Eine Anklage wie aus einem Horrorfilm
Haben Pflegeeltern die ihnen anvertrauten Kinder über Jahre aufs Schlimmste gequält? Oder sagen die mutmaßlichen Opfer nicht die Wahrheit und ein Ehepaar aus Schmelz ist zu Unrecht angeklagt? Das Landgericht Saarbrücken verhandelt seit Montag einen Fall v
Wer sagt die Wahrheit? Haben Pflegeeltern ihre fünf Pflegekinder in ihrem Haus in MettlachTünsdorf über Jahre schwer misshandelt und gefoltert? Oder hegen die ehemaligen Pflegekinder einen Groll gegen das Ehepaar und beschuldigen sie zu Unrecht schwerster Straftaten? Das herauszufinden, ist in den kommenden Monaten die Aufgabe der großen Jugendkammer des Saarbrücker Landgerichts.
Am Montag ist der Prozess gegen das Ehepaar D. aus Schmelz wegen gemeinschaftlichen Missbrauchs Schutzbefohlener gestartet. Zusätzlich wird der Angeklagte Patrick D. von der Staatsanwaltschaft des sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Pflegetochter beschuldigt. Die Anklageschrift gegen das Paar ist sehr lang und liest sich wie das Drehbuch eines Horrorfilmes. Laut Staatsanwaltschaft sollen die fünf Pflegekinder (vier Jungen und ein
Mädchen, heute zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig Jahre alt) von 2002 bis 2011 von ihren Pflegeeltern geschlagen, getreten und mit grausamen Methoden bestraft worden sein.
Haupttäterin soll hierbei laut Staatsanwaltschaft Sabine D. gewesen sein. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, einen Jungen mit ihren hochhackigen Schuhen blutig geschlagen zu haben. Zudem habe sie die Kinder, zur Strafe für nicht gut genug geputzte Katzenklos, gezwungen, Katzenkot in den Mund zu nehmen und abzulecken. Eine Pflegetochter soll die heute 54-Jährige mehrfach gezwungen haben, größere Mengen an Schokolade, Brot und Pudding zu essen. Als die Pflegetochter sich daraufhin übergab, habe die Angeklagte sie gezwungen, sich in Unterwäsche in einen Teich im Garten zu setzen und einen Eimer mit ihrem Erbrochenen leer zu essen.
Regelmäßig seien die Pflegekinder für kleinste Regelbrüche bestraft worden, so die Staatsanwaltschaft. Dazu zählte neben direkter körperlicher Gewalt laut Anklage auch stundenlanges Stehen im Hof, das Abduschen oder Abspritzen mit kaltem Wasser, Schlafen im Keller oder in Fesseln an einem Stuhl. Zudem hätten die mutmaßlichen Opfer nicht unaufgefordert miteinander reden dürfen und hätten keine warmen Mahlzeiten bekommen, so die Staatsanwaltschaft.
In dem Haus in Mettlach-Tünsdorf, in dem die Familie mit zwei leiblichen Töchtern und den fünf
Pflegekindern bis 2011 lebte, sollen Letztere gezwungen worden sein, sämtliche Hausarbeiten zu übernehmen und alle Tiere (darunter 30 Katzen) zu versorgen. Zudem hätten die mutmaßlichen Opfer bei der Renovierung von Häusern helfen müssen. Dabei mussten sie laut Anklage bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten.
Patrick D. wird zusätzlich vorgeworfen, die minderjährige Pflegetochter in einem Fall sexuell missbraucht zu haben. Vier der fünf mutmaßlichen Opfer nehmen als Nebenkläger am Prozess teil. Drei sind Geschwister. Laut Staatsanwaltschaft waren sie zum Teil in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung und litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Die Angeklagten und deren Verteidiger weisen die mutmaßlichen Taten weit von sich. In zwei Statements machte das Ehepaar Angaben zu den Vorwürfen. Sabine D. erzählte, wie die drei ersten Pflegekinder (die drei Geschwister) in ihre Familie kamen, nachdem deren leibliche Mutter (eine Mieterin des Ehepaars D.) an Krebs verstarb. Später seien noch zwei weitere Pflegekinder hinzugekommen.
Sie habe nie einen Unterschied zwischen ihren leiblichen und den Pflegekindern gemacht, so Frau D. Auch heute noch lebten zwei (weitere) Pflegekinder in der Familie. Trotz gelegentlicher kleinerer Konflikte seien alle Kinder zu einer Einheit, einer Familie geworden. Beide Pflegeeltern gaben in ihren Statements
Das angeklagte Ehepaar beteuert, es habe den Kindern niemals Schaden zugefügt.
an, sie hätten den Pflegekindern ein liebevolles Umfeld mit zahlreichen Familienaktivitäten und Vereinsmitgliedschaften geboten. Immer wieder hätten gerade die drei Geschwisterkinder von schwerem Missbrauch durch ihre leibliche (verstorbene) Mutter geredet. Die von Sabine D. geschilderten Taten der leiblichen Mutter ähneln dabei sehr den ihr vorgeworfenen Anklagepunkten.
Der angeklagte Pflegevater Patrick D. gab an, seine Frau und er hätten „niemals einem der Kinder Schaden
zugefügt“und sprach von einer ursprünglich „starken vertrauensvollen Bindung“zu den Kindern. Die Vorwürfe seien ein „Verrat und Vertrauensbruch an der Familie“und die Nebenkläger versuchten aus „Frust, Eifersucht und Sonstigem“die Familie zu zerstören.
Noch deutlicher wird der Verteidiger von Sabine D., Rechtsanwalt Jens Schmidt. Die mutmaßlichen Missbräuche könnten so gar nicht stattgefunden haben. Die mutmaßlichen Opfer würden übereinstimmend falsch aussagen und lügen.
Zudem spricht der Anwalt schon bei Prozessauftakt von einem Justizskandal. „Das hier ist ein Fall Norbert Kuß 2.0. Man hat den Eindruck, die saarländische Justiz hat nichts dazugelernt“, so Schmidt. Das Justizopfer Norbert Kuß aus Marpingen-Alsweiler war 2004 zu Unrecht vom Landgericht Saarbrücken wegen sexuellen Missbrauchs einer Pflegetochter verurteilt worden. Erst 2013 wurde er freigesprochen. Der Prozess wird zeigen, ob die Fälle vergleichbar sind. Er wird am heutigen Dienstag fortgesetzt.