass das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nie als gewählter Posten angelegt war. Das System wurde in den Stuben der Hauptstädte erdacht. Dabei ging es den Staatsund Regierungschefs vorneweg darum, eine Marionette in Brüssel zu installieren, die deren Willen durchsetzen, aber nicht mit deren Macht konkurrieren sollte. Das hat sich mittlerweile auch dank von der Leyen verändert, zumindest ein bisschen.