Straßburg verklagt Staat wegen Wohnungsnot
Platzt in Frankreich „die soziale Bombe“im Wohnungswesen? Weil fünf Großstädte Reformen bei der Notunterbringung von Wohnungslosen wollen, verklagen sie jetzt den französischen Staat auf Entschädigung. Zu den Klägern gehört auch Straßburg im Elsass.
Auch in Frankreich spitzt sich die Wohnungskrise weiter zu, vor allem für Bedürftige. Nun klagen Straßburg und vier weitere Großstädte des Landes gegen den französischen Staat. Grund: Mängel bei der Notunterbringung für Obdachlose, die zu hohen zusätzlichen Kosten für die Städte führen.
„In Frankreich gibt es mehr als 330 000 Wohnungslose, knapp 3000 Kinder sind auf der Straße“, erklärte die Straßburger Bürgermeisterin Jeanne Barseghian. Die Situation werde immer schlimmer, entsprechende Warnrufe gebe es von allen Akteuren, die in diesem Bereich tätig seien. Die elsässische Stadt hat, so wie auch Rennes, Lyon, Bordeaux und Grenoble, eine Entschädigungsklage gegen den Staat vor dem zuständigen Verwaltungs
gericht eingereicht.
Die Städte setzten „erhebliche personelle und finanzielle Mittel“für Notunterbringung und soziale Betreuung ein, die Aufgabe des Staates seien, teilten die grünen und sozialistischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in der vergangenen Woche auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit. Rund 30 weitere Städte, darunter
Paris und Nancy, haben einen Aufruf zu einer Reform an die Regierung unterzeichnet.
Der Städteverband Rennes gibt pro Jahr drei Millionen Euro für die Unterbringung von Wohnungslosen aus, gut 20 Kinder müssten trotzdem auf der Straße schlafen, erklärte Nathalie Appéré, Bürgermeisterin von Rennes. Für Straßburg belaufen sich die jährlichen Ausgaben auf 3,3
Millionen Euro, für Grenoble sind es nach Aussage des Bürgermeisters Eric Piolle jährlich zwei Millionen Euro. Diese Ausgaben wollen die Städte als Entschädigung vom Staat zurück.
Dieser parteiübergreifende Schritt hat eine Vorgeschichte. Ende 2022 hatten die Großstädte beschlossen, den Staat zu verklagen, auch, um grundlegende Reformen vorzuschlagen. Das System zur Notunterbringung sei „unpassend, unzureichend, ineffizient und unwürdig“, sagte Barseghian. Die fünf Städte legten bei ihren jeweiligen Präfekturen Beschwerden ein, auf die der Staat aber nicht eingegangen sei, so die Straßburger Bürgermeisterin weiter.
Die fünf Städte beschreiben die Situation als „inakzeptabel“und argumentieren unter anderem mit einem aktuellen Bericht der Fondation Abbé Pierre. Die französische Obdachlosenstiftung setzt sich für bessere Lebensbedingungen von Menschen ein, die von Armut, Not und Naturkatastrophen betroffen sind. In ihrem 29. „mal-logement“Bericht über schlechtes Wohnen hält die Stiftung fest: „Nachdem sie angekündigt wurde, explodiert die
Die Städte beklagen Mängel bei der Notunterbringung für Obdachlose, die zu hohen zusätzlichen Kosten führen.
soziale Bombe im Wohnungswesen vor unseren Augen. Die Wohnungskrise beschleunigt sich auf sehr beunruhigende Weise.“
Laut dem Bericht gab es in Frankreich im Jahr 2023 insgesamt 4,1 Millionen Menschen, die zu schlechten Bedingungen wohnen, darunter geschätzt 330 000 ohne festen Wohnsitz. Gut zwölf Millionen, also bei insgesamt 67,7 Millionen Einwohnern knapp 18 Prozent, litten in unterschiedlichem Ausmaß unter der Wohnungskrise, so die Stiftung. Für Deutschland rechnete die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zuletzt hoch, dass 2022 mindestens 607 000 Menschen zumindest zeitweise keine Wohnung hatten.