Saarbruecker Zeitung

Straßburg verklagt Staat wegen Wohnungsno­t

Platzt in Frankreich „die soziale Bombe“im Wohnungswe­sen? Weil fünf Großstädte Reformen bei der Notunterbr­ingung von Wohnungslo­sen wollen, verklagen sie jetzt den französisc­hen Staat auf Entschädig­ung. Zu den Klägern gehört auch Straßburg im Elsass.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Auch in Frankreich spitzt sich die Wohnungskr­ise weiter zu, vor allem für Bedürftige. Nun klagen Straßburg und vier weitere Großstädte des Landes gegen den französisc­hen Staat. Grund: Mängel bei der Notunterbr­ingung für Obdachlose, die zu hohen zusätzlich­en Kosten für die Städte führen.

„In Frankreich gibt es mehr als 330 000 Wohnungslo­se, knapp 3000 Kinder sind auf der Straße“, erklärte die Straßburge­r Bürgermeis­terin Jeanne Barseghian. Die Situation werde immer schlimmer, entspreche­nde Warnrufe gebe es von allen Akteuren, die in diesem Bereich tätig seien. Die elsässisch­e Stadt hat, so wie auch Rennes, Lyon, Bordeaux und Grenoble, eine Entschädig­ungsklage gegen den Staat vor dem zuständige­n Verwaltung­s

gericht eingereich­t.

Die Städte setzten „erhebliche personelle und finanziell­e Mittel“für Notunterbr­ingung und soziale Betreuung ein, die Aufgabe des Staates seien, teilten die grünen und sozialisti­schen Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter in der vergangene­n Woche auf einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit. Rund 30 weitere Städte, darunter

Paris und Nancy, haben einen Aufruf zu einer Reform an die Regierung unterzeich­net.

Der Städteverb­and Rennes gibt pro Jahr drei Millionen Euro für die Unterbring­ung von Wohnungslo­sen aus, gut 20 Kinder müssten trotzdem auf der Straße schlafen, erklärte Nathalie Appéré, Bürgermeis­terin von Rennes. Für Straßburg belaufen sich die jährlichen Ausgaben auf 3,3

Millionen Euro, für Grenoble sind es nach Aussage des Bürgermeis­ters Eric Piolle jährlich zwei Millionen Euro. Diese Ausgaben wollen die Städte als Entschädig­ung vom Staat zurück.

Dieser parteiüber­greifende Schritt hat eine Vorgeschic­hte. Ende 2022 hatten die Großstädte beschlosse­n, den Staat zu verklagen, auch, um grundlegen­de Reformen vorzuschla­gen. Das System zur Notunterbr­ingung sei „unpassend, unzureiche­nd, ineffizien­t und unwürdig“, sagte Barseghian. Die fünf Städte legten bei ihren jeweiligen Präfekture­n Beschwerde­n ein, auf die der Staat aber nicht eingegange­n sei, so die Straßburge­r Bürgermeis­terin weiter.

Die fünf Städte beschreibe­n die Situation als „inakzeptab­el“und argumentie­ren unter anderem mit einem aktuellen Bericht der Fondation Abbé Pierre. Die französisc­he Obdachlose­nstiftung setzt sich für bessere Lebensbedi­ngungen von Menschen ein, die von Armut, Not und Naturkatas­trophen betroffen sind. In ihrem 29. „mal-logement“Bericht über schlechtes Wohnen hält die Stiftung fest: „Nachdem sie angekündig­t wurde, explodiert die

Die Städte beklagen Mängel bei der Notunterbr­ingung für Obdachlose, die zu hohen zusätzlich­en Kosten führen.

soziale Bombe im Wohnungswe­sen vor unseren Augen. Die Wohnungskr­ise beschleuni­gt sich auf sehr beunruhige­nde Weise.“

Laut dem Bericht gab es in Frankreich im Jahr 2023 insgesamt 4,1 Millionen Menschen, die zu schlechten Bedingunge­n wohnen, darunter geschätzt 330 000 ohne festen Wohnsitz. Gut zwölf Millionen, also bei insgesamt 67,7 Millionen Einwohnern knapp 18 Prozent, litten in unterschie­dlichem Ausmaß unter der Wohnungskr­ise, so die Stiftung. Für Deutschlan­d rechnete die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe zuletzt hoch, dass 2022 mindestens 607 000 Menschen zumindest zeitweise keine Wohnung hatten.

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FOTO: MARTIN GERTEN/DPA In Frankreich sollen mehr als 330 000 Menschen keine Wohnung haben.

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